Festival des deutschen Films: Die Eröffnung

Ich bin etwas missmutig; und deshalb vielleicht auch ungerecht, was den Eröffnungsfilm "Schenk mir dein Herz" von Nicole Weegmann angeht. Nicht etwa, weil der Regen gestern das Sommerfeeling des Festivals des deutschen Films, in Zelten untergebracht, im Park am Rhein gelegen, zunichte gemacht hätte - das Ludwigshafener Festival hat immer viele Regentage, alles ganz normal also. Auch nicht, weil für den Eröffnungsfilm, auf 19 Uhr angesetzt, erst um sieben Uhr abends die Kinozelttüren geöffnet wurde, folglich eine Verspätung von 25 Minuten schon von Beginn an eingebaut war - das Festival fühlt sich als Star und hat seine Allüren, sprich: die Verspätung soll den Glanz des Abends veredeln, denn die vorgeschobene Begründung der Verzögerung (zu viele Besucher, Überbuchung) war ja nicht anderes als kokette Eitelkeit. Auch das wie immer. Ebenso das viertelstündige Referat von Festivalleiter Michael Kötz, in dem er sich in einer Schneewittchenallegogie erging, weil sein Festival ja zum siebten Mal stattfindet: Das FddF (wie Kenner es abkürzen) als wunderschönes Schneewittchen, die Stadt Ludwigshafen als sieben Zwerge, die es hegen und pflegen, die anderen Festivals der Republik als neidische böse Königinnen - was einem halt so durch den Kopf purzelt, wenn man eine Eröffnungsrede zusammenbastelt.

Alles war also, wie es in jedem Jahr ist. Was heftig störte: Die schreckliche Projektion per Beamer über 30 Meter Zeltlänge, offenbar von DVD: Das Filmbild war aus riesigen Pixeln zusammengesetzt, Bewegungen der Kamera oder vor der Kamera verwischten zu Schlieren, Hintergründe - etwa das Laub der Bäume - flimmern, als stünden sie unter Starkstrom. OK: Sowas Ähnliches sahen wir auch in "Fluch der Karibik 4", wegen völlig unzureichender 3D-Umrechnung. Das macht es aber nicht besser: Ein guter Beamer und hochauflösendes Filmmaterial - BluRay oder 35mm - wäre eigentlich Pflicht für ein Festival, das sich der Filmkunst, der Kunst der Bilder, verschrieben hat. Zumal "Schenk mir dein Herz" Anfang Mai seinen Kinostart hatte und von das Filmmaterial von daher kaum allzu schwer aufzutreiben sein müsste.

Das furchtbare Geblinkel auf der Leinwand hat mir der Film jedenfalls gründlich vergällt; zum Glück ist er fernsehgerecht genug inszeniert, so dass es keine Totalen gab, bei denen man weit in der Ferne etwas hätte erkennen müssen; was ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre.

Drehbuchautorin ist Ruth Toma, eine ausgezeichnete Gebrauchsschreiberin, die genau weiß und danach handelt: Wenn man denkt, es geht immer weiteer, kommt von irgendwo ein Konfliktchen her. Alexander Ludwig (Peter Lohmeyer), arrogant-arschiger Schlagersänger, war nach einem Herzinfarkt sauerstoffunterversorgt und hat Gedächtnisstörungen: die letzten zehn Jahre sind weg, und sein Kurzzeitgedächtnis ist ziemlich alle. Dass er trotzdem perfekt sein Smartphone bedienen kann, stört keinen großen Geist: Wichtig sind die beiden Handlungsstränge: Da ist einmal seine Frau Maria (Mina Tander), die er nicht mehr kennt, und seine Ex-Frau Edda, die er einst schmählich verlassen hat und die die einzige ist, an die er sich erinnert. Und da ist Paul Kuhn als Heinrich Mutesius, nach einem Schlaganfall in derselben psychotherapeutischen Klinik wie Alexander, der über die Swingmusik einen Zugang zum vormaligen Schlagerstar erhält; und ihn in seiner Band mit lauter alten Säcken unterbringen will, um einen Jazzclub zu retten, der allzusehr auf sein Ü80-Publikum setzte und jetzt pleite ist.
Alles fügt sich dabei schön zusammen, und immer wieder taucht ein neuer kleiner Konfliktherd auf, etwa Alexanders Sohn, der ihn hasst, oder Edda, die eine Chance sieht, ihn finanziell auszunehmen, oder Maria, die ihn daraufhin (etwas unmotiviert) verlässt; und seine alten Fans, die Kuschelschlager hören wollen, sind total sauer, als er mit Blues anfängt. Dass er immer seine Ehefrau vergisst, dass er die Klinik für ein miserables Hotel hält: das sind die Running Gags. Paul Kuhn fällt irgendwann unangekündigt ins Koma, und weil das Jazzklubrettungskonzert im Radio übertragen wird, wacht er wieder auf und lässt sich von der Krankenschwester eine Zighttp://www.blogger.com/img/blank.gifarette anzünden. Das erinnert frappant an Helge Schneider, bei dem Lieutenant Körschgen im Krankenhaus stangenweise Zigaretten raucht: Solange man lebt, soll man rauchen. Abgesehen davon ist natürlich auch der Jazzklub ein schneidersches Motiv - das ist die große Belustigung, die ich aus dem Film gezogen habe; weil bei seltsamen Hirnassoziationen die Bildqualität keine Rolle spielt.

Ebenfalls von DVD gebeamt: die Klassiker-Sommerkomödie "Zur Sache, Schätzchen", 1967, von May Spils; produziert vom gerade verstorbenen Peter Schamoni, der weit mehr geleistet hat als den Küblböck-Knaller "Daniel, der Zauberer". Ich hatte gedacht, ich kenn den Film schon! Aber nein: Die Bilder, die ich im Kopf habe, müssen wohl vom Nachfolger "Nicht fummeln, Liebling" stammen...
"Zur Sache, Schätzchen" jedenfalls ist umwerfend komisch: Martin, ein Herumlungerer, sein Freund Henry, kaum besser, und die Zufallsbekanntschaft Barbara, die sich ihnen anschließt beim süßen Nichtstun - das ist sehr leicht, sehr spielerisch, sehr locker und unernst inszeniert, genau dem entsprechend, was die Protagonisten vorleben. Martin, Werner Enke, ist an nichts interessiert, vor allem nicht am morgendlichen Aufstehen; ein Einbruch in der Nacht, der ihm den Schlaf geraubt hat, bringt etwas Ärger mit der Polizei, der er gleich verdächtig ist, insbesondere, weil er sie beim Verhör kräftig verarscht. Barbara, Uschi Glas, reißt ihn aus der zutiefst genossenen Tristesse im Schwimmbad, er führt parodierend Schwimmstile verschiedener Spießer vor. Im Zoo klauen sie ein Zicklein und einen Kinderwagen, auf einer Brücke erklärt er ihr seine Pseudophilosophie: die muss ernsthaft betrieben werden, richtig trainiert mit Spikes und Sportdress, und am wichtigsten ist, dass dabei nichts herauskommt.


Alles ist Spiel, das mit Ironie betrieben werden muss, alles mushttp://www.blogger.com/img/blank.gifs einfallsreich auf einen flotten Spruch gebracht werden, und wenn man jemanden mag, dann macht man am besten vor, wie man auf keinen Fall fummeln darf - man sieht es auf dem nebenstehenden Foto -, oder wie andere sich um die Liebe einer Frau bemühen. An sich ran lassen darf man jedenfalls nichts, man muss bissig sein, skeptisch, bedürfnislos und natürlich, die Provokation ist Lebensstil, aggressiv vorgetragen, parodistisch in extremer Bildersprache und derber Anschaulichkeit - und was der Wikipedia-Artikel zum Kynismus noch so alles an Schlagworten hergibt. Nicht zu verwechseln mit Zynismus übrigens - Kynismus: das ist das, was Diogenes vorgelebt hat.

Bei all dem Spaß, bei all der demonstrativen Lustlosigkeit am Leben, die er so lustvoll zelebriert, bei all dem spielerisch.ironisch-uneigentlichen Gerede in "Zur Sache, Schätzchen" musste ich mitunter so lachen, dass ich das noch schlimmer als beim vorherigen Eröffnungsfilm verpixelte Bild oft genug vergaß. Wahrscheinlich war dieser über 40 Jahre alte Film der Höhepunkt des Festivals. Was nicht heißt, dass nicht noch viele tolle Filme kommen werden, wenn sie denn nur richtig projeziert werden.

Harald Mühlbeyer