BERLINALE 2011: Nicht fuer das Leben lernen wir...

Ein Erfahrungsbericht des ersten Berlinale-Tags


Nein, Umlaute haben die US-Tastaturen des Pressecomputerpools der 61. Filmfestspiele Berlin nicht. Vielleicht bin ich auch nur im huehnerstallengen Versorgungsraum fuer die Auslandsberichterstatter hier im Hyatt gegegenueber des Berlinalepalasts gelandet. Aber das ist auch nur die kleinere Herausforderung heute, gemessen an der Komplexitaet des Akkreditierungswesen, das einem wie Zerberus weniger den Eingang in die dunkle Unterwelt des Kinosaals versperrt als das Leben zur Hoelle machen will.

Na, so schlimm ist es nicht, und geduldiger und freundlicher sind die Damen und Herren von der Betreuung hier allemal (verglichen mit dem, was man so in den letzten Jahren gehoert hat...). Doch man moechte sagen: Studiert muss man haben, um sich hier durchzukaempfen. Aber das hat der unglueckselige Verfasser dieser Zeilen, sogar abgeschlossen und ueberdies: Filmwissenschaft. Doch da sieht man mal wieder, wie unzulaenglich die Hochschule in ihrem geistigen Hoenflug auf das Leben hier unten vorbereitet: Ein Kurs in Akkreditierungssystematik, am besten mit Uebungsstrecke aus Countern, Schaltern, Menschenschlagen und Irrverweisen, wuerde jedenfalls das Lehrangebot nicht nur erheblich, sondern auch sinnvoll bereichern.

Ueberweisen koennen Sie Akkreditierungsgebuehr gar nicht – so wurde mir beschieden, nachdem man mich erst ins falsche Gebaeude geschickt und von dort wieder hierher. Wie, nicht ueberweisen? Im letzten Herbst habe ich 60 Euro wahrscheinlich jemandem aufs Konto gebucht, der mit meiner Hilfe Kunstschaetze aus dem Irak verbringen oder Blutdiamanten aus Afrika schmuggeln oder eine Millionenerbschaft loseisen will oder was die Bauernfaenger im Internet sonst so fuer gewinntraechtige Unternehmungen auf die Beine stellen.

Egal, zahl ich halt nochmal, hoffe, dass ich es wiederbekomme – und stehe promt vor der Aufgabe, meinen wohlkonstruierte Terminliste halbwegs zu retten, denn nun gilt es zu hantieren: mit einem rosa Zettel fuer den morgigen Tag, einem roten Wisch, den ich mit meinem Ausweis bekommen habe, meiner Filmliste und dem Programmkatalog. Auf dem roten Wisch steht, in welcher Sparte (Wettbewerb, Forum, Panorama etc.) zu/ab/bis zu welcher Uhrzeit ich in welcher Abspielstaette (Berlinale Palast, Cinemaxx, Cinestar etc.) ich ohne Karte (also nur mit Ausweis) rein darf und wann ich fuer einen „Bon“ anstehen muss. Was ja noch ginge, aber auf dem rosa Tageswaschzettel ist vermerkt, fuer welche Filme man sich auf jeden Fall eine Karte holen muss (glaube ich). Allerdings, in Pressevorstellungen komme ich immer und ohne was rein (sagen die, die Ulknudeln!). Dann wieder steht auf dem roten Wisch zu meinem Ausweis nur drauf: Berlinale Palast BIS 15.oo Uhr, topp, darf ich rein. Aber danach? Endlich hab ich es halbwegs ausklamuesert, denke ich im jugendlichen Leicht- ach was: Irrsinn, und stelle mich an am Ticketschalter gegenueber dem Akkreditierungsabhol- und bezahlschalterraum, in dem es, gottlob erst nachdem mir, zugeht wie in einer Sparkassenschalterhalle zur Terrorfinanzkrisenzeit. OFFSIDE, sage ich, wuerde ich gerne sehen, morgen im Berlinale Palast, ist ein Wettbewerbsbeitrag. Muesste gehen. Haha, Scherzkeks ich: Die naechste Ausnahme – die Nicht-Presse- aber Wettbewerbsfilme morgen im Berlinale Palast, ja fuer die kriegen Pressevertreter hier ein Karte, aber nur Leutchen von der TAGESpresse. Steht umkringelt links angeschlagen an der Außenwand des Kabuffs.

Pah, OFFSIDE, von dem Iraner Jaffa Panahi, dem als Jurymitglied der Berlinale ein Platz aus Protest- und Solidaritaetsgruenden freigehalten wird - seh ich den halt nicht, wollt ja auch nur ein bisschen solidarisiert sein und protestlern, aber bitteschoen< ob Mullah- oder Berlinale-Regime... Ok. Es gibt noch andere Termine von OFFSIDE, aber ob ich da reinkomme, weiss der Himmel, denn mir schwant, dass in den kommenden zehn Tagen mein Sternzeichen oder sexuelle Praeferenzen auch noch ein gehoerige Rolle fuer den Kinozutritt hier in der Hauptstadt spielen werden...


Doch genug herumlamentiert - zwei Tipps gibt es hier und jetzt gleich vorab:

Der Gewinnerfilm des diesjaehrigen Max-Ophuels-Preises laeuft auf der Berlinale: DER ALBANER. Besprochen haben wir ihn hier, zu sehen ist er am Sonntag, den 20. Februar im CinemaxX 3.



Ausserdem ist eine ganz grossartige Dokumentation zu sehen (und zu empfehlen), die bereits 2010 in Saarbruecken lief: DAS LEBEN IST KEIN HEIMSPIEL von Frank Marten Pfeiffer und Rouven Rech. Ein Film fuer auch und gerade Nicht-Fussball-Fans ueber den TSG 1899 Hoffenheim. Ein Gluecksfall war das Projekt fuer die jungen Filmemacher und das Publikum, denn von Anfang an - und mit entsprechend intimen und entlarvenden Einblicken - verfolgt DAS LEBEN IST KEIN HEIMSPIEL den Aufstieg des kleinen Regional-Vereins, den der SAP-Mitbegruender Dietmar Hopp zum Erstligisten bringt, inklusive einem Riesenstadion. Der Film folgt parallel Hopps Geschaeftsfuehrer Rothaus, ein Macher und Manager vor dem Herren, der als solcher nicht immer gut wegkommt, sowie dem Chef des ersten Fanclubs der 3.ooo-Seelen-Gemeindekicker, "Torro", der mit gemischten Gefuehlen beobachtet, wie sein Herzensverein ihm davonwaechst. Eine Erfolgsstory und ein alltaegliches, gar fundamentales Drama ist DAS LEBEN IST KEIN HEIMSPIEL, ein seltenes Langzeitprojekt, eine Mehrfach-, auch Kollektiv-Charakterstudie - und Beweis, zu was grossartige Dokumentarfilme enthuellen, begleiten und auf den Punkt bringen koennen.

Mehr Infos zu dem Film gibt es HIER, gezeigt wird der Film auf der Berlinale am Donnerstag, 17. Feb. um 15:30 Uhr im CinemaxX 1.

Bernd Zywietz