Filmfest Dresden 2011: Zusammen einsam im Nationalen Wettbewerb

"Niemand weiß, wie lange so eine Verbiesterung andauert" analysiert der Kleine seine getrennten Eltern - reifer als es von einem Kind erwartet wird. Was ist, wenn ich mich auf einmal alleine um meine Eltern kümmern muss und nicht meine Eltern um mich? Oder was, wenn ich auf einmal der Letzte bin, weil ich aus Versehen die Welt zerstörte? Der erste Teil der auserlesenen Kurzfilme im Nationalen Wettbewerb vereint Filme, die sich mit „Einsam sein“ und „Einsam werden“ beschäftigen.



Anthony Vardoux' „Yuri Lennon’s landing on Alpha 46“ macht den Auftakt. Yuri Lennon landet auf einem der Jupitermonde, um die Quelle von auf der Erde empfangenen Signalen ausfindig zu machen. Der erste Abschnitt enthält eine einzige Einstellung, die das Minenspiel des Raumfahrers hinter dem transparenten Visier erkennen lässt, auf dem sich mal mehr, mal weniger deutlich der Bildschirm spiegelt. Scherzend geht der Astronaut den Anweisungen nach, die er von seinem weit entfernten Team auf der Erde erhält. Doch dann wendet sich das Blatt: Auf einmal ist er es, der die Verantwortung in der Hand hält: Die ganze Welt in seiner Hand. Seine Erklärungsversuche über Funk scheitern am Unverständnis seines Teams. Das Publikum hält den Atem an. Plötzlich ist es vorbei, keine Welt, kein Team zum Blödeln und keine Zukunft. Stille! Allein sein. Anthony Vardoux baut einen mitreisenden Spannungsbogen auf, dessen Wendepunkt erreicht ist, sobald Astronaut Lennon die Verantwortung in der Hand hält. Er scheitert und wird einsam.

Ähnlich ergeht es dem gutmütigen Rentner Wolfgang in „Betten-Seifert ist tot“ von Thomas Krauslach, der sich um seine nörgelnde, kranke Frau kümmert und ihr ausnahmslos jeden Wunsch erfüllt. Gefangen in einer Welt, die durch die Krankheit bestimmt ist, schafft er sich Freiräume: Die überhitzte Wohnung verwandelt er mit einem Pflanzenbestäuber für ein paar Minuten in einen Dschungel. Diese ausdrucksstarken Szenen, die Ausschnitte aus dem alltäglichen Leben des Ehepaares zeigen, erwecken ein Schmunzeln im Publikum. Da stört es auch gar nicht, dass die Schauspieler Klaus Manchnen und Astrid Polak etwas aufgesetzt und theatralisch sprechen. Im Gegenteil, es passt zu der einfachen Welt des alten Ehepaares. Doch dann geht es Wolfgangs Allerliebster schlechter. Ein Krankenhausbesuch kommt für sie nicht in Frage und so bekommt Wolfgang - wie zuvor Yuri - eine ordentliche Portion Verantwortung aufgeladen. Den letzten Wunsch der Ehefrau erfüllen oder lieber gegen die Einsamkeit kämpfen und den lebensrettenden Notruf tätigen? Er bleibt ihr treu und wird einsam.



Und bei dem Kleinen in dem Animationsfilm „Der Kleine und das Biest“ von Johannes Weiland und Uwe Heidschötter? Der weiß in seiner kindlichen Reife, dass es sehr lange dauert bis diese Verbiesterung zu Ende ist. Ein Biest als Mutter zu haben ist anstrengend, man kann nicht ordentlich mit ihm spielen, es blamiert einen und es schubst einen nachts aus dem Bett. Die Situationen sind treffend, humorvoll und kurzweilig dargestellt. Doch mit seiner kindlichen Sorglosigkeit meistert der Kleine die einsame Phase, in der er viel Verantwortung trägt, gelassen. Nach langer Zeit ist es einfach vorbei. Die grimmige Mutterfigur mit Hörnern verwandelt sich in eine junge menschliche Mutter mit Kleid und Eigeninitiative.

Manchmal jedoch spielt das Leben ganz anders. So auch in „Uwe+Uwe“ von Lena Liberta. Der griesgrämige LKW-Fahrer Uwe, gespielt von einem überzeugenden Samuel Weiss, darf plötzlich nicht mehr alleine sein. Uwe weist jeden, der ihm in die Quere kommt, mit seiner verletzenden Ehrlichkeit von sich. Doch nicht jeder lässt sich davon abschrecken. In kurzen knackigen Szenen erzählt der Kurzfilm, wie Uwe zum Helfen gezwungen wird. Dadurch bekommt er schließlich das, wovon er gar nicht wusste, dass er es sich wünscht: Gesellschaft, Freunde und sogar eine Familie. Ein dynamischer Film, der beim Kurzfilmpublikum für viele Lacher sorgte.

Was ist also wenn ich plötzlich einsam werde? Diese Frage mussten sich die Kinozuschauer im gut besuchten Lang-Saal der Dresdner Schauburg nicht stellen. Ein engagierter Moderator führte durch das Programm und Saalbetreuer kümmerten sich darum, die Abstimmungskärtchen für den Publikumspreis unter das Volk zu bringen. Diese Prämierung ist mit 2.000 Euro dotiert und wird Samstag verliehen. Wir sind gespannt auf das Ergebnis, denn schon der erste Teil des Nationalen Wettbewerbs zeigte, dass die Wahl nicht leicht werden wird.

Christine Arnsmeyer