MOP 2013: Der Gewinner und Genrestücke


Dass der kleine Bruder es gut und manchmal auch besser kann, hat sich schon in der Vergangenheit gezeigt. Auch heuer – also 2013 – ging der Haupt-, eben der Max Ophüls Preis wie schon im letzten Jahr (mit MICHAEL von Markus Schleinzer) an einen „Österreicher“:  DER GLANZ DES TAGES von Tizza Covi und Rainer Frimmel zeigt die beiden „Showleute“ Philipp Hochmair und Walter Saabel als – Philipp Hochmair und Walter Saabel, auch, wenn ihre Namen so keine Rolle spielen. Ersterer ist erfolgreicher Theaterdarsteller, der zweite der bislang unbekannte Onkel, ein ehemaliger Zirkusmann (v.a.: Bärenringer), der plötzlich vor der Tür steht. Beide freunden sich an, lassen den anderen an ihrem Leben und dessen Erinnerungen teilhaben; schließlich geht es noch um Hochmairs Nachbarn in Wien, einem osteuropäischen Flüchtling mit seinen Kindern, dessen Frau nicht wieder einreisen kann… Was in DER GLANZ DES TAGES passiert, ist nicht belanglos, aber schlecht oder doch nur falsch zu erzählen. Weil es weniger das Was als das Wie ist, das bestimmend ist, weil er ein Dokument der Beiläufigkeit im besten Sinne ist und darüber hinaus natürlich noch viel mehr bietet, etwa eine sich durchziehende Auseinandersetzung (wenn auch: ohne Konfrontation) mit dem Thema Erziehung in unterschiedlichsten Facetten.

DER GLANZ DES TAGES ist eine eigentümliche und vor allem durch seine beiden Hauptdarsteller, die sich selbst spielen (und sich dabei immerzu selbst bestaunen, befragen), einnehmende, sanft packende Mischung aus Fiktion und Dokumentation, aus Spiel und Ernst, Improvisation und Inszenierung. Saabel war wirklich Artist (und wurde für seine Spiel in DER GLANZ DES TAGES in Locarno vergangenes Jahr ausgezeichnet), Hochmair ist tatsächlich bekannter Bühnenschauspieler – einer, der bei der Vorführung in Saarbrücken zugab, sich redlich schwer getan zu haben, sich selbst sozusagen zu geben. Unaufgeregt und spannend zugleich liefert der Film einen Ausschnitt aus beider Leben, der zwar endet, als gerade die oder eine „richtig“ Story ins Rollen zu kommen scheint – der jedoch damit einen verblüffend gelungenen Ausstieg aus einer eingesehenen Lebenswelt findet, die auch ohne uns weiterzulaufen verspricht. 

Die Jury urteilte: „Es sind gewichtige gesellschaftliche Fragen, die der Film DER GLANZ DES TAGES auf poetische wie oft auch tragikomische Weise beleuchtet. Freiheit. Identität. Selbstfindung. Selbstinszenierung.“ Aber wenn Saabel und Hochmair sich in den momentverbundenen Reflexionen ergehen, durch den Winter über herrlich knirschenden Kies schreiten, mit der handgeführten Kamera rückwärts stets vor ihnen her im gleichen Schrittrhythmus, dann geht es nicht um „gesellschaftliche Fragen“ – man möchte dann einfach diese ohnehin lange Szene gerne noch viel länger dauern sehen. Des Momentes wegen. Weil DER GLANZ DES TAGES überhaupt, vor allem jedoch in solchen Augenblicken ein faszinierendes Beispiel dafür bietet, wie ein Film sich einerseits treiben lassen kann, ohne getrieben zu werden, zugleich eine souveräne Kontrolle hat, die man selten am Werk sieht. Und dabei: ein Vertrauen – und da hat die Jury Recht – auf die Figuren und, ganz wichtig: deren Geschichte.

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Ein Festival wie der Max Ophüls Preis verführt, gerade weil sich hier die junge deutschsprachige Filmszene versammelt, zur Suche nach Tendenzen und Strömungen, auch wenn so ein Erst- oder Zweitfilm meist einige Jahre Vorlauf hat und das behandelte Thema bereits während des Studiums den oder die Macher umtrieb (wie bei FÜNF JAHRE LEBEN – dazu später mehr). Und tatsächlich ließen sich gewisse „Cluster“ unterschiedlichster Art auch dieses Jahr in Saarbrücken ausmachen. Etwa, dass nach den starken Frauen und den ungestümen, dabei herzergreifend kindsköpfigen Jungmännern immer wieder eine dysfunktionale oder abwesende Mutter eine Rolle spielte. Etwa in dem Wettbewerbskurzfilm GASP (D 2012, R: Eicke Bettinga) oder in NERVEN BRUCH ZUSAMMEN (Ö 2012), der Doku des EXILE FAMILY MOVIE- und EIN AUGENBLICK FREIHEIT-Regisseurs Arash T. Riahi über ein Übergangswohnheim für Frauen in „Stresssituation“ (ein Film, der mich qua Thematik und Zugriff nicht so sehr mitriss wie Riahis Vorgängerfilme). In TALEA (Ö 2013, R: Katharina Mückenstein; Preis der saarländischen Ministerpräsidentin) war das der Fall, in dem die tolle Nina Proll eine Mutter spielt, die frisch aus dem Knast mit ihrer Tochter (Sophie Stockinger) zunächst wenig anzufangen weiß, während das Mädchen, an der Schwelle zur Frau, sich wiederum über sie und in ihr eine Art Ich-Findung und Wegweiserin erhofft. In SCHERBENPARK (D 2012, R: Bettina Blümner, nach dem Roman von Alina Bronsky) fehlt die Mutter, wurde erschossen vom nun inhaftierten Stiefvater, was sich die jungen Sascha (Jasna Fritzi Bauer) nicht verzeihen kann und sie zu einer Kratzbürste werden lässt, die sich durch drei merkwürdige Männerbeziehungen im Film bewegt (auch zu diesem Film, der den Drehbuchpreis in Saarbrücken gewann, ein andermal mehr). 

Ebenfalls in Saarbrücken zu beobachten: Ein Hang zum Genre. Dieser mag allerdings in den vergangenen Jahren nicht weniger ausgeprägt gewesen sein, 2013 gleichwohl deshalb so auffiel, weil er leider oft nicht ganz überzeugte oder geradewegs verunglückte. 

GREY SHEEP (D/USA 2012, R: Nicolai Schwarz) etwa huldigt und eifert dem Hollywoodkino nach, und wie der Film das mit Inbrunst und einer fast heiligen Großäugigkeit tut, ist so bestechend, wie die demonstrierte Freude am bzw. die Wahl des Sujets, dem Sentiment, dem Setting (gedreht tatsächlich denn auch in den USA, mit Darstellern von dort, auf Englisch) an sich schon Respekt abnötigt. Die Story: Slacker Lucas (Daniel Hayek) sucht seinen bis dato unbekannten Halbbruder, den in seinem Job verbiesterten Schönheitschirurgen Jonathan (Chase Hemphill) auf. Beider Vater liegt im sterben, aber Jonathan, ohnehin grantig auf den Papa, zu dem er keinen Kontakt hat, und auf dem Weg zu einem wichtigen Geschäftstermin, lässt sich gerade mal breitschlagen, den nervigen Familienneuzugang ein Stück des Weges im Cabrio mitzunehmen. Woraus sich natürlich prompt ein Odyssee nach bekanntem Muster entwickelt, die wenig Neues, geschweige denn Überraschendes, vor allem in puncto Charakterentwicklung und emotionalen Botschaft bereithält, die aber gleichwohl oft erstaunlich witzig gerät. Ein Feel-Good-Movie mit Odd Couple und Happy End, das warm ums Herz werden lässt, das aber, kaum dass man aus dem Kinosaal war, sich so schnell wieder aus dem Hirn verflüchtigte wie Zuckerwatte im Mund. Zumal der günstig produzierte GREY SHEEP bildästhetisch (Stichwort Video-Optik) wie darstellerisch sympathisch, aber zu unterversorgt ist, als dass man ihm in der Hinsicht hätte etwas dauerhaft abgewinnen können. Als Visitenkarte für das echte Hollywood aber vielleicht tauglich.

Mit ordentlich Furor und sicherer Hand blickt auch Murat Eyüp Gönültas mit seinem Kurzfilm HONEYMOON HOTEL über den Großen Teich, auf Rodriguez, Tarantino und Co. Eine überdrehte überästhetisierte Situationsminiatur, eine wildes Pärchen, ein Team von Polizeieinsatzkräften unter Führung eines vernarbten Fieslings und ein Priester mit Handgranate. Das hat deutliche Wumms, ist überbordend und lustvoll kopiert und zusammengestückelt – gleichwohl eben nicht mehr als eine Fingerübung ohne erkennbar Eigenes. Handwerklich bemerkenswert für einen Studentenzwischenfilm und zugleich gerade in dieser Perfektion schal, wirft HONEYMOON HOTEL als reine Pose doch die Frage auf, ob hier später auch das Zeug (oder der Zug) zu etwas Originellem mal zu finden sein wird. Insbesondere, wenn die großen Vorbilder nicht von anderen, sondern sich selbst, bereits ein wenig totkopiert wurden …

Zum Fremdschämen leider Daniel M. Harrichs EIN SCHMALER GRAD (D 2013), der Dialogduell und Psychodrama sein will, freilich in einer Art, als wäre das Sujet des psychisch maroden serial killers nicht längst bei so etwas wie der TV-Serie Dexter gelandet: Felicitas Woll als kindheitstraumatisierte Journalistin befragt den verurteilten Serienfrauenmörder, gespielt von Heiner Lauterbach. Auch Jürgen Prochnow mit einem Knautschgesicht, dass das eines Tommy Lee Jones in Nichts nachsteht, verspricht als Polizist, der den Killer zur Strecke brachte, eigentlich spannendes Kino. Doch unter den steif-gedrechselten Holzdialogen, dem Seelenpathos oder dem wahlweise Verbrauchten, Vorhersagbare, Überkonstruierten oder Unausgegorenen der Story wird das Schauspielpotenzial des Films ebenso zerquetscht wie von den ulkig frisierten, allem anderen die Show stehlenden Toupets der beiden männlichen Charakterköpfe.

Einen interessanten, mit Crowd-Funding-Unterstützung finanzierten Zwanzigminüter  präsentierte Philippe Weibel. TRAPPED (CH 2012) schielt nicht nur mit seinem Titel und der Besetzung auf den internationalen Markt, sondern kommt in englischer Sprache daher, hat auch eine tragfähige Idee für einen international tauglichen Gruselfilm samt solide funktionierender Auflösung. Die Story: Zwei Studenten und Freunde (Oliver Walker, David Osmond) wollen weitab der Zivilisation in nicht genauer bezeichneten Wäldern Wölfe für ihren Abschluss beobachten. Diese machen sich rar, dafür entdeckt der eine der beiden am Fluss ein hübsches Mädchen (erst nackert, dann im weißen Kleid), die ihm leider entschwindet. Phantom? Zauber? Samenstau? Der andere glaubt ihm natürlich nicht, bis sie eine Korb Äpfel als Geschenk vor den Zelten finden – und später bosartige Schnappfallen in der Umgebung, in die der eine prompt hineintappt. Eine spannende Prämisse also offeriert TRAPPED, leider aber dauert dieser Kurzfilm de facto 92 Minuten, wirkt also wie eine unselig aufgeblähte Adaption einer ansonsten gelungenen Kurzgeschichte – und braucht entsprechend ewig, bis er anrollt, schindet auch zwischendrin einfach so viel Zeit, so dass man schlicht die Geduld verliert. Zumal einfach viele Situationen allzu etablierter Bestandteil des Genre-Repertoires sind (der eine Bub, vorhersehbar wie Ostern, erschreckt nachts den anderen), um mit ihnen hinreichend die Lücken zu füllen. Der Wald mag zwar hübsch fotografiert und in Szene gesetzt sein, leider dann doch nicht genug, dass TRAPPED allein durch seine Atmosphäre (oder die beiden Darsteller) bei der Stange hielte. Und selten – etwa wenn die mysteriöse Fremde im Fluss erscheint – hat man einen eine(n) derart dysfunktionalen Musik(einsatz) zur Untermalung erleben dürfen. 
Gut, vielleicht bin ich zu ungnädig, vielleicht habe ich den Film auch in einer ungünstigen Aufführung gesehen. Es tanzten nämlich allzu oft fremde, störende Lichtflecken über die Leinwand. Von der sich öffnenden Kinosaaltür. Durch die während des Films immer wieder Zuschauer entschwanden, ohne zurückzukommen…

Das Eröffnungsspektakel des MOP, ROBIN HOOD (D 2013) von Martin Schreier, hingegen machte trotz seines doofen Titels geradezu verbotenen Spaß, weil er schamlos stylisches Action-Hollywood in Deutschland versucht, mit Ken Duken als Polizist Alex (Rolle u. Darsteller: Arsch und Eimer!) der in allernächster Zukunft mit einer Gruppe Bankräuber (und in dem Sinne professionals) gegen eine böse Über-Bank (bzw. deren Chef) in den Kampf zieht, denn Bank und Banker tragen bzw. trugen zur allgemeinen Volksverarmung, Wohnungslosigkeit und – in diesem Sinne – zum Selbstmord von Alex‘ Schwester kräftig bei. Das ist alles zwar hinreißend dämlich, hoppla-hopp und zusammenkolportierend dahinerzählt, macht aber gerade deswegen, mit seiner großen Geste und einem – das muss man schlicht unterstellen - Augenzwinkernd, so sinnlos Laune im ja recht „KaWUMM!!“-freien Kontext des deutschen Kinos, dass man ROBIN HOOD wie einem dicken Bernadiner-Jungtier, das in der Küche großes Chaos anrichtet, gar nicht böse sein kann. Noch dicker, platter, lauter! mochte man ihm zurufen (zwischendrin war’s wirklich ein wenig actionarm). Und sich anschließend auf eine mögliche Fortsetzung als Serie auf Pro7 oder sonst wo freuen, auf die der Film vermutlich und klugerweise spekuliert.    
  
Dass in Deutschland Genre aber auch auf hohem Niveau erdacht und produziert werden kann, zeigt sich, zumindest im Bereich des ernsten Politthriller (oder -dramas), an Stefan Schallers FÜNF JAHRE LEBEN (läuft hier und da auch, noch, unter: KURNAZ – FÜNF JAHRE LEBEN) (D 2013). Einer der mitreißendsten Filme des 34. Max Ophüls Preis (nicht nur des Themas wegen). Einer, der durchaus Weltniveau hat und von dem man in Zeiten von ZERO DARK THIRTY mal träumen darf, dass er 2014 den Auslands-„Oscar“ für Deutschland holt…

Zu diesem und weiteren bemerkenswerten Filmen hier aber erst demnächst mehr.

(zyw)



Grindhouse-Nachlese Dezember 2012 / Januar 2013: „Savage Streets“ und „Planet der Vampire“, „Die alles zur Sau machen“ und „Attack the Block“



Cinema Quadrat, 29. Dezember 2012:
„Savage Street – Straße der Gewalt“ / „Savage Streets“, USA 1984, Regie: Danny Steinman
„Planet der Vampire“ / „Schrecken im Weltall“ / „Terrore nello spazio“, Spanien/Italien 1965, Regie: Mario Bava

Cinema Quadrat, 26. Januar 2013:
„Die alles zur Sau machen“ / „Villain“, GB 1971, Regie: Michael Tuchner
„Attack the Block“, GB 2011, Regie: Joe Cornish


Doppelpack zu gleich zwei Grindhouse-Doppelnächten; wobei einer dieser Filme nur der aktuell laufenden Englischen Woche nicht bei Aldi, sondern im Cinema Quadrat geschuldet ist: „Attack the Block“ war eh nur Ersatz für „Cockneys vs. Zombies“, der nicht erhältlich war, und sei auch gar nicht richtig platziert im Grindhouse-Programm, und sowieso nicht richtig repräsentativ, weil zu neu, zu teuer produziert, netter Spaß, mehr nicht, so die Kuratoren der Reihe. Nein, ich schreibe nicht über diesen Film, nehme ihn aber als willkommenen Anlass, auf das tragische Dahinscheiden der verdienstvollen Linksammlungsseite filmz.de hinzuweisen, die wegen fehlender Leserzahlen nicht mehr weitergeführt wird. Immerhin kann man sich hier nach wie vor mit umfassender Kritikensammlung über „Attack the Block“ informieren.


Was das britische Kino an richtig originellem Genrewahnwitz liefern kann, zeigt der Eurocrime-Thriller „Villain“ mit dem sehr passenden deutschen Verleihtitel „Die alles zur Sau machen“ – außer, dass es nicht mehrere, sondern nur einer ist, der die Sau rauslässt, nämlich Richard Burton. Der spielt den Gangster Vic Dakin, der seine Mutter liebt, schwul ist, ein Sadist, Psycho- und Soziopath, größenwahnsinniger Narziss und Rampensau im kleinkriminellen Londoner Milieu. Seine Handlanger warten auf irgendeinen Typen in dessen Wohnung, mäkeln über seine Einrichtung, haben Hunger; Dakin macht ein Nickerchen im Schlafzimmer. Das Opfer tritt ein, in Begleitung einer Dame, die gleich zum Teekochen geschickt wird. Dann wird das Opfer zusammengeschlagen, hat ein bisschen zuviel geredet bei den Bullen, Burton haut ihm mit seinen ringbesetzten Fingern tiefe blutige Kratzer ins Gesicht, holt dann ein Messer hervor. Schnitt, wir sehen das Dämchen beim Wasserkochen und hören einen entsetzlichen Schrei aus dem Nebenzimmer. Schnitt: Fußboden, auf den Blut tropft, drei, vier Tropfen nur, vollkommene Antiklimax: So schlimm kann’s also nicht gewesen sein. Erst später, als die Gangster das Mietshaus verlassen, ganz am Ende der Szene, sehen wir das Geschehene: An einen Stuhl gefesselt hängt das Opfer kopfüber aus dem Fenster im vierten Stock.

Messer, Gabel, Schere, Licht...
Michael Tuchner versteht es, Emotionen, Informationen, Spannungslinien durchzurütteln, aufzubauschen, zu retardieren, umzukehren und dann wieder drastisch zur Schau zu stellen. Irgendwann betritt eine Figur namens Wolfe die Szene, der seine Freundin auf einem Partywochenende eines schwulen Grafen einem notgeilen Abgeordneten zur Verfügung stellt. Er verkauft alles und jeden, sein Geschäft ist das Überleben, heilig ist ihm nichts, eilig hat er es immer, irgendwo irgendein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Vic lässt ihn suchen, mit recht brachialen Mitteln, seine Männer holen ihn ab, als er gerade Drogen verticken will. Bei Vic scheint er Manschetten zu haben, der hat sowieso immer einen drohenden Unterton in seinem Gebaren; jetzt bedankt Vic sich erstmal freundlich, dass Wolfe letztens nach dem werten Befinden der Frau Mutter gefragt hat; ist das ironisch gemeint oder nicht? Es ist klar, dass jetzt alles passieren kann. Die beiden gehen in Vics Schlafzimmer, knöpfen ihre Hemden auf, erst jetzt wird Vics Veranlagung klar. „Sei nicht so laut diesmal“, ermahnt er Wolfe, seine Mutter schläft im Zimmer obendrüber. Und haut ihn zusammen, bevor er sich vollends auszieht. Gewalt ist halt geil, Wolfe ist seine große Liebe, und wieder hat Tuchner in einer Szene die Harmonie der Widersprüche eingefangen.

Ein spannender Film ist dies zumal, es geht in der Hauptsache um einen Überfall auf einen Lohngeldtransport, der einigermaßen schief geht; zwei Polizisten, die eh verbissen an Vic dran sind, kommen ihm so auf die Spur. Auch der Überfall übrigens: nicht mit Feuerwaffen, nein, mit Nah- und Handarbeit wird hier vorgegangen, die Geldboten mit Schlagstöcken, die Gauner mit diversen sog. dumpfen Gegenständen, ein Hauen und Stechen; einer, der ständig über sein Magengeschwür klagt, kriegts voll in den Bauch, er wird später als erster überführt: Alle zwei Stunden muss er was essen, und an den Eierschalen am Tatort waren seine Fingerabdrücke… Da scheint dann die Banalität des Gaunerhandwerks auf. Trockener, lakonischer, ironischer Humor, ganz ohne Gags und Komik, bestimmt den Film, den es im Übrigen auf deutsch gar nicht auf DVD o.ä. gibt.

Rabiat ging’s auch im Dezember zu, Linda Blair nicht von einem Dämonen, sondern von Rache besessen in „Straße der Gewalt“, einem 80er-Jugendfilm mit Revenge-Thematik, irgendwo zwischen Highschool-Film und Selbstjustizthriller. Die erste Szene: Ein Junge, adrett angezogen, verabschiedet sich an der Haustür vom Herrn Vater, „aber um 11 Uhr bist du zurück“ – und schon hier erhält man einen stupenden Eindruck vom Film, als völlig willkürlich, ganz unmotiviert mitten in den Satz eine ungewollt verstörende Großaufnahme auf den Vater einmontiert wird: Hier sind anscheinend rechte Dilettanten am Werk. Was auch im weiteren Verlauf immer wieder deutlich wird, was aber nicht unbedingt den Spaß verderben muss, dafür isses ja schließlich Grindhouse.
Der Junge jedenfalls entledigt sich hinter einem Busch seines Anzugs, zieht Lederklamotten an und mit seinen offenbar gewaltbereiten Kumpels los, Mädels anbaggern. Darunter an diesem Abend: Die Girlieclique um Brenda, in sexy Outfits und mit flotten Sprüchen unterwegs, und mit Brandas kleiner Schwester, Typ graue Maus hinterm Ofen, hochgeschlossene Bluse und verschüchterter Blick. Sie ist taubstumm. Muss man mehr sagen?

Sie wird das Opfer, in der Schulturnhalle, Gruppenvergewaltigung durch die Jungsgang. Die Mädels suchen sie: „Heather! Wo bist du?“ Tja, was soll man sagen: „Was schreit ihr so rum, sie ist doch stumm!“ Hier immerhin wird sich der Film seiner selbst bewusst. Weiter geht es mit Brendas Ermittlungen, wer die Bösewichter waren; und im übrigen, völlig an den Haaren herbeigezogen, ein blindes Motiv ohne jedes dramaturgische pay off: Die Jungs killen eine weitere Freundin von Brenda, was die freilich erst erfährt, als sie die ersten der Schurken umbringt.
Immerhin ist das eine entlarvende Szene: Wie der Gangleader das Mädchen von einer Brücke schmeißt und der jüngste Kumpel, der aus der Anfangsszene, der so gerne wichtigtuerisch dabei wäre und quasi als Lehrling mittut, voller Enttäuschung ausrufen lässt: „Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ Wie es eben Verliebte tun, wenn sie sitzengelassen wurden. Denn offenbar von Regisseur Danny Steinman unbemerkt sind die vier Typen alle total schwul und verdrängen die Neigung durch affirmativ maskulines Auftreten, mit Tittenpacken an unbeteiligten Damen und Vergewaltigung. Bei diesem Gewaltgangbang ein zweiter entlarvender Moment: Der „Verrückte“ in der Truppe, mit pseudopunkig rotgefärbtem Haar, eine Mischung aus Clockwork-Droog, Mad Murdock und Lumpi von Schlotterstein, nimmt den Anführer im Überschwang der Gefühle mitten in der Taubstummenvergewaltigung in den Arm und küsst ihn offen auf den Mund. Hat Regisseur Steinman das mitbekommen?

Zynisch ist der Film obendrein, vielleicht ein Zynismus aus Dilettantismus, wer weiß das schon: Jedenfalls schneidet der Film unverfroren zwischen der brutalen Vergewaltigung und einem aufreizenden Catfight zweier nackiger Schülerinnen im Duschraum hin und her; offensichtlich ist es dem anvisierten Zielpublikum wurscht, woran es sich aufgeilen soll.
Während der Vergewaltigung...
Andererseits gehören derartige Reize natürlich zu den Versprechen, die ein Film wie dieser gibt; und Steinman hält auch einige davon. Lässt volle Brüste unter engen Tops wippen, die Damen beim Schulturnen zotige Witze reißen, die Lehrerin schickt dann alle unter die Dusche – und gleich darauf gleitet die Kamera an einer Reihe nackter Mädchenleiber entlang, dass es eine wahre Freude ist. Wenn die prallen Möpse hüpfen, dauert’s nicht lang, bis den Mädels das Oberteil runtergerissen wird. Nur am Ende bricht Steinman das große Versprechen: Brenda (die wir zuvor nackt in der Badewanne gesehen haben) kleidet sich in engem Leder ein, ein schwarzer Racheengel, der sich mit diversen Waffen ausstattet, unter anderem eine Armbrust – die dann aber doch nur so nebenbei, wenn überhaupt, zum Einsatz kommen. Das ist dann doch enttäuschend, dramaturgisch sowieso, weil viel zu glatt in einem Rutsch die Bösewichter gekillt werden; aber halt auch, weil man die hier servierte Rache doch zu sehr Fast Food ist.

Betrug natürlich auch der Titel „Planet der Vampire“; handelt es sich doch eher um so was wie Körperfresser, oder körperlose, feinstoffliche Zombies, geschult am 1956er „Forbidden Planet“. Diese Seelen, die sich der Psychen intergalaktischer Raumfahrer zu bemächtigen versuchen, werden halt mal von irgendwem im Film als Vampire bezeichnet, da hat man schnell einen catchy Filmtitel weg.
Mario Bava hat dieses große Science-Fiction-Werk geschaffen, die bunten Sixties gehen einher mit der untergründigen 50er-Paranoia – oder ist es schon die der 70er? Raumfahrer unterwegs, werden von einem geheimnisvollen Planeten angezogen, dort wabert der Nebel in schönster Gothic-Manier, bizarre Felsformationen stehen rum, merkwürdige Verhaltensweisen brechen auf, die Toten erstehen wieder aus ihren Gräbern auf, in einem Höhleraumschiff riesenhafte, tot erstarrte Außerirdische, und alles so schön bunt, in kräftigen Primärfarben, goldgelbe Helme, rotleuchtende Lichter vor bläulichem Hintergrund. Bava halt, der ein Meister des Designs ist. Und ein paar nette Spannungsmomente reinbringt, wenn sie auch wenig mit der eigentlichen Handlung zu tun haben – tote Lebensformen etwa auf sonarer Basis, wo alles per Schall funktioniert, Eingesperrte müssen das richtige Geräusch zum Öffnen der Türen finden. Das wird gerne mal lustig, wenn wieder und wieder irgendwer alleine zurückgelassen wird, um Wache zu halten… Dass er sterben wird, könnte nicht nur der Zuschauer, auch der Protagonist wissen.
Ein schöner Film jedenfalls, in ästhetischer Hinsicht sowieso; und mit einer der ganz grandiosen Schlusspointen der Filmgeschichte.


Harald Mühlbeyer

MOP 2013: Die Preisträger

Einmal mehr ist es rum, das Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken, nun zum 34. Mal. Wir gratulieren den Gewinnern! Und ehe wir in den nächsten Tagen Preisträger und weitere Filme des Festes vorstellen und besprechen, hier zunächst die Übersicht der Ausgezeichneten:

- Max-Ophüls-Preis: DER GLANZ DES TAGES (v. Tizzi Covi und Rainer Frimmel)
- Bester Kurzfilm: GRUPPENFOTO (v. Mareille Klein)
- Bester Dokumentarfilm: DRAGEN WENDE – WEST BERLIN (v. Dragan von Petrovic, Lena Müller)
- Publikumspreis Langfilm: KOHLHAAS ODER DIE VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DER MITTEL (v. Aaron Lehmann)
- Publikumspreis mittellanger Film: STUFE DREI (v. Nathan Nill)
- Publikumspreis Kurzfilm: MEINE BESCHNEIDUNG (v. Arne Ahrens)
- Fritz-Raff-Drehbuchpreis: SCHERBENPARK (Buch: Katharina Kress, Regie: Bettina Blümner)
- Beste Nachwuchsdarstellerin: Jasna Fritzi Bauer (SCHERBENPARK)
- Bester Nachwuchsdarsteller: Max Mauff (IN DER ÜBERZAHL v. Carsten Ludwig)
- Interfilm-Preis: FÜNF JAHRE LEBEN (v. Stefan Schaller)
- Preis der Jugendjury: FÜNF JAHRE LEBEN (v. Stefan Schaller)
- Förderpreis der DEFA-Stiftung: DER KAPITÄN UND SEIN PIRAT (v. Andy Wolff)
- Filmpreis der saarländischen Ministerpräsidentin: TALEA (v. Katharina Mückstein).

Screenshot REGION: Meisterschüler Michael Schwarz stellt aus

Der Mainzer Filmemacher Michael Schwarz, neben Alexander Griesser zweiter Kopf von Nachtschwärmerfilm, präsentiert seine Arbeiten: Am 8. Februar um 20.30 Uhr gibt es in Kooperation mit der Kunsthochschule Mainz seine Meisterschüler-Werkschau im CinéMayence (Schillerstraße 11, 55116 Mainz) zu sehen.

Gezeigt werden
- "Advent", Dokumentarfilm, 2009, 3 min.
- "Der König der Statisten", Dokumentarfilm, 2007, 19 min.
- "Dolce Vita", Dokumentarfilm, 2008, 13 min.
und der prämierte Festivalliebling "Kursdorf" (Dokumentarfilm, 2011, 15 min.).

Natürlich wird Michael Schwarz, zusammen mit Protagonisten seiner Filme, anwesend sein und zum Gespräch bereitstehen.

Nach dem Abitur arbeitete Schwarz bei zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen, unter anderem bei der Bavaria Film, für die ZDF-Serie "Siska" und im Auftrag der Neuen Münchner Fernsehproduktion als Script Supervisor und Regieassistent.

Von 2002 bis 2007 studierte er Film- und Theaterwissenschaften in Mainz, daneben arbeitete er freiberuflich als Regisseur und Regieassistent. Seit 2007 Studium an der Filmklasse der Akademie für Bildende Künste Mainz – im gleichen Jahr Gründung von "nachtschwärmerfilm" zusammen mit Alexander Griesser. Nach seinem Diplom 2011 wurde Michael Schwarz Meisterschüler bei Prof. Dr. Harald Schleicher (Kunsthochschule Mainz, Filmklasse) und arbeitet weiterhin als freiberuflicher Regisseur und Autor.


zyw

Max Ophüls Preis 2013 - mit KAPTN OSKAR


Bald startet es, zum 34. Mal: das Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken. Auf dem Festival für den deutschen und deutschsprachigen Nachwuchs wird sich für uns, vor allem aber für SIE einmal mehr Screenshot-Redakteur und ANSICHTSSACHE-Co-Herausgeber Bernd Zywietz herumtreiben. Und er freut sich jetzt schon auf den neuen Streich von Tom Lass (PAPA GOLD), der neben 15 anderen Werken im Spielfilmwettbewerb laufen wird.

KAPTN OSKAR heißt der Film, in dem neben Lass selbst auch Amelie Kiefer (zuletzt weithin zu bestaunen als Jacob Matschenz‘ kleine Schwester in 3 ZIMMER/KÜCHE/BAD) und Martina Schöne-Radunski zu sehen sein werden. Uraufführung hat KAPTN OSKAR am Mittwoch, den 23.1. um 21.45 Uhr im Cinestar 3 (weitere Termine: Do., 24., um 20.00 Uhr im Filmhaus, am Freitag, den 25., um 13.00 Uhr im Cinestar 1 und am Sonntag um 18.00 Uhr um Cinestar 2).

Zum Inhalt:
Nachdem seine letzte Freundin Alex (Martina Schöne-Radunski) seine Wohnung angezündet hat, wohnt Oskar (Tom Lass) in einer Kellerabsteige und ist kurz davor, selber zu veröden. Eines Nachts trifft er auf Masha (Amelie Kiefer), eine Beziehung bahnt sich an. Wäre da nicht Oskars Ex-Freundin, die nicht bereit ist, die Trennung zu akzeptieren. Oskar flüchtet sich in die Überzeugung, Masha sei die Richtige, mit der Ahnung, dass ihre Vorstellungen vom Leben sie auseinander treiben wird.

Mehr zu KAPT OSKAR (z.B. den Trailer) finden Sie HIER

Die übrigen Wettbewerbskandidaten des MOP HIER

Und wer mehr über Tom Lass und der Entstehung von KAPT OSKAR lesen will, kann das bald im Beitrag „German Mumblecore“ von Bernd Zywietz in ANSICHTSSACHE – ZUM AKTUELLEN DEUTSCHEN FILM.