Die letzte Versuchung Robert De Niros (Teil 2)

Bestandsaufnahme einer ebenso einzig- wie eigenartigen Karriere


von
Jochen Thielmann


(Den ersten Teil dieses Beitrags finden Sie HIER)


V. Vom ernsthaften Mimen zum Komödiant

Wem ist John Polson ein Begriff? Was macht Mary McGuckian?



Die Auswahl der Filmprojekte mag bei Robert De Niro teilweise wahllos anmuten. Im Internet werden immer wieder Fragen laut, wie dieser Schauspieler, dessen Credo zu Beginn der Karriere „Your talent is your choice“ lautete, manche Filmprojekte annehmen konnte. Bei der Lektüre des Buches „What just happened“ des Produzenten Art Linson lässt sich jedoch feststellen, dass De Niro beileibe nicht jeden Film dreht, der ihm angeboten wird. (In der späteren Verfilmung dieses Buches durch Barry Levinson spielte De Niro zwar mit, aber nicht sich selbst, sondern die an Linson angelehnte Figur des Produzenten.) Und bei genauerer Betrachtung lässt sich dann auch erkennen, dass Robert De Niro sich nicht geändert hat, was seinen Zugang zu einem Filmstoff angeht. Es hat immer persönliche Vorlieben und Interessen gehabt, die seine Filme offenbarten. Dabei ging einerseits um bevorzugte Genres, andererseits um besondere Themen. Und standen in seiner Karriere lange Zeit die Gangsterfilme und die ernsten Dramen im Vordergrund, so hat sich De Niro offensichtlich irgendwann vorgenommen, das Genre der Komödie zu erobern, nachdem er als dramatischer Schauspieler alles erreicht hatte.

Ein Grund dafür, dass De Niro in den letzten Jahren weniger große Filme gedreht hat, ist auch in seiner Ambition zu sehen, sich vermehrt als Komödiant zu versuchen. Für ihn war es eine Herausforderung, sich als Komödiant zu profilieren, nachdem sein erster Versuch in diesem Bereich – BOGART SLEPT HERE von Mike Nichols nach einem Drehbuch von Neil Simon – Mitte der 70er Jahre nach einigen Drehtagen abgebrochen worden war. Ende der 80er Jahre hatte er zunächst in der Buddy-Komödie MIDNIGHT RUN und dann in der Farce WE`RE NO ANGELS (Wir sind keine Engel, 1989) mitgewirkt, aber dieser Film wurde trotz Neil Jordan am Regiepult und Sean Penn an seiner Seite zu einem der größten Flops seiner Karriere. (Der Film gehört allerdings zu denjenigen, die ein Rückblick rehabilitieren würde, denn er ist bei weitem nicht so misslungen, wie damals von der Kritik dargestellt.) Doch das Schicksal änderte sich und heute ist Robert De Niro bei den jüngeren Kinogängern in erster Linie als ehemaliger CIA-Agent Jack Byrnes populär – seines Zeichens Schwiegervater von Ben Stillers Gaylord Focker. Finanziell waren die Einspielergebnisse der „FOCKER-Trilogie“ das erfolgreichste, was Robert De Niro in seiner langen Karriere passiert ist. In dieser Hinsicht ist ein Abstieg im letzten Jahrzehnt demnach nicht zu konstatieren, sondern eher das Gegenteil. Daneben gab es komödiantische Highlights mit WAG THE DOG, ANALYZE THIS oder zuletzt auch MACHETE (2010), die De Niro als „ernsthaften Komödiendarsteller“ etablierten. Dabei ist festzuhalten, dass De Niro natürlich von seiner filmischen Vergangenheit als Darsteller von harten Kerlen profitiert, wenn er einen Mafia-Boss mit Angstattacken, einen Vater mit übersteigertem Beschützerinstinkt oder einen korrupten Senator gibt.



Da Komödien bekanntermaßen nicht so hoch bewertet werden wie Dramen, leidet De Niros Ruf zwangsläufig unter dieser Entscheidung, die zudem auch missratene Filme wie SHOWTIME (2002) oder ANALYZE THAT (Reine Nervensache 2, 2002) hervorgebracht hat. Innerhalb dieses Genres nahm der Schauspieler sogar das Risiko in Kauf, mit Trickfiguren aufzutreten, was sowohl eine schauspielerische Herausforderung darstellt als auch die Gefahr beinhaltet, an die nicht wirklich existierende Wand gespielt zu werden. THE ADVENTURES OF ROCKY AND BULLWINKLE (Die Abenteuer von Rocky und Bullwinkle, 2000) war in dieser Hinsicht ein mutiger Versuch, doch der Film fand kein großes Publikum. Daneben hat De Niro auch Sprechrollen in zwei Animationsfilmen übernommen, die ebenfalls seinen Weg zu einer verstärkt spielerischen und leichteren Rollenauswahl kennzeichnen.


VI. Vom Alleinunterhalter zum Mannschaftsspieler

Sagt Ihnen denn der Name George Tillman jr. etwas? Und wer zum Teufel ist Tom Dey?

Als aufstrebender Jungschauspieler wollte Robert De Niro seinen Filmen seinen Stempel aufdrücken. Es waren seine Filme, er stand im Mittelpunkt, seitdem er für THE GODFATHER PART TWO den Oscar gewonnen hatte. Schon etliche Filmtitel verdeutlichen, dass es hier jeweils um De Niros Hauptfigur ging: um den TAXI DRIVER, um THE LAST TYCOON, um THE DEER HUNTER, den RAGING BULL und THE KING OF COMEDY. Nach dem Rückzug in Nebenrollen Mitte der 80er Jahre und dem Beginn der Vielfilmerei ab Ende der 80er Jahre waren diese Zeiten vorbei. (Bezeichnenderweise gab es seitdem nur zwei Filmtitel, der sich auf die De Niro-Figur bezogen: JACKNIFE und THE FAN. Ebenso spielte er in Filmen mit, deren Titelfigur andere Schauspieler darstellten, von JACKIE BROWN (1997) über STONE bis MACHETE.)



Das soll nicht heißen, dass De Niro in seinen jungen Jahren keine gleichwertigen Co-Stars an seiner Seite duldete. Davon zeugen Gerard Depardieu in NOVECENTO, Liza Minnelli in NEW YORK NEW YORK, Robert Duvall in TRUE CONFESSIONS oder seine erklärte Lieblingspartnerin Meryl Streep in FALLING IN LOVE (Der Liebe verfallen, 1984). Er hat bis heute keine Probleme damit, gleichwertige Partner zu haben (Sean Penn in WE`RE NO ANGELS; Jane Fonda in STANLEY & IRIS (1989), Robin Williams in AWAKENINGS, Al Pacino in HEAT und RIGHTOUS KILL, Billy Crystal in ANALYZE THIS, Edward Norton in STONE), Und das Beispiel WAG THE DOG beweist eindrucksvoll, dass er einem Dustin Hoffman das Feld völlig überlässt, wenn dies für den Film von Vorteil ist: sein Präsidentenberater Conrad Brean, der zu Beginn noch der Mann war, nach dessen Pfeife alle tanzten, begibt sich in der Sekunde in den Hintergrund, in der Hoffmans Hollywood-Produzent die Bühne betritt. Keine Eitelkeiten führen dazu, den Filmen zu schaden, denen er sich verpflichtet hat.

Robert De Niro hat sich aber im Laufe der Zeit zu einem Mannschaftsspieler entwickelt, der sich eingliedert und unterordnet. Das zeigt sich auch daran, dass er sich weiterhin in vielen Filmen mit Nebenrollen zufrieden gibt (BACKDRAFT (1990), GREAT EXPECTATIONS (Große Erwartungen, 1998), WITHOUT LIMIT (Ohne Limit, 2011)) oder sich in Ensemblefilmen mitwirkt (COPLAND, THE BRIDGE OF SAN LUIS REY, STARDUST, MACHETE, NEW YEAR`S DAY). Seine Bedeutung für die einzelnen Filme ist dementsprechend gemindert, die Parts sind nicht mehr so herausragend und belohnend wie früher. Dies ist ein weiterer Grund dafür, warum Robert De Niro als Darsteller nicht mehr so sehr glänzt wie in den Anfangsjahre seiner Karriere. Er möchte dazugehören anstatt herauszuragen.


VII. Wie ein altes Ehepaar

John Herzfeld? Oder Des McAnuff?

Robert De Niro und Martin Scorsese haben insgesamt acht Filme als Regisseur und Hauptdarsteller miteinander gedreht. (Drei weitere Zusammenarbeiten waren das Treffen vor der Kamera in GUILTY BY SUSPICION (Schuldig bei Verdacht, 1991), der von Scorsese produzierte MAD DOG AND GLORY und die gemeinsame Sprecherarbeit bei SHARK TALE.) Mit keinem anderen Regisseur traf sich De Niro in seiner Karriere öfter, mit keinem war die Zusammenarbeit enger. RAGING BULL, THE KING OF COMEY und CAPE FEAR initiierte De Niro, MEAN STREETS, NEW YORK NEW YORK, GOODFELLAS und CASINO waren Scorseses Projekte. (TAXI DRIVER ist beiden bzw. Paul Schrader zuzuordnen.) Die Frage nach dem Einfluss von Martin Scorsese auf den Ruf und Stellenwert, den De Niro besitzt, mag sich stellen, wenn besonders die gemeinsamen Filme herausragen. De Niro selbst hat darauf bei der Verleihung des Life Achievement Award des American Film Institute an seinen Lieblingsregisseur im Jahre 1997 kurz angespielt, als er sagte: „Ich bin heute extra aus Buffalo hierher geflogen und habe mich gefragt, wo ich wohl jetzt sein würde, wenn es Martin Scorsese nicht geben würde. Und ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich heute Abend in Buffalo gewesen wäre.“ Ein Spaß, sicherlich, aber er zeugt von De Niros Selbstverständnis, es durch eigene Stärke geschafft zu haben, was Scorsese mit einem wissenden Nicken bestätigte. Letztendlich hat Scorsese genauso von De Niro profitiert wie umgekehrt. Niemand kann De Niro besser einsetzen als Scorsese und niemand ist für Scorseses Filme besser geeignet als De Niro – trotz der hervorragenden Arbeit von Leonardo Di Caprio.



In den letzten zehn Jahren hat es zwei Scorsese-Filme gegeben, in denen Robert De Niro an der Seite Di Caprios eine Hauptrolle hätte spielen sollen. Zunächst war er als „Bill the Butcher“ in GANGS OF NEW YORK (2002) vorgesehen. Ein junger De Niro hätte sich niemals die Chance entgehen lassen, für dieses Lieblingsprojekt von Martin Scorsese sechs Monate lang in Rom zu drehen. Ein älterer De Niro sah die Dinge anders und entschied sich dafür, in New York zu bleiben, um sich ausreichend seinen Kindern widmen zu können. Mit dieser Begründung stieg er aus dem Projekt aus. Die verschobenen Prioritäten werden dem Familienleben Robert De Niros zugute gekommen sein, aber nicht seiner Karriere, denn „Ersatzmann“ Daniel Day-Lewis bewies eindrucksvoll, welches Potential in der Rolle lag. Und auch in Scorseses Oscar-Gewinner THE DEPARTED (Unter Feinden, 2006) sollte De Niro ursprünglich als Mafia-Boss sein Unwesen treiben, was er jedoch aufgrund der Arbeiten an seiner zweiten Regie-Arbeit THE GOOD SHEPARD absagen musste. Immerhin ist uns dadurch das besondere Vergnügen zuteil geworden, einmal Jack Nicholson in einem Martin Scorsese-Film gesehen zu haben.

Im Jahre 2010 erhielt Martin Scorsese den Cecil B. DeMille Award aus den Händen von Robert De Niro und Leonardo Di Caprio. De Niro begann seine Laudatio mit den Worten: „In den ersten zwanzig Jahren unserer Karriere machten Marty und ich einen Film nach dem anderen zusammen. In den letzten zehn haben wir einander Preise überreicht. Wir sind wie ein altes Ehepaar. Wir haben uns zusammen ein Leben aufgebaut, wir haben großartige Erinnerungen, wir schlafen nur nicht mehr miteinander.“ Es gibt Hoffnung, dass sich dies irgendwann noch einmal ändert. Erst vor wenigen Wochen ließ Scorsese verlauten, im nächsten Jahr den Film THE IRISHMAN angehen zu wollen, mit De Niro, Al Pacino, Joe Pesci und Harvey Keitel in den Hauptrollen. Es wäre uns und De Niro und uns zu wünschen, dass sich beide noch einmal finden. Die Abstinenz seit mittlerweile sechzehn Jahren – CASINO erschien 1995 – ist ein weiterer Grund dafür, warum die Karriere De Niros derzeit nicht reich an cineastischen Höhepunkten ist. Ein Wiedersehen auf einem Filmset anstatt einer Preisverleihung würde Robert De Niro derzeit sicherlich mehr nützen als seinem alten Weggefährten Martin Scorsese.


VIII. Vom Gipfel zurück in die Niederungen

Wo haben Sie die Namen Matthew Vaughn und Paul Weitz schon einmal gehört?

Ende der 80er Jahre wurde Robert De Niro in einem Interview gefragt, wie er seine Zukunft sehe. Und er antwortete, dass er mit jungen Regisseuren arbeiten wolle, dass man ihm bitte Projekte zuschicken solle, an denen man gemeinsam arbeiten könne. Vielleicht hat man damals gemeint, dass dieser Aufruf und diese Öffnung gegenüber jungen Filmemachern nicht ganz ernst gemeint war, nur für eine bestimmte Phase und nur für besondere Projekte galt. In den folgenden Jahren arbeitete er zwar mit dem unbekannten John McNaughton bei MAD DOG AND GLORY zusammen, ansonsten aber zumeist mit etablierten Hollywood-Regisseuren, wobei er bei der Wahl seiner Regisseure in keine Richtung Berührungsängste zu besitzen scheint. Es tauchen Altmeister wie Martin Ritt und John Frankenheimer auf, persönliche Freunde wie Irwin Winkler und Barry Primus und auch Regisseure des Kommerz-Kinos wie Tony Scott und Joel Schumacher. Barry Levinson und Michael Mann stehen neben Michael Caton-Jones und Alfonso Cuaron sowie Filmemacherinnen wie Penny Marshall und Agnes Varda.



Neben dieser Aufstellung mit bekannten Namen kommen inzwischen immer mehr Filme hinzu, in denen Robert De Niro unter der Regie von Unbekannten auftritt. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Schauspieler hier aus einer Not eine Tugend machen will, denn sicher könnte er weiterhin mit den besten Regisseuren Amerikas arbeiten. Stattdessen unterstützt er junge Leute, die durch die Verpflichtung von Robert De Niro der Realisierung ihres Projekts ein großes Stück näher kommen. Man muss zu dem Schluss kommen, dass es unter den Filmstars keinen größeren Förderer junger und unbekannter Filmemacher als Robert De Niro gibt, der nach seinem eigenen Gipfelsturm – den er auch zu einem guten Stück damals unbekannten Talenten wie Brian De Palma und Martin Scorsese verdankte – wieder an den Ausgangspunkt seiner Karriere zurückkehrt und junge Talenten Starthilfe gibt.

Der Hauptgrund für den Rückgang an Filmklassikern in De Niros Filmografie hat mit dieser außergewöhnlichen Bereitschaft zu tun. Anfang der 90er Jahre hatten viele der Regisseure, mit denen De Niro seitdem zusammengearbeitet hat, noch keinen einzigen Kinofilm gedreht, waren gerade mal auf der Filmschule, wenn überhaupt. Die wenigsten hatten vor der Zusammenarbeit mit De Niro schon einen Kinoerfolg nachzuweisen – hier fällt eigentlich nur Quentin Tarantino ein. Selbst der mittlerweile etablierte James Mangold war zum Zeitpunkt von COPLAND nur ein hochtalentierter Filmemacher, dem aufgrund der Qualität seines Drehbuchs etliche Hollywoodstars beistanden. Aber all die anderen Newcomer, die im Laufe dieses Artikels genannt worden sind, hatten allenfalls bescheidene Independent-Hits vorzuweisen. De Niro gibt diesen jungen Filmemachern trotz ihrer Unerfahrenheit die Chance, mit ihm und – in der Folge – anderen namhaften Darstellern Filme zu drehen, und geht dabei bereitwillig das Risiko ein, dass einige davon missglücken. Die Themen der Filme scheinen dabei nicht entscheidend zu sein, sondern der persönliche Eindruck. Es lässt sich sagen, dass die Filme, die einer der größten Schauspieler des Business mit den Newcomern drehte, zwar unterschiedlicher Qualität waren, aber keiner der Filme als völliger Reinfall abzuqualifizieren ist. Jeder ist sehenswert und wird vor allem die Regisseure selbst ein großes Stück in ihrer Entwicklung weitergebracht haben, auch wenn viele danach wieder in der Versenkung verschwunden sind.

Eine Konsequenz dieser Vorliebe, in Filmen junger Regisseure mitzuspielen, ist, dass es sich dabei fast ausschließlich um Low-Budget-Produktionen handelt. Für amerikanische Verhältnisse ist ein Budget im Bereich von 25 Millionen Dollar weit unter dem Durchschnitt. Und etliche dieser Filme aus den letzten Jahren bewegen sich in diesem Bereich, angefangen von LIMITLESS und STONE über MACHETE, EVERYBODY`S FINE und WHAT JUST HAPPENED bis zu THE BIDGE OF SAN LUIS REY und GODSEND. Daraus folgt, dass diese Filme in vielen Bereichen nicht so ausgestattet sind, wie dies wünschenswert wäre. Dass ein Budget in dieser Größenordnung für einen großen Hollywoodfilm lächerlich ist, zeigt der Vergleich zu den geschätzten Kosten von LITTLE FOCKERS. Dieser Film soll unglaubliche einhundert Millionen Dollar gekostet haben. (Ein Fünftel davon erhielt Robert De Niro als Gage.)

In der Zukunft wird sich daran auch nicht viel ändern. Die nächsten Filme, die in den nächsten zwei Jahren mit ihm ins Kino kommen, sehen – neben den etablierten Davod O. Russell und Sean Penn – einige unbekannte Filmemacher im Regiestuhl sitzen. Es ist nicht zu erwarten, dass einer der Filme entweder Oscar- oder Blockbuster-Potential hat. Aber das bedeutet nicht, dass De Niro auf die Filme nicht stolz sein wird.


IX. Vom Filmschauspieler zum Filmemacher

Der Schauspieler Robert De Niro hat in den letzten zwanzig Jahren an dreiundvierzig Kinofilmen mitgewirkt. Kurz war davon die Rede, dass er zugleich bei zwei seiner Filme auch Regie geführt hat. Daneben ist er Familienvater und hat zwischenzeitlich eine im Jahre 2003 aufgetretene Krebserkrankung überwunden, die am Arbeitspensum nicht wirklich etwas geändert hat. Angesichts dessen sollte man meinen, dass damit das gesamte Tätigkeitsspektrum De Niros erfasst worden ist. Doch das ist es nicht.



1.
Mitte der 80er Jahre entschied sich Robert De Niro, seine eigene Produktionsfirma aufzubauen, um dadurch Filme in die Kinos zu bringen, hinter denen er voll und ganz stehen konnte. Dies war deshalb ein nachzuvollziehender Schritt, weil kein anderer Schauspieler seines Ansehens innerhalb weniger Jahre hat erleben müssen, dass um seine Filme in den USA derartige Streitigkeiten zwischen der Produktionsfirma und dem Regisseur entbrannten, in deren Folge nur in Europa der jeweilige „Director`s Cut“ in die Kinos kam. Das Trauerspiel begann mit Bernardo Bertoluccis NOVECENTO, der in Europa in zwei Teilen mit einer Laufzeit von insgesamt fünf Stunden und zwanzig Stunden lief, während der italienische Regisseur für den US-Markt einen einzigen Film schneiden musste, der dann auch an der Kinokasse floppte. Es folgte die unschöne Auseinandersetzung um Sergio Leones Meisterwerk ONCE UPON A TIME IN AMERICA, in Europa ein großer Erfolg, in Amerika in einer ohne Leone zusammengeschusterten, stark verkürzten und begradigten Version ein weiterer großer Reinfall. (Nicht nur für De Niros Co-Star James Woods war dies einer der wahren Tiefpunkte der amerikanischen Filmgeschichte.) Der einzige Konflikt, den ein Regisseur für sich entscheiden konnte, war „die Schlacht um BRAZIL“, der schon legendäre Streit zwischen Universal und Terry Gilliam, den dieser mithilfe der L.A. Filmkritiker gewann, die BRAZIL die Preise für den besten Film 1985, die beste Regie und das beste Drehbuch zusprachen. (Auf der DVD der renommierten Criterion Collection hat man die einzigartige Möglichkeit, die von Universal hergestellte Alternativ-Fassung des Films zu sehen. Wer diese beiden Fassungen gesehen hat, erkennt, dass zwischen einem Meisterwerk und einem Desaster ein ganz schmaler Grad besteht, der es schier unmöglich machen muss, bereits beim Lesen eines Drehbuchs die Qualität des fertigen Films zu kennen.)

Bis zur Auseinandersetzung um BRAZIL, als er mit Terry Gilliam im US-Fernsehen auftrat, hat sich Robert De Niro aus diesen Streitigkeiten immer herausgehalten, aber man kann sicher unterstellen, dass diese schlimmen Erfahrungen der Auslöser für Robert De Niro gewesen sind, einen großen Teil seiner Zeit in die Produktion von Filmen zu stecken, um die Arbeit der Kreativen vor der Einmischung der Administrativen zu schützen. Dies hatte zur Folge, dass seine volle Konzentration nicht mehr allein auf die Schauspielerei gerichtet sein konnte. „Tribeca Productions“ ist eine Herzensangelegenheit für Robert De Niro und hat sich mittlerweile als Produktionsfirma etabliert. In den meisten von De Niro produzierten Filmen spielt er selbst mit, aber es gibt daneben etliche Beispiele, in denen er als reiner Produzent fungiert, z.B. THUNDERHEART (Halbblut, 1992), FAITHLESS (Der Hochzeitstag, 1996), ABOUT A BOY (2002), STAGE BEAUTY (2004) oder RENT (2005).

2.
Schließlich hat der 11. September 2001 auch das Leben Robert De Niros maßgeblich beeinflusst. Sein Tribeca-Domizil lag in unmittelbarer Nähe des World Trade Centers. Es ist kein Wunder, dass der gebürtige New Yorker in der Folgezeit fast überall dort teilnahm, wo den Opfern der Anschläge gedacht wurde: bei der TV-Sendung „America: Tribute to heroes“, beim großen „Concert for New York City“ im Madison Square Garden oder als derjenige, der im amerikanischen Fernsehen den Dokumentarfilm „9/11“ der beiden französischen Dokumentarfilmer Jules und Gedeon Naudet ankündigte. Dabei sollte es jedoch nicht bleiben, und so war und ist er eine treibende Kraft hinter dem seit Mai 2002 jährlich stattfindendem „Tribeca Film Festival“, das der Stadt - vor allem diesem Teil der Stadt - wieder Leben einzuhauchen versuchte. Robert De Niro hat sich somit in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren vom reinen Darsteller zu einem Filmemacher im wahrsten Sinne des Wortes entwickelt.


X. Fazit

Es ist offensichtlich, dass die Karriere des Robert De Niro nicht so verlaufen ist, wie man dies Mitte der 80er Jahre vorhergesagt hätte. Der weitere Weg zeigt eine Gegenreaktion des Schauspielers, der zuvor innerhalb weniger Jahre in den Olymp der Schauspieler zu Marlon Brando oder Sir Laurence Olivier aufgestiegen war. Der prädestinierte Darsteller einsamer Helden war selbst einsam an der Spitze angelangt und so entschied Robert De Niro, möglichst viele Filme als Haupt- und Nebendarsteller zu drehen und zudem als Produzent zu fungieren. Es war absehbar, dass ihm so der Status des Unfehlbaren abhandenkam. Diese Entwicklung forcierte er dadurch, dass er bis heute mit besonderer Vorliebe Komödien drehte und mit unbekannten Filmemachern zusammenarbeitete, anstatt sich offensichtlichen Prestigeobjekten und prädestinierten Oscar-Filmen anzuschließen.

Im Jahr 1983 hatte Robert De Niro die Rolle in Scorseses THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (Die letzte Versuchung Christi, 1988) abgelehnt. Es mag jedoch sein, dass er sich mit dieser Figur und diesem Roman näher beschäftigt hat. Das Leben eines normalen Menschen als die letzte Versuchung zu begreifen, dies könnte bei Robert De Niro, dem gefeierten „Schauspielergott“, unbewusst die weitere Karriereplanung beeinflusst haben. Er ist in der Folgezeit von seinem Thron, auf dem er sich nie wohl gefühlt hat, heruntergestiegen, um mit den „normalen Menschen“ zusammenzuarbeiten, um einer von ihnen zu sein. Seitdem arbeitete De Niro scheinbar unentwegt mit seinen Kollegen an neuen Filmen, guten wie schlechten, erfolgreichen wie unprofitablen, originellen wie aufgebackenen, ambitionierten wie rein unterhaltenden. Und so ist es gekommen, dass der Robert De Niro der letzten fünfundzwanzig Jahre niemals den Status hätte erreichen können wie der Robert De Niro der ersten zehn Jahre. Ohne die Anfangsjahre wäre er ein angesehener Charakterdarsteller des amerikanischen Films geworden, ein zwar erfolgreicher, aber relativ normaler Filmschauspieler, auf einer Ebene etwa mit Jeff Bridges. Und der sein Talent sicher nicht verschwendet hat.

Robert De Niro hat wohl sein Ziel erreicht.