DVD: Helge Schneider live - „Komm hier haste ne Mark!“

Während Nordafrika und Gesamtarabien erwacht, aufsteht und dabei gähnt und pupst; während Japan zum Land der untergehenden Atomsonne wird; während die Nachbeben des fernöstlichen Gesamtfiaskos bis in die hiesigen Wahlkreise spürbar ist: Während sich also die Welt im Grab umdreht, bleibt Helge Schneider, wie er singt und lacht. Davon zeugt nun endlich, endlich die erste Live-DVD dieses Mannes, der seine Finger in die Stigmata der Zeit legt, um dort zu heilen. Oder was auch immer.

„Komm hier haste ne Mark!“, diese generöse, sozialgönnerhafte Attitüde des selbstlosen Gebens, war jedenfalls der Titel seiner 2010er Tour, die an sich kaum zu unterscheiden war von denen davor – „Akopalüze Nau“ oder „Wullewupp Kartoffelsupp“ oder wie sie alle hießen – oder von der danach, die derzeit läuft: „Buxe voll“. Es ist ja nicht so, dass das allabendliche Programm der Tourneen in den letzten Jahren, ja: fast schon im letzten Jahrzehnt innovativ gewesen wäre, dass konzeptuell Neues geboten würde – im Gegensatz zu den 90ern, wo er auch mal mit selbst zusammengestellter Bigband oder als Rockgruppe unterwegs war; ganz abgesehen vom Kulttrio „Hardcore“. Nein: der Konzertablauf hat sich gefestigt, geht nach klarem Schema vor, auch wenn das Bandpersonal geringfügigen Änderungen unterworfen ist. Überraschungen, was den Ablauf eines Schneider-Konzertes angeht, sind nicht zu erwarten, man weiß, was man bekommt. Und die Frage ist, was man daran findet.

Schlicht alles. Man bekommt Antworten auf nie gestellte Fragen – wie lange braucht Nena zum Schminken? Wie klein ist Peter Maffay? Wozu braucht ein Star sein pinkes Einstecktuch? Und weshalb ist der Platz in der ersten Reihe leergeblieben? –, und zudem bekommt man Fragen auf nie gegebene Antworten, denn sein Teekoch Bodo ist meist auf stummes Nicken und Kopfschüttel beschränkt: „Wie geht’s zuhause? Mutter gesund, Vater auch? Backt Vater noch Kuchen? Kann er nicht, ne. Oh, doch, ahso, is auch Konditor, ne? […] Und, wie war die Erziehung? Hat sie gefruchtet bei dir? Nää, ne. Und Schule? Eins? Fünf? Mhmm. Glaubst du, dass das irgendwen interessiert hier, dein Privatleben?“

Und da kommen wir dahin, wo wir das Besondere finden. Helge Schneider macht es sich einfach: immergleiche Form seiner konzertanen Abendgestaltung mit immergleichen Instrumenten, immergleichen Perücken, immergleichen Handpuppen und (fast) immergleichen Bandmitgliedern garantieren ein Minimum an Vorplanung, und diese festgelegte – weil aufs Optimale hin getrimmte – Form garantiert wiederum freiestmögliche Inhaltsgestaltung. In einem guten Topf kann man alles kochen, und ein stabil gefertigter Krug kann auch ein paar Mal mehr zum tiefen Brunnen des Flachsinns gehen. Vom von Bodo dargereichten Holztee – aber kein echtes Holz, sondern Laminat, gebraucht, mit Käsegeschmack, vom magischen Dreieck zwischen Bad, Küche und Schlafzimmer, wo man immer so lang warten muss – bis zu den virtuellen Gastauftritten von Herbert Grönemeyer – „Der Mensch ist Mensch, weiler, wallawalla lebt und walla, weiler, wallawalla dumme Sachen macht“ – und Udo Lindenberg – „Hömma Helge, biste jetz ganz übergeschnappt? Was is denn los mit dir?“ – zeigt die DVD mit 90 Minuten Hauptkonzert und nochmal an die 30 Minuten Zusatzboni das, was einen Auftritt von Helge Schneider ausmacht.

Aufgenommen wurde im Admiralspalast in Berlin im März 2010, und insbesondere die ersten 50 Minuten scheinen tatsächlich ungeschnitten das Geschehen vor der Pause in einem typischen – das heißt: unglaublich witzigen – Helgekonzert wiederzugeben. Nach der Pause, Helge steckt jetzt nicht mehr im blauen, sondern im beigen Anzug, finden sich sicht- und spürbare Schnitte; und am Ende zerfasert das Ganze mit voller Absicht. Ein normales Schneiderkonzert dauert entweder zwei Stunden oder zweieinhalb Stunden; Teil 2 der DVD ist ein Best-of davon, und am Ende unterbricht Helge – in einer nachgedrehten Szene, die in einem Holz-Gartenschuppen spielt und „Virtuelles Konzertende; Zugabe (digital)“ betitelt ist – sein eigenes Melodica-Solo in einem pseudofranzösischen Chanson: erstmal ist Schluss, wir schalten nach außerhalb zum Master of Ceremonies im Schuppen, und erst danach geht es irgendwie weiter, „auch das ist von mir selber ausgedacht“, sagt Schneider, und kommt damit direkt auf den Punkt seiner Show.

Womit Schneider per DVD das tut, was er bei seinen Live-Auftritten vermeidet: er bricht die Form auf, stellt dem Ablauf ein Bein. Was der ganzen Auftrittsaufzeichnung einen ungeheuren, ungeahnten Mehrwert verschafft. Zum ungeheuren Witz des Showinhalts kommt noch der Witz der Präsentation per DVD – allein dem Hauptmenü könnte man stundenlang zusehen, wie Schneider im Garten versucht, ein altes Honda-Motorrad zu starten. Dabei ist die Liveshow selbst schon auf Kante genäht: dadurch, dass Schneider ein eingespieltes Team um sich herum hat, dadurch, dass die Form einigermaßen gefestigt ist, kann er inhaltlich treiben, was er will, und begibt sich haarscharf an den Rand des Witzigen, da, wo ein paar Schritte weiter die Leere klafft. Sprich: Auf der Bühne kann er sich selbst so treiben lassen, wie er will, kann sich auf sein genauestes Gespür für Timing und effektive Publikumsansprache verlassen und sich auf kurzfristige Gedankenassoziationen einlassen. Die er auch immer wieder im Lauf des Abends neu vom Boden der Gags aufliest: Peter Maffay zum Beispiel, der ganz klein ist und eine per Zeigefinger imitierte Warze im Gesicht trägt, oder Nena, die er wunderbar im „Fitze Fitze Fatze“-Song parodiert. Die beiden tauchen immer wieder auf, leitmotivisch, durchaus mit verletzenden Bemerkungen bedacht – „ach, neinnein, haha, wenn Nena hier ist, schöne Grüße, blablabla“: Herr Schneider weiß nicht nur, sich zu benehmen, indem er seine kleinen Boshaft-Bonmots galant wieder zurücknimmt, nein: er ist auch ein Meister des Einschleimens: Ich seid das beste Publikum, das ich je hatte, gestern war furchtbar, morgen sollen auch wieder solche Experten kommen, aber heute toll. Was eingedenk der beständigen Ironiewolke, in die sich Schneider einhüllt, ex negativo bedeutet: Es ist ihm alles scheißegal. Er macht sein Ding.

Was einen richtigen Künstler ausmacht: Er bemüht sich, mit seiner Kunst sich selbst zu überraschen. Zum zuvor mit der Band Abgesprochenem mischen sich spontane Einfälle, kleine Gedankenhopser, die auch immer wieder ins Leere laufen; und natürlich hat sich Schneider über die Jahre ein unermessliches Repertoire an komischen Versatzstücken, an kleinen Aperçus, an witzigen Kleinbauteilen zugelegt, die er in immer neuer Reihenfolge und in immer neuen Kombinationen aneinanderkonstruiert. Man darf nicht vergessen: Was Schneider macht, ist eigentlich Jazz, übertragen auf verbale Komik. Aufgrund von eintrainierten Läufen, von lockeren Standards, von eingeprägten Grundelementen ergeben sich immer neue, improvisierend zusammengesetzte Storyfiguren, in denen sich spielerisch Satire und Lästereien mit Absurdem und Unsinnigem zu wunderbaren Clownereien mischen. Allein die Einleitung zu „Fitze Fitze Fatze“ ist jedes Geld der Welt wert, wie er von den Läusen im Kindergarten seines Nachwuchses zu den Promiblättern wie Bunte und Gala kommt – „Ich lehne es ab, in diesen Gazetten zu erscheinen“ – und das Wesen der Prominenz paradox erfasst – „Viele Stars sind so berühmt, dass man ihren Namen nicht kennt“ – und sich in einem kleinen Zwischenspiel die Vorderzähne am Mikrophon ausschlägt, wie er von Cher auf Clearasil kommt (inklusive kleiner Fäkalienkunde), eine lustige Anekdote mit Christina Algiluerrerra darbringt („die mit Popo wackelt“), wie er dann ankündigt, wen er alles parodieren wird – Tina Turner, Joe Cocker (visuell), Nena und absurderweise Gus Backus („Kennt keiner, kann ich ganz gut, aber kennt keiner, aber kann ich ganz gut“) – allein aus diesen paar Minuten könnte man eine ganze Abhandlung über Helge Schneider formen, und, ob Sie’s glauben oder nicht: genau das tue ich gerade.

Helge Schneider bewegt sich frei innerhalb des festen Rahmens seines Konzertes, hat sich dort einen unendlich großen Spielraum geschaffen, in dem er sich assoziativ, improvisierend, mit irrlichternder Komik austoben kann. Das ist es, was man bei seinen Konzerten spürt, die Freiheit, die von der Bühne abstrahlt, eine Freiheit im Witz, die nur auf sich selbst angewiesen ist, und die höchst erfolgreich auf ausverkauften Tourneen durch die Republik wandert.

Die DVD nun ermöglicht es, quasi mikroskopisch diese Methode Schneider zu beobachten: Emblematisches Bild dafür ist etwa auch Sergej Gleithmann, Schneiders Begleiter seit Jahrzehnten, der im Hauptprogramm der DVD einen Zwei-Sekunden-Auftritt als Löwenmensch – mit unter die Sonnenbrille hochgeklemmtem ZZ Top-Bart – hat. „Na, das habt ihr jetzt nicht erwartet“, sagt Schneider, und kommentiert damit auch den Irrwitz, Gleithmann anderthalb Stunden hinter den Kulissen zu halten für eine höchst kurze Gastrolle. Im Bonusmaterial taucht er dann nochmals auf mit einem Ausdruckstanz, aus dem bezeichnenderweise mittendrin weggeblendet wird.

Damit auch wirklich jeder die Möglichkeit hat, Herrn Schneider zu verstehen, enthält die DVD türkische und englische Untertitel; und wer gedacht hätte, die Komik Schneiders sei typisch deutsch und unübersetzbar, sieht sich getäuscht. Ein Stück – das „Radiospektakel Nordpol“ gibt es sogar neben der deutschen Live-Originalversion in türkischer und englischer, von Schneider selbst eingesprochener Synchronisation. Und für die Intelligenzbestien unter Schneiders Publikum hat sich in der Vorab-Filmausschnitt-Promotion niemand anderes als Alexander Kluge dazu herabgelassen, anhand von Fananfragen ein grandioses Werbeinterview mit Helge Schneider zu führen, in dem Kluge fast sieben Minuten lang Helges ironische Verweigerungshaltung gegenironisch in – wie von ihm gewohnt – höchste, weitschweifendsten Gedankentiefen überführt, uhttp://www.blogger.com/img/blank.gifm von Schneider metaironisch nochmals übertrumpft zu werden.

Harald Mühlbeyer


Helge und Band: „Komm hier haste ne Mark! – Live“. Mit Helge Schnhttp://www.blogger.com/img/blank.gifeider, Sandro Giampietro (Gitarre), Jochen Bosack (Klavier), Rudi Olbrich (Kontrabass), Pete York (Schlagzeug), Sergej Gleithmann (Dingsbums), Bodo Oesterling (Teekoch).http://www.blogger.com/img/blank.gif
Länge: insgesamt ca. zwei Stunden.
Label: Sony / Roof Music.


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