Filmfest Dresden 2011: Aufklärung, Pornos, Gefühllosigkeit


Jugendliche und Sexualität

Der Blick auf den jugendlichen Umgang mit der Sexualität kennt viele Perspektiven. Und Hand aufs Herz: Welcher Vater oder welche Mutter erklärt den eigenen Kindern locker-flockig aus dem Bauch heraus, wie das so ist mit dem Kinderkriegen und so? Die Kinder haben mit dem Thema hingegen oftmals viel weniger Probleme. Sie können es leicht in ihre fantasievolle Kinderwelt mit aufnehmen. Was, aus Erwachsenensicht, zu lustigen oder auch beschämenden Situationen führen kann.

So eine witzige Konstellation entsteht auch in „That thing you drew“ von Kerri Davenport-Burton. Ein schwerhöriges Grundschulmädchen entdeckt eine Taktik, wie es den ernsten Themen der Erwachsenenwelt entfliehen kann: Einfach Hörgerät leiser drehen und in die eigene Welt abtauchen. Es ist eine Welt der Bilder. Bunte Graffitis finden sich zum Beispiel an den Wänden unter einer dreckigen Zugbrücke. Wer nach neuen Motiven zum Malen sucht, findet dort ein wahres Paradies. Das akkurat gekleidete Mädchen mit den polierten Mädchenschuhen und ordentlichen Söckchen findet vor allem an einem Symbol Gefallen. Prüfend mustert sie es, dann verziehen sich ihre Mundwinkel zu einem Lächeln: Es gefällt ihr. Der Zuschauer erkennt im Gegensatz zu ihr den Penis sofort.

Weil dieses Symbol überall in der Stadt auf den Wänden wiederkehrt, muss es etwas Besonderes sein. Aus diesem Grund beschließt sie das besagte Symbol in ihre Zeichnungen im Kunstunterricht aufzunehmen Dadurch kommt es bei Lehrer und Eltern zu Empörung und Streit. Kerri Davenport-Burtons Film gewährt dem Zuschauer Einblicke in die fantasievolle Welt des Mädchens. Dort gibt es nur angenehme Geräusche, wie den musikähnlichen Klang eines über die Brücke fahrenden Zuges. Die Idee den Zugang zur Erwachsenenwelt über den Lautstärkeregler des Hörgeräts darzustellen, ist gelungen umgesetzt.



Konträr zu den Erwachsenen in „That thing you drew“ verhält sich die Mutter im Film „Viki Ficki” von Natalie Spinell. In der Schule denken Lehrer und Mitschüler, Vikis Mutter arbeite als Krankenschwester. Damit liegen sie nicht ganz richtig. In einer Szene steht sie mit dem Arzt zwischen zwei Krankenbetten und kümmert sich um die Patientinnen - sehr intensiv sogar! Ein Kameraschwenk zeigt das bisher verborgene: eine filmende Kamera. Denn Vikis Mama ist gerade am Set beim Dreh eines Pornos. Ihre Tochter hat sie mitgenommen, sie soll in der Zeit ihre Hausaufgaben machen. So locker sieht das jedoch nicht jeder. Ein Klassenkamerad beschimpft Viki, wegen der aufreizenden Kleidung ihrer Mutter. Viki antwortet darauf mit einer Prügelei. Trotz der Gefahr der Ausgrenzung stellt sich Viki auf die Seite ihrer Mutter, wodurch sie den Wert der Familiensolidarität lebt. Nach einer Aussprache mit den Eltern, oder vielmehr einer Feststellung der Positionen, formuliert Viki ein Schlichtungsangebot. Ob das funktioniert? Der Film hält so manchen Lacher bereit und behandelt mit Witz, Leichtigkeit und Verstand ein Tabuthema der Gesellschaft. Ein sehenswerter Film.

Zoe in Stefan Lengauers gleichnamigen Film ist hingegen schon etwas älter als die anderen beiden Mädchen und scheint sich von nichts beeindrucken zu lassen. Sie steht alleine in einer Diskothek und hat ihre Kopfhörer auf, als sie ein junger Mann anspricht. Ohne lange zu überlegen geht sie mit zu ihm. Der Geschlechtsverkehr bereitet offensichtlich nur dem jungen Mann Spaß. Zoe verlässt schnell das Bett mit dem schlafenden Mann und entdeckt in der Küche Geld, das sie einsteckt, ehe sie abhaut. Die Schauspielerin Jamila Saab bietet mit einem ausdruckslosen Gesicht eine gelangweilte Zoe, die ziellos spontane sexuell orientierte Handlungen vollzieht. Der Film zeigt einen scheinbar willkürlich gewählten Lebensausschnitt, der von Gefühlskälte nur so strotzt. Diese Herzlosigkeit wird passend von der fehlenden Filmmusik unterstrichen.


Christine Arnsmeyer