Festival des deutschen Films: Heimat

"Der Brand" von Brigitte Bertele ist ein Heimspiel in Ludwigshafen. Die Handlung spielt in Mannheim, gedreht wurde teilweise in Ludwigshafen - direkt auf der Parkinsel, man kommt an den Drehorten vorbei auf dem Weg vom Parkplatz zum Festival. Unwohl wird es einem nicht, es sind zuviele Leute unterwegs - im Film aber ist das gefährlich: hier wird Judith nach einem Tanzabend brutal vergewaltigt, von Ralf Wester, der zuvor so charmant zu ihr gewesen war. Ein Martyrium.

Zuvor hatte Bertele Regie geführt bei "Nacht vor Augen", ebenfalls über die Nachwirkungen eines Traumas: ein Film über einen Afghanistan-Kriegsheimkehrer, der aber wirklich schlecht war in seiner Psychologisierung, in seiner oberflächlichen Einfühlung, in seiner populistischen Vereinnahmung des Themas offenbar ohne jede substantielles Erfahren und Erleben. "Der Brand" ist anders: Er folgt Judith im Versuch, die sexuelle Gewalterfahrung aufzuarbeiten, und geht dabei recht behutsam und nachvollziehbar vor. Wie sie nicht vergessen kann. Wie in ihr Scham und Wut, Hilflosigkeit und Rachegefühle aufleben. Wie sich die Umwelt nicht mit ihren Gefühlen identifizieren kann.

Zwar gibt es hier einige Holperer, was Dramaturgie und Zeichnung der Nebenfiguren angeht, einiges Unglaubwürdiges, einige scharfe Wendungen. Maja Schöne als Judith aber hält es zusammen, und Wotan Wilke Möhring als ihr Peiniger ist ein richtiges Ekel, der brave Familienvater, der sich hinter seinem Ruf als unbescholtener, hochangesehener Chriurg versteckt...
Der Anwalt aber, Florian David Fitz, ist von Anfang an als arroganter, inkompetenter emotionaler Krüppel gezeichnet - über merkwürdige Schlingungen wird er dann ihr Tröster, nicht nur im juristischen Sinn. Ihr Freund (Mark Waschke), zunächst einfühlsam und verständig, lässt sie mehr und mehr im Kalten stehen; auch das nicht ganz nachvollziehbar.
Judith wird vom Gesetz alleingelassen, es steht Aussage gegen Aussage - Ironie der Klatschspalengeschichte, dass Mannheim auch der Schauplatz des Kachelmann-Prozesses war. Und sie geht allein gegen ihren Vergewaltiger vor, macht sich mit dessen Ehefrau bekannt... Ob das ein ausgefeilter Vergeltungsplan ist, oder nur ungeplante, spontane Handlungen aus einer irre gewordenen Psyche heraus, bleibt ambivalent, das hat was für sich. Ob es allerdings sein muss, dass Judith sich "untenrum" immer wieder mit Eiswürfeln kühlen muss... das ist zwar eine schöne Metapher zum Filmtitel "Der Brand", der in ihr gelöscht werden muss. Wirklich logisch (oder auch psychologisch (im Sinne auch vom Kaleu in "Das Boot)) ist es doch nicht.

Immerhin hat sich Brigitte Bertele filmisch stark verbessert.

Eher schlimm ist ein zweiter "Heimat"-Film: "Das große Comeback" von Tomy Wigand, ein ZDF-Fernsehfilm von vor ein paar Jahren, war kein so großer Wurf für die Ehrung von Andrea Sawatzki, die mit dem Preis für Schauspielkunst des Festivals ausgezeichnet wurde. Seltsam auch, dass in Dr. Kötz Ansprache der Verweis auf den schönen "Vom Atmen unter Wasser" fehlte, in dem vor ein paar Jahren Sawatzki sehr intensiv eine trauernde Mutter spielte und der damals hier auf dem Festival lief...

Im "Großen Comeback" spielt sie eine stets besoffene Redakteurin eines Unterschichtenfernsehsenders mit dem anspielungsreichen Namen TL4, die eine weitere Niveaudrehung nach unten unternehmen muss, um ihre Karriere zu retten. Also stürzt sie sich auf Hansi Haller, erfolgloser Schlagerstar mit dem Wunsch nach einem Comeback und einigen wenigen Fans: sein Fanclub residiert in einem Kuhkaff mit dem anspielungsreichen Namen Bad Böhlen, da, wo daheim noch daheim ist. Uwe Ochsenknecht spielt ihn, er sieht aus wie Bohlen, haha. Ochensknecht ist natürlich nicht gut, wie könnte er; doch nur wenig unterscheidet sich Sawatzki von ihm, überdreht und überkandidelt spielen sie beide; was ja keine allzu große Leistung ist. Unter Wiegands Regie geht eh jede mögliche Subtilität flöten. Dann wird eine Liebesgeschichte zwischen Ochsenknecht und Valerie Niehaus behauptet, die sich nie entwickelt hat, und eine Freundschaft zwischen Ochsenknecht und einer alten Oma, die auch nie Zeit hatte zu wachsen, sondern einfach da war, weils im Drehbuch stand. Satire gegen Billig-TV bleibt auf wohlfeilem Niveau, und wenn man schärfer gegen die falsche Welt des Schlagers vorgegangen wäre, hätte das ZDF ja seine Stammkundschaft verprellt. So bleibt der Film von vorne bis hinten ziemlich gleichgültig; genau wie die Musik: da macht sich der Film einerseits leise über die billigen Schlager von Hansi Haller lustig, behauptet aber dann eine innere Wandlung, die sich in einem neuen Hit ausdrückt - der sich aber genauso falsch und verlogen anhört wie alles vorherige, auch in den Metaphern (die Sonne, die sich schämt...). Und die originale Filmmusik hört sich zudem noch genauso einheitsbreimäßig an...
Das war recht arm.

Harald Mühlbeyer