Rüsselsheimer Kurzfilmtage: Satirische Unterhaltung

Bei den 17. Rüsselsheimer Kurzfilmtagen laufen aktuelle Filmproduktionen ab 2008, die schwarzen Humor zeigen: Am 11. und 12. Juni kann man sich im Rüsselsheimer Theater auf ein dreistündiges Programm mit 22 Kurzfilmen freuen.

Freitags laufen die Filme ab 19 Uhr ohne Kommentare hintereinander weg, samstags gibt es dasselbe Programm ab 17 Uhr inklusive Gesprächen mit den Filmemachern. Zudem ist samstags ab 15 Uhr der traditionelle Biergarten des Vereins Cinema Concetta geöffnet, in dem sich die Gäste vor und während der Filmvorführung mit Getränken und Speisen stärken können. Es spielt die Musikband Babbity Bowster.

An beiden Filmtagen können die Besucher per Stimmzettel ihre Favoriten für die Vergabe von drei Preisen wählen. Als Publikumspreis verleiht die Cinema Concetta Filmförderung die Bronzeplastik „Der scharfe Blick“, die mit 5.000 Euro dotiert ist. Als zweiter Preis werden 2.000 Euro und als dritter 1.000 Euro vergeben.

Der Vorverkauf für die Rüsselsheimer Filmtage hat begonnen, Karten für Freitagabend kosten 8 Euro, ermäßigt 6 Euro. Für den Filmtag am Samstag mit begleitender Moderation kosten die Karten 10 Euro, ermäßigt 7 Euro. Im Vorverkauf gibt es die Karten in den Stadtbüros, bei der vhs und im Forum wohnen bildung kultur in Rüsselsheim. Außerdem können Internetnutzer Karten online kaufen: unter www.theater-ruesselsheim.de und www.ruesselsheimer-filmtage.de gibt es einen Link auf das Bestellformular.

Autorenfilmer in Mainz: Olivier Assayas und Christian Petzold


Am Mittwoch, den 2. Juni, begegnen sich im Mainzer Capitol-Kino zwei der innovativsten Regisseure des deutschen und französischen Gegenwartskinos: Olivier Assayas und Christian Petzold.

Um 20:30 Uhr findet dort ein moderiertes Gespräch statt, das im Rahmen des Rheinland-Pfälzischen Kultursommers unter dem Motto „Über Grenzen“ von der Mainzer Filmwissenschaft in Kooperation mit dem Institut Français ausgerichtet wird. Petzold und Assayas werden mit Blick auf ihre Filme den Themenkomplex „Krise und Utopie“ diskutieren. Dabei stehen ästhetische Fragen und politische Dimensionen des Kinos im Mittelpunkt. Das Gespräch wird simultan übersetzt, der Eintritt ist frei.

Das Capitol zeigt in Vorbereitung des Petzold-Assayas-Gespräches am 2. Juni um 18 Uhr "Die innere Sicherheit" von Christian Petzold (Screenshot-DVD-Kritik zu dem Film HIER).

Infos unter www.programmkinos-mainz.de!

Blaxploitation in der Mannheimer Grindhouse-Reihe

Zwei funky Filme mit Rudy Ray Moore laufen am Samstag, den 29. Mai ab 21.30 Uhr in der Grindhouse-Doppelnacht im Mannheimer Cinema Quadrat:

"The Human Tornado"

USA 1976. R: Cliff Roquemore. D: Rudy Ray Moore, Lady Reed, Gloria Delaney.

Rudy Ray Moore alias Dolemite kommt Queen Bee zu Hilfe, deren ehemals schwarzer Nachtclub von weißen Mafia-Typen bedroht wird. Sehenswert für Freunde des gepflegten Horrors, und hörenswert für alle, die den schwarzen Funk lieben: Der Soundtrack ist von Rudy Ray Moore.

und

"Disco Godfather"

USA 1979. R: J. Robert Wagoner. D: Rudy Ray Moore, Carol Speed, Jimmy Lynch.

Ein ausgeschiedener Cop legt in einem Club Platten auf und wird zum Disco Godfather. Musicclipartige Sequenzen beleben den Streifen ebenso, wie knackenge, knallige Discospielanzüge, Afros und Föhnwellen. Richtig spannend wird es, als die neue Droge „Angel Dust“ ins Spiel kommt und sich der Disco Godfather persönlich um die Dealer „kümmert“...

Filmreihe im Murnau-Kino Wiesbaden mit Ufa- und DEFA-Filmen

Unter der Überschrift "Brüche und Kontinuitäten" findet von Mai bis September im Wiesbadener Murnau-Filmtheater (Murnaustraße 6, gegenüber Schlachthof) eine Filmreihe statt über neun Regisseure, die bis 1945 für die Ufa, danach für die DEFA gearbeitet haben.

Eröffnet wird die Reihe am 28. Mai um 18 Uhr mit den Filmen "Der Mann, dem man den Namen stahl" (Deutschland 1945) und "Die Mörder sind unter uns" (Deutschland/SBZ 1946) von Wolfgang Staudte. Der erste Film, eine Satire auf den bürokratischen Apparat, war noch vor der Uraufführung verboten worden und galt lange Zeit als verschollen, gezeigt wird die rekonstruierte Fassung von 1946. Im zweiten Film, der ersten deutschen Nachkriegsproduktion, geht es um die Frage nach der Schuld am Massenmord im Krieg, um persönliche Verantwortung und Wiedergutmachung. Professor Norbert Grob wird einen einführenden Vortrag halten.

Die Reihe ist eine Zusammenarbeit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung Wiesbaden und der DEFA-Stiftung Berlin, die die Rechte an den Ufa- respektive DEFA-Filme wahren. Gezeigt werden jeweils zwei Filme von insgesamt neun Regisseuren aus ihrem Schaffen für die Ufa während des Dritten Reiches und für die DEFA in der Nachkriegszeit. Dabei können, so die Veranstalter, historische Hintergründe und politische Haltungen während der NS- und Nachkriegszeit durch vergleichende Gegenüberstellung deutlich gemacht werden. Dabei zeige sich, inwiefern einzelne Regisseure sich im Dritten Reich dem forciert produzierten Unterhaltungs- oder Propagandafilm zuwendeten bzw. in der Sowjetischen Besatzungszone einen aufklärerisch-erzieherischen Stil vertraten und ob sich daraus ein Gesinnungswandel in ihrem Schaffen erkennen lässt.
Gespräche mit Filmwissenschaftlern zur erläuternden Auseinandersetzung sind Teil der Konzeption der Reihe.

Die weiteren Regisseure, mit denen sich die Filmreihe beschäftigt, sind Hans Deppe, Erich Engel, Milo Harbich, Werner Klingler, Gerhard Lamprecht, Peter Pewas, Arthur Maria Rabenalt und Paul Verhoeven.

Weitere Informationen unter www.defa-murnau.de.

Im Kino: „Prince of Persia“ - Der vorherbestimmte Lauf der Zeit

"Prince of Persia: The Sands of Time". USA 2010. Regie: Mike Newell
Kinostart : Start: 20.5.2010



Die Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen und dadurch den Ablauf der Geschehnisse auszulöschen und neu zu schreiben, lässt eine Geschichte eigentlich willkürlich und zufällig erscheinen. Kein Tod ist wirklich endgültig, keine Entscheidung unwiderruflich gefällt, kein Lebensweg besiegelt. In „Prince of Persia“ gibt es diese Macht, in Form eines heiligen Dolches, gefüllt mit dem Sand der Zeit. Dennoch beginnt der Film mit dem Bild eines Sonnenaufgangs, auf dem ein Text eingeblendet wird, der von dem Band zwischen Menschen berichtet, deren Zusammengehörigkeit seit jeher vorherbestimmt war. Schicksal – dieses Wort bleibt alleine vor der Sonne auf der Leinwand stehen. Hier zeigt sich vielleicht sogar die größte Verwandtschaft der Leinwandgeschichte mit den ihr zugrundeliegenden Videospielen. In diesen hatte der Spieler eben auch die Möglichkeit, das Geschehen in der Zeit zurückzuspulen, um die Hindernisse zu überwinden. Trotzdem waren natürlich der Verlauf des Spiels und sein Ende vorgegeben.

Im Film „Prince of Persia“ wird dem Zuschauer dementsprechend recht schnell bewusst, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Doch wie es Vergnügen bereitet, ein Computerspiel durchzuspielen, so wird man auch von dem Film gefesselt. Dies liegt vor allem daran, dass die Handlung nicht nur aus einer einzigen Aneinanderreihung von Actionsequenzen besteht, hinter denen eine oberflächliche Geschichte steht. Zwar ist es klar ein Abenteuerfilm mit vielen Kämpfen und rasanten Manövern, doch sind diese kurzweilig inszeniert. Vor allem aber findet alles vor dem Hintergrund einer ausgefeilten und spannenden Geschichte statt, in der es um Intrigen am persischen Königshof und um die Bande zwischen Brüdern geht.

Dastan (Jake Gyllenhaal), der Held der Geschichte, ist der jüngste Sohn des Königs, der noch zwei weitere Söhne hat. Jedoch ist er kein leiblicher Sohn, sondern ein adoptierter Waisenjunge. Alle Prinzen sind fähige Soldaten, doch Dastan zeichnet sich durch besonderen Mut aus, wobei er immer bemüht ist, sein Ziel zuerst ohne Gewalt und Blutvergießen zu erreichen. Durch die Machenschaften ihres Onkels Nizam (Ben Kingsley), der nach dem Thron trachtet, entzweien sich die Prinzen, als Dastan fälschlicherweise für den Mörder ihres Vaters gehalten wird. Zusammen mit der Prinzessin Tamina (Gemma Arterton) flieht Dastan. Tamina jedoch ist hinter dem Dolch her, den Dastan zufällig erbeutet hat, eben jenem magischen Dolch, durch den die Zeit beeinflusst werden kann. Denn sie ist zur Wächterin über den Dolch bestimmt, muss ihn notfalls mit ihrem Leben vor bösen Kräften beschützen. Nizams Ziel wiederum ist es, an diesen Dolch heranzukommen, um dadurch endlich König werden zu können. So entbrennt eine Verfolgungsjagd, an deren Ende Dastan seine Brüder von seiner Aufrichtigkeit überzeugen muss, um das Königreich, seine Liebe und sogar das Leben aller Menschen zu retten.

Gyllenhaal ist, auch im Vergleich zu den Darstellern aus zum Beispiel „Avatar“ oder „Transformers“, ein charismatischer Held, der es schafft, die Sympathie und Aufmerksamkeit der Zuschauer die ganze Zeit über an sich zu binden. Wenn auch die Screwball-Einlagen zwischen ihm und Tamina nicht immer überzeugen, entwickelt sich zwischen den Figuren doch eine Dynamik, die zu einigen komischen Momenten führt. Auch ansonsten gelingt es gut, die Balance zwischen Action, dramatischen Sequenzen und Komik zu halten.
Selbstverständlich erreicht der Film nicht die Qualität und Originalität von Filmen wie „Fluch der Karibik“, dennoch bietet er sehr unterhaltsamen und kurzweiligen Abenteuerspaß. So wird ihm das Schicksal wohl hold sein und ihm vermutlich eine Fortsetzung bescheren.

Elisabeth Maurer



"Prince of Persia: The Sands of Time"
USA 2010. Regie: Mike Newell. Drehbuch: Boaz Yakin, Doug Miro, Carlo Bernard nach der Videospiel-Reihe von Jordan Mechner. Kamera: John Seale. Musik: Harry Gregson-Williams.
Produzenten: Jerry Bruckheimer
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Gemma Arterton, Ben Kingsley, Alfred Molina.
Verleih: Disney
Laufzeit: 116 min
Start: 20.5.2010

CUBA IM FILM – FESTIVAL DE CINE CUBANO

Vom 25. Mai bis 5. Juni findet im Filmforum Höchst (Emmerich-Josef-Straße 46a, 65929 Frankfurt-Höchst) das
Festival de Cine Cubano
statt.


Das erwartet Sie in diesem Jahr:

- Eröffnungskonzert mit Sonoc de las Tunas aus Cuba am 25. Mai in der "Fabrik" in Sachsenhausen

- viele neue Filmproduktionen

- junges cubanisches Kino

- Treffen mit unseren Gästen, darunter Enrique Pineda Barnet zur deutschen Erstaufführung seines Films "La Anunciación", Fernando Pérez mit seinem neuesten Film "Martí, el ojo del canario", Carsten Möller mit "Der zweite Blick – Social Club Buena Vista", und Rosio Hanisch und Anna Rodriguez mit "Rosa Negra"

- Verleihung unseres Kurzfilmpreises am 4. Juni

Weitere Informationen unter www.cubafilm.de!

FLUGTEN (2009)

Flüchtiger Terrorist

(Von unserer Partnerseite Terrorismus & Film).



Der Film kommt schnell zur Sache: Gerade noch geht die dänische Journalistin Rikke (Iben Hjejle) durch die afghanischen Straßen, das blonde Haar nur notdürftig unter einem Tuch versteckt, steigt ins Auto eines Dolmetschers. Plötzlich kommen schon die Taliban mit ihren Kalaschnikows. Die eben noch selbstbewusst lächelnde, in sich ruhende Rikke wird entführt, ein Tschador ihr übergeworfen.

In einem kleinen Bergdorf, halb Bauernstädtchen, halb Festung hält man sie gefangen. Das Video ist schnell gedreht, sie ist gezwungen, die Forderung zu verlesen: Dänemark soll sich aus Afghanistan zurückziehen. Zu Rikkes Bewachung wird der junge Nazir (Faegh Zamani) abgestellt, der von der hellhaarigen Fremden sogleich fasziniert ist. Nazirs Vater wurde, wie er ihr in einem schwachen Moment erzählt, von US-Soldaten erschossen; jetzt hat ihn sein Onkel zum Talib-Kämpfer erkoren, der Rache wegen.



Aber Nazir ist nicht ganz mit dem Herzen dabei. Als der Terroristenführer überlegt, Rikke zu töten, wendet der Junge ein, das würde nichts bringen: Nur ein toter Journalist mehr. Nicht mal BBC würde berichten. Das überzeugt den bärtigen Extremisten. Doch für Rikke und Nazir wird es trotzdem unangenehm. Um seine Männlichkeit zu beweisen, wird der Junge auserkoren, Rikke vor der Kamera einen Finger abzuschneiden. Er tut es, stützt nach draußen und übergibt sich.

Schließlich verhilft Nazir Rikke zur Flucht. Sie kehrt zurück nach Dänemark, wird ein Medienstar, schreibt ein Buch, tritt im Fernsehen. Auch die Liebe mit dem verheirateten Anwalt Thomas (Lars Mikkelsen) kommt wieder in die Gänge. Derweil gehen bei einem Bombenanschlag Nazir der kleine enge Zusammenhalt der Terroristengruppe verloren. Seinem toten Anführer nimmt er noch das Geld ab – und schlägt sich nach Dänemark durch. Rikke, die ihm ihr Leben verdankt, soll nun ihm helfen. Doch die wird als Heldin gefeiert, die sich – so war es Nazirs Bitte, um nicht als Verräter dazustehen – „selbst befreit“ hat.



Mit FLUGTEN nach Olav Hergels Roman „Flygtningen“ hat Kathrine Windfeld einen etwas Film gedreht, der vielleicht auch gar nicht anders konnte, als ein wenig unausgegoren zu sein und der nichtsdestotrotz eine spannende Story in seiner Kombination aus Flüchtlings- und Terrorismusdrama ist. Der Weg Nazirs nach Dänemark gerät leicht konstruiert, auch ist FLUGTEN gerade da schwach, wo er besonders stark sein müsste: wenn sich Rikke und Nazir in Dänemark wieder gegenüberstehen, er der nun als aus der Asylantenunterkunft entwichene Flüchtling, sie die engagierte Journalistin. Sofort ist sie bereit, ihm zu helfen, auch wenn sie weiß, dass es sie wegen ihrer kleinen – und trotzdem wohlgemeinten – Lügengeschichte ruinieren wird.

Doch beiden (oder zumindest dem Zuschauer) gönnt der Film keinen intensiven Moment vergleichbar dem des Anfangs, einer, in dem den zwei Welten und dieser hochdramatischen Konstellation der Umkehrung von Macht, Heimat und Abhängigkeit halbwegs ausgespielt würde. Nicht mal auf den abgeschnittenen Finger kommen sie zu sprechen. Auch weswegen Nazir sich genau nach Dänemark aufmacht – um aus Afghanistan rauszukommen, ein besseres Leben zu finden oder einfach Rikkes wegen –, bleibt unklar.



Vielleicht ist es aber von Vorteil, vielleicht tut der Film gut daran, keine Romantik aufkommen zu lassen, keine tiefe Seelenforschung zu betreiben und dem Gutmenschentum ein bisschen entgegenzuwirken – auch wenn er zum Schluss dann doch eine etwas zu bedeutsame Szene parat hält. Bei allen Schwächen, zu denen leider auch gehört, mit den großen drägenden Themen wie Afghanistan und Terrorismus, Einwanderung und Medienzirkus zwar leichthändig zu spielen, zugleich darin etwas achselzuckend „nur“ auf der Ebene des Personendramas und ihrem verschiedenen Formen des titelgebenden Entkommens zu bleiben: FLUGTEN weist drei große Vorzüge auf, die den Film sehenswert machen.

Da ist zum einen die „nordisch“ unaufgeregte Inszenierung, die mit der mittlerweile im Kino (und gerade dem des Terrorismusfilms) eingeübten, hier jedoch souverän und Bedacht eingesetzten Handkamera lakonisch, dezent und zugleich mitfühlend-interessiert gelingt. Weder Rikkes Verstümmelung, noch Nazirs Erbrechen werden ausgestellt. Im fahl orangefarbenen Licht Afghanistans oder dem kühlen winterlichen Blau Dänemarks widmet sich Windfeld ganz den Figuren und ihrer Geschichte, verbiegt sie nicht ästhetisch, fügt nichts über Gebühr hinzu.



Windfeld kann das auch, weil sie mit vor allem mit Iben Hjejle (MIFUNE; FLICKERING LIGHTS) eine nicht nur überaus talentierte, sondern auch einnehmende Schauspielerin hat. Dass deren Rikke dramaturgisch gesehen bisweilen wenig von sich preisgibt, ist dabei von Vorteil. Die stärksten Augenblicke von FLUGTEN ist auch nicht die Hauptstory um Nazir, es ist die unmögliche Beziehung zu Thomas, ihrem Ex-Freund und jetzigen wohlverheirateten Anwalt (von Lars Mikkelsen ebenfalls mit großer Präsenz verkörpert) und die der Film mit wenigen Federstrichen intensiv und komplex zeichnet.

Nicht zuletzt ist FLUGTEN ein origineller Beitrag zum internationalen „war-on-terror“-Kinos, in dem sich von Indien und Pakistan bis nach England und Deutschland jedes Land sich dem Aspekt des nun in doppelter Hinsicht transnationalen Terrorismus von al-Qaida und Co. widmet, der ihn zu Hause am meisten auf der Seele liegt. In Dänemark ist es u.a. die Debatte um den Umgang mit Migranten und Asylanten.

Natürlich denkt an die Mohamed-Karikaturen in der Jyllands-Posten, aber FLUGTEN wendet sich nicht – wie FREMDER FREUND in Deutschland oder SHOOT ON SIGHT in England – dem homegrown terrorism zu, den radikalisierten Muslimen, dem Verhältnis von echter und vermeintlicher Bedrohung und dem Problem der Toleranz und des Rassismus in diesem Kontext. Nein, FLUGTEN denkt zwei ansonsten weniger behandelte Problemfelder zusammen und regt zum Nachdenken an, wenn er den einstigen Terroristen nun zum arglosen Flüchtling macht.



Was also, wenn die Täter von dort zu Hilfesuchenden hier werden? Wie gesagt, der Film nimmt sich dem Thema nicht mit der Konsequenz an, die man im wünschen würde. Nur kurz, von einer Politikerin, mit der Rikke in einer Talkshow aneinander geraten ist, erfährt übers Fernsehen, dass Nazirs Terrorgruppe auch für einen Bombenanschlag auf einen US-Konvoi verantwortlich war. Nur eben dass der Film klar macht, dass und wie es eben nicht „Nazirs Gruppe“ ist. Natürlich muss der Film, für den Zuschauer, für das „Funktionieren“ seiner Geschichte, den jungen, buchstäblich blauäugigen Talib zu einem halbherzigen Mitläufer machen. Die Begründung dafür, der Tod des Vaters, gehört auch zum entschuldigenden Standard des Erzählens vom „tragischen Terroristen“.



Andererseits bietet FLUGTEN damit ein seltenes Gegen-Bild von den „fanatischen“ Taliban-Gruppen, die hier mal aus Jung und Alt, mal mehr, mal weniger Überzeugten zusammensetzen. Dass Mord und Verstümmelung nicht einfach und automatisch dem Glaubenskampf geschuldet und schlicht nicht jedermanns Sache auch auf der Seite der „Gotteskrieger“ ist, die eingebunden sind in ein komplexes Geflecht aus Tradition und Pflicht, Solidarität und Männlichkeitsdenken – dass wie knapp auch immer aufzugreifen ohne zu entschuldigen oder zu bejammern, ist gut.

Ebenso wirkt es überraschend „anderes“, wenn der Terrortrupp in die Stadt fährt und da selbst von einem Bombenanschlag als Kollateralschaden zum Opfer fällt: Es verdeutlicht das Problem vor allem im konkreten Anti-Terror-Krieg und im Namen einer Sicherheit, die auch am Hindukusch verteidigt wird, nicht einzelne Menschen und Ideologien bekämpfen zu müssen, sondern einer Unübersichtlichkeit und sich selbst generierenden Gewalt, die Ordnungsstrukturen auslöscht – und auch die des Denkens in Freund-Feind-Schubladen attackiert. Oder das von Heimat und Fremde.

In seinem Versteck, in dem ihn Rikkes Freunde nach seiner Flucht aus dem Heim untergebracht haben, betrachtet Nazir die im Hof zusammengepferchten Schafe. Zuhause, in der sonnigen Steinwüste am Rand der Berge hat er sie noch freilaufendend beim Ziegenhüten beobachtet. Wie für Rikkes und Thomas unterdrückte Liebe gilt eben: Manchmal ist das echte Freiheit nur im falschen Leben, wo (und wenn) der Tod ganz nah ist.


Bernd Zywietz


FLUGTEN (DK 2009)
R: Kathrine Windfeld
B: Mette Heeno, Rasmus Heisterberg
Nach dem Roman von Olav Hergel
Mit: Iben Hjejle, Lars Mikkelsen, Faegh Zamani, Sonja Richter, Henrik Prip
K: Jonas Alarik
SCH: Sofia Lindgren
M: Jean-Paul Wall
114 Minuten

Auf DVD erschienen.

Im Kino: "Der fantastische Mr. Fox" - Wes Andersons Puppenkiste

"Der Fantastische Mr. Fox" / "Fantastic Mr. Fox". Regie: Wes Anderson.
Kinostart: 13.5.2010


Schon auf der Frankfurter Buchmesse und dann noch einmal auf den Hofer Filmtagen hat Redakteur Mühlbeyer Wes Andersons Stoptrick-Animationsfilm "The Fantastic Mr. Fox" gesehen und war begeistert. Hier noch einmal seine Elogen über diesen Film für Mann, Frau, Kind und Hund:



Das ist der neue Film von Wes Anderson, und dass der sich lohnt, versteht sich ja wohl von selbst. Es ist, ja tatsächlich: ein Animationsfilm geworden, und das ist durchaus passend und folgerichtig für Andersons Oeuvre, denn auch seine Spielfilme benutzen eifrig graphische Elemente: die exzessive Buntheit, die extremen Zeitlupen, die bühnenhaften Querschnitte durch die Szenerie, und natürlich die wunderschöne Fischwelt in "Life Aquatic with Steve Zissou"... Nun hat er einen Film ganz im Puppentrick gemacht, eine Kindergeschichte nach Roald Dahl vom Fuchs, der sein bürgerliches Leben aufgibt und seine frühere wilde Zeit als großer Hühnerdieb wieder aufleben lassen will: er überfällt erfolgreich die Farmen von Boggis, Bunce und Bean; doch die schlagen zurück, mit allen Mitteln, verjagen ihn, schießen auf ihn, graben nach ihm, belagern ihn wie auch alle anderen Tiere der Umgebung, und da muss sich der schlaue Fuchs einiges einfallen lassen, um sich und alle aus der Bredouille zu befreien: Pfiff Pfiff, Zungenschnalz!

Das ist das coole Markenzeichen von Mr. Fox, und es es wunderbar, wie sich diese Figur einfügt in die Rollengeschichte von George Clooney, der ihn spricht: schlau, gerissen, charmant, einnehmend, einfallsreich, wortgewandt, ironisch und total cool. Auch wenn Mimik und Gestik und Aussehen von Fox wenig von Clooney haben, treffen sich in diesem Film Clooneys darstellerischer mit Andersons inszenatorischem Witz - der ganz ausgeklügelt in seinen Film - wieder einmal - die Mechanismen von Film-Standardsituationen offen legt und sie zugleich gewinnbringend für sich nutzt: wie er hier etwa die Heistfilm-Topoi (in denen "Ocean" Clooney ja firm ist) mit Finesse verwendet und zugleich ironisch desavouiert...

Und wer hätt's gedacht: natürlich spielen auch wieder Familienprobleme eine Rolle, diesmal, weil dem Fox-Sohn Ash ein Cousin Christoffer zugesellt wird, der ein Naturtalent in allem ist und deshalb ganz schnell zum Konkurrenten um Papas Gunst wird. Beispielsweise im Whackbat-Spiel, in dem Papa Fox früher mal Meister war und in dessen Fußstapfen nun nicht Ash, sondern Christoffer tritt. Eine unglaublich wild-wahnsinnig-unsinnige Baseball- und Cricket-Variante ist das, für die wohl Lewis Carroll Pate gestanden hat.


Harald Mühlbeyer


"Der Fantastische Mr. Fox" / "Fantastic Mr. Fox".
USA/GB 2009. Regie: Wes Anderson. Buch: Wes Anderson, Noah Baumbach nach dem Buch von Roald Dahl. Musik: Alexandre Desplat. Produktion: Allison Abbate, Scott Rudin, Wes Anderson, Jeremy Dawson.
Sprecher: George Clooney (Mr. Fox, deutsch: Christian Berkel), Meryl Streep (Mrs. Fox, deutsch: Andrea Sawatzki), Jason Schwartzman (Ash), Bill Murray (Dachs).
Länge: 87 Minuten.
Verleih: Twentieth Century Fox.
Kinostart: 13.5.2010

Im Kino: „Robin Hood“ – Historie im Konjunktiv

„Robin Hood“. USA / GB 2010. Regie: Ridley Scott.
Kinostart: 13.5.2010.


Ridley Scott geht zu den Ursprüngen zurück: Woher kommt Robin Hood, die Legende, der Rächer der Entrechteten, Beschützer von Witwen und Waisen? Robin Longstride, später Hood genannt, wird zunächst einmal als Legende präsentiert. Eine Legende, mit der sich Scott auseinandersetzt, indem er versucht, so etwas wie eine realistische Geschichte zu erzählen, nicht unähnlich Antoine Fuquas „King Arthur“-Schmonzes 2004, aber viel besser (was nicht allzu schwierig ist). Allerdings gibt es gar keine reale Geschichte von Robin Hood, der nicht einmal als historische Person gesichert ist. Er ist nur als Legende überliefert. Womit der Film also Historie im Konjunktiv beschreibt: Der Ursprung des Robin-Hood-Mythos als mögliche Wahrheit, als eine Variante der Geschichte, wie sie sich Drehbuchautor Brian Helgeland vorstellt. Wobei er sich auf Plausibilität und Wahrscheinlichkeit ebenso stützt wie auf spielfilmtaugliche Dramaturgie für eine abenteuerliche Heldengeschichte.

Scott und Helgeland legen in jedem Detail Wert darauf, etwas Neues zu erzählen, den alten Mythos ins Reich der Legenden zu verweisen. Richard Löwenherz ist nicht der ersehnte Befreier des Vaterlandes, sondern ein versoffener, kriegsmüder Schlendrian. Lady Marion ist nicht die Maid in Not, sondern eine zupackende Frau, die Haus und Hof fest und sicher im Griff hat. Der Sheriff von Nottingham ist zwar böse, taucht aber nur in drei Szenen auf und ist in der letzten ein Würstchen mit heruntergelassenen Hosen. Und Robin Longstride ist (noch) nicht der Outlaw, sondern der Held, der das Vaterland eint und zum Sieg gegen die Gefahr von außen führt.

Dabei blickt Scott tief hinein ins mittelalterliche England: Wie damals eine Burg belagert und erobert wurde; wie die Themsemündung aussah; wie sich in London um den gewaltigen Tower ein paar dreckige Hütten gruppieren, zwischen denen uralte römische Ruinen stehen, mit denen keiner was anzufangen weiß; wie Nottingham ein kleines Bauerndorf ist, von Wäldern umgeben, in denen wilde Waisen von Kriegsgefallenen ihr Unwesen treiben. Dahinein gibt Scott als Agens seinen Robin Longstride – seine Version von Hood.

Irgendwo zwischen Zurechtbiegen der Volkssage und Flirt mit der Legende liegt das, es hat etwas von Historien-Reenactment, wie man es von Mittelaltermärkten und nachgespielten Ritterturnierspektakeln kennt. Denn natürlich kann und will „Robin Hood“ kein mittelalterliches Proseminar sein. Deshalb tauchen auch die fröhlichen Gefährten von Hood auf, seine Waffenbrüder während des zehnjährigen Kreuzzug Richard Löwenherz’. Bei ihrem ersten Überfall, einem unbekümmerten Bubenstück, haben Hood und Co. auch viel Spaß, wenn sie das Saatgut, das die Kirche als Zehnt-Abgabe einbehalten hat, mit Charme und Chuzpe zurückholen. Little John, Bruder Tuck und wie sie alle heißen: sie sind wiedererkennbar aus der Überlieferung übernommen, um kleine comic reliefs zu bieten beim feuchtfröhlichen Feiern mit Bruder Tucks Honigmet oder bei kleinen andeutungsreichen Zoten: Warum heißt du eigentlich Little John?

Ridley Scott will eine neue Heldengeschichte erzählen, will eine Heldengeschichte neu erzählen, und Russell Crowe ist dafür genau der richtige Mann. Vom derben Bogenschützen des königlichen Heeres wird sein Longstride/Hood zum Ehrenmann, noch ritterlicher als die echten Ritter, deren Rüstungen er zu Verkleidungszwecken übernommen hat; zwischendurch wird er Held einer romantic comedy, wenn er als Lady Marions Ehemann auftritt, der in Wirklichkeit im Krieg gefallen ist, und sich ihr nach Screwballart annähert. Schließlich wird er zum Retter von England, der die Barone und den König zum gemeinsamen Kampf vereinigt und die angreifenden Franzosen zurückschlägt. Während der Film also einerseits die alte Legende verwirft oder zumindest ironisch mit ihr spielt, baut er zugleich eine neue auf. Die ist nun aber auch nicht überaus originell, sondern – man will den Film ja ans Publikum verkaufen – eine der gut gemachten, wenn auch nicht sehr einfallsreichen Heldenplots Hollywoods. Mitunter liegt der Gedanke nahe, dass die eigentliche Hood-Geschichte vom Gesetzlosen im Wald eben doch interessanter ist.

Longstrides wirklicher Gegner ist nicht der Nottinghamer Sheriff, auch nicht der schwache, cholerische, missgünstige König John, sondern dessen Berater Godfrey, der mit dem französischen Feind paktiert. Mit größter Mordlust und äußerster Brutalität treibt er die Steuern ein, nein: er brennt englische Städte im Namen des englischen Königs einfach nieder. Womit er die nordenglischen Barone gegen den König aufwiegelt, einen Bürgerkrieg provoziert, um den Einfall der Franzosen und deren Sieg über ein geschwächtes Land zu ermöglichen.

Hier trifft Scott die englische Seele: die traditionelle Feindschaft der Franzosen, die Angst vor einer Invasion ins Inselkönigreich. Und die Geburt der Demokratie in Form der Magna Charta, die dem englischen Volk Gerechtigkeit und Freiheit bringen soll – der Grundpfeiler des englischen Selbstverständnisses. Der Film – und das ist noch ein weiteres Stück Gepäck auf seinen Schultern – will auch die Geschichte des frühen Englands erzählen, im Rahmen der Fiktion also den großen historischen Hintergrund inklusive den Bezügen zum Heute mittransportieren: Geschichtsrekonstruktion, Heldensagen, Metamythos und die Geburt einer Nation.

Und da übertreibt Scott halt doch ein bisschen, wenn er Robin Longstride als den Auserwählten darstellt, der nicht nur Geburtshelfer des modernen Englands ist, sondern zugleich auch so etwas wie der Patenonkel - denn sein Vater war der Verfasser der Urform der Charta.


Harald Mühlbeyer


„Robin Hood“. USA / GB 2010.
Regie: Ridley Scott. Buch: Brian Helgeland. Kamera: John Mathieson. Musik: Marc Streitenfeld. Produktion: Brian Grazer.
Darsteller: Russell Crowe (Robin Longstride), Cate Blanchett (Marion Loxley), Max von Sydow (Sir Walter Loxley), Mark Strong (Godfrey), Oscar Isaac (Prinz John), William Hurt (William Marshal).
Länge: 140 Minuten.
Verleih: Universal.
Kinostart: 13.5.2010

Im Kino: “David Wants to Fly” – Yogische Abstürze

„David Wants to Fly“. BRD, Ö, CH 2010.
Regie, Buch: David Sieveking.
Kinostart: 6.5.2010.


Was Tom Cruise für Scientology ist, ist David Lynch für die TM-Bewegung. Seit Jahren bereist er in Werbe- und Missionsauftrag die Welt, um die Lehren des Maharishis über Transzendentale Meditation zu verkünden. Damit hat er beispielsweise David Sieveking erreicht, Filmstudent aus Berlin, als großer Verehrer von Lynchs abgründigem Werk einigermaßen erstaunt über Lynchs Hingebung zu Harmonie und Frieden dank TM. Er schafft es, ihn zum Interview zu treffen nach einer TM-Convention, und begibt sich so in die Sphären von TM, begleitet von der Kamera – soweit sie ihn begleiten darf.

Sie darf zeigen, was David zum Meditationskurs mitbringen muss: ein paar Blumen zum Beispiel, und 2380 Euro. Der Kurs selbst ist geheim, ebenso wie sein persönliches Mantrawort. Noch aber ist alles OK, David fühlt sich gut, kann wunderbar mit TM entspannen. Doch Probleme lösen: das kann TM nicht. Zum Beispiel die räumliche Distanz zu Freundin Marie überwinden, die in New York arbeitet. Oder ihm beruflich weiterhelfen, ihm ein Projekt, einen Film, etwas Geld verschaffen.

Nunja: immerhin kommt es dank TM zu diesem Film, zur dokumentarischen éducation sentimentale des Filmemachers, der sich selbst begleitet, wie er in die Untiefen der TM-Bewegung hineinschaut und wie es unheimlich zurückstarrt. Denn was so rosig aussieht, was von Lynch so positiv propagiert wird, was nicht unerheblich Anteil hatte an der Kultur- und Gesellschaftsgeschichte seit den 60ern: das hat wie jede Sekte seine Abgründe. Obwohl sich die TM-Bewegung nicht als Kirche, sondern als Philosophie, als Wissenschaft verstanden wissen will. Obwohl die Bewegung die Popkultur verändert hat – nicht nur die Beatles waren in den 60ern begeisterte Anhänger, an ihrer musikalischen Weiterentwicklung weg von der frühen Beatlemania-Boyband ab Mitte der 60er ist es abzulesen; auch Donovan hat einen Auftritt in Sievekings Film. Die Beatles hatten sich später abgewandt – nun sind sie wieder da, die Verbleibenden, McCartney und Starr erbieten Glückwünsche zur Gründung der David Lynch-Stiftung. Die Teil ist der zweifelhaften Strategie der TM-Bewegung, die Sieveking ergründet.

Millionenspenden betuchter Anhänger, Millionengebühren für die, die in der Hierarchie aufsteigen wollen – das Geld versickert irgendwo, die TM-Städte in Indien sind Geisterdörfer, ein paar halbverfallene Neubauten, in denen keinesfalls 8000 TMler wohnen, die dort angeblich liturgische Gesänge und Yogisches Fliegen ausüben sollen, um damit Weltfrieden zu generieren. Beiläufig kommt so die TM-Mythologie ins Spiel, das Ziel des Weltfriedens durch Meditation und Überwindung der Schwerkraft – was halt sehr lächerlich ist. Yogisches Fliegen: das ist Rumhüpfen im Schneidersitz, und nur wenige Auserwählte sollen angeblich mal tatsächlich durch Meditation, Trance, Geisteskraft geschwebt sein. Gesehen hat so was noch keiner, auch nicht die TM-Rajas, die als Botschafter die obersten Repräsentanten in verschiedenen Staaten sind. Der von Deutschland zum Beispiel verstrickt sich gerne mal in Phantasien von der Unbesiegbarkeit der deutschen Nation – das findet sogar D. Lynch sonderbar, er muss mit aller rhetorischer Kraft abwiegeln…

David Sievekings anfängliche Begeisterung wird zu detektivischem Interesse, getarnt durch gespielter Naivität. Die auch Teil ist seiner Selbstinszenierung. Irgendwann darf er nicht mehr auf TM-Kongresse, darf eigentlich unter Androhung von Klagen gar nicht mehr recherchieren, aber er macht weiter. Schließlich hat er Filmförderung erhalten.

Sein Film ist nicht nur eine Reise hinter die Abgründe der TM-Bewegung, sondern auch ironisches Spiel mit sich selbst: Sieveking zeigt, wie er an öffentliches Geld kommt für sein Projekt. Und wie er davon erstmal seine Wohnung renoviert, um Freundin Marie zu beeindrucken. Sieveking geht sein Thema erfrischend persönlich an, mit spielerischem Witz – das ist das Spannende an diesem Film. Der vom Subjektiven ins Objektive schwenkt und dann wieder ganz Persönliches einfließen lässt, der sichtlich mit Herzblut gemacht ist – die Begeisterung für Lynch ist ja der Ausgangspunkt, und die Reisen um die ganze Welt für sein Projekt, von Berlin über USA und Niederlande bis Indien und Himalaya sind nicht nur durch Fördergelder zu erklären. Nebenbei erzählt Sieveking auch von seiner verkorksten Liebesgeschichte, von seiner on-and-off-Beziehung zur Schriftstellerin und Journalistin Marie Pohl. Die sich stets extravagant kleidet, mit auffälligem Kleid und merkwürdigen Hüten, so wie David stets mit Zylinder auftritt. Sein Film ist auch gekonnt inszenierter medialer Aufbau des eigenen Images

Diese stete Selbstinszenierung streift mitunter – das ist der Minuspunkt – ins Selbstverliebte. Ein bisschen verheddert sich Sieveking in seiner Dokumentar-Dramaturgie, etwas weniger Marie-Liebesplot hätte vielleicht gutgetan. Diesem opfert er einen übergreifenderen Blick über den Tellerrand des Maharishi, seine Argumente gegen TM sind dieselben, die gegen Scientology oder Zeugen Jehovas etc. angewandt werden können. Und ausgehend von seinem Ansatzpunkt fragt man sich auch, wie denn nun Lynchs irritierend-unergründliche Filme mit seinem Glauben an ein friedlich-harmonisches Paradies auf Erden zusammenhängt.

Und doch: Man folgt gerne dem kleinen David S., wie er dem großen David L. folgt. Wie er von seinem Standpunkt aus Kritik übt an einer offenbar ausbeuterischen, bigotten Organisation. Wie er nebenbei den Maharishi entzaubert. Denn der war eigentlich nur Buchhalter seines angeblichen Lehrers Yogi Saraswati und darf von der vedischen Tradition her gar nicht das Meditieren lehren, er war hinter den Weibern her wie nichts und predigte dabei Enthaltsamkeit. Wie Sieveking hinter die Oberfläche der verschlossenen Organisation blickt, wie er auch heftige interne Machtkämpfe um den TM-Chefposten nach dem Tod des Maharishis 2008 mitfilmt: Das ist unbarmherzig investigativ. Und höchst unterhaltsam.


Harald Mühlbeyer



„David Wants to Fly“. BRD, Ö, CH 2010.
Regie, Buch: David Sieveking. Kamera: Adrian Strähli. Musik: Karl Stirner. Produktion: Martin Heilser, Carl-Ludwig Rettinger.
Mit: David Sieveking, David Lynch, Marie Pohl, Maharishi Mahesh Yogi.
Länge: 97 Minuten.
Verleih: Neue Visionen.
Kinostart: 6.5.2010.

Kritik – Replik: Thomas Klein in filmdienst 07/10 über Harald Mühlbeyers "Perception is a Strange Thing. Die Filme von Terry Gilliam"

In filmdienst 07/10 besprach Thomas Klein in einer Sammelrezension neben meinem Buch „Perception is a Strange Thing.“ Die Filme von Terry Gilliam (Schüren-Verlag, Marburg 2010) auch Georg Seeßlens George A. Romero und seine Filme (Edition Phantasia, Joachim Körber Verlag, Bellheim 2010) und Roland Mörchens Ronin. John Frankenheimer und seine Filme (Vertigo-Verlag, München 2010).

„Die Filmanalysen und Schilderungen der teilweise haarsträubenden Probleme Gilliams mit der Filmindustrie sind genau und kenntnisreich; da schreibt einer, der sich mit den Filmen intensiv befasst hat“, bemerkt Klein zu meinem Buch. Ansonsten überwiegt der kritisch-tadelnde Blick: Er bemängelt neben einigen sprachlichen Holprigkeiten (die zu verzeihen seien) insbesondere den fehlenden „kulturelle[n] und gesellschaftliche[n] Kontext sowie eine genretheoretische Diskussion“.

„Die überbordende Fantasie Gilliams, der Traum als zentrales Motiv seiner Filme, die Produktion komplexer Systeme von Subtexten und die politische Aktualität einiger Filme werden zwar genannt, in den Analysen aber nur angerissen. Dabei bieten sich hier kontextuelle Anknüpfungspunkte; denn wie man spätestens seit Alexander Kluge/Oskar Negt weiß, ist die Fantasie ein wichtiger menschlicher Erfahrungsbereich.“ Weiter heißt es: „Einige Versuche, Gilliams Filme in einen politischen Zusammenhang zu stellen, geraten fast peinlich, weil keinerlei Literatur hinzugezogen wird. So wird der Anfang von „The Meaning of Life“, der als „The Crimson Permanent Assurance“ als eigenständiger kleiner Film Gilliams besprochen wird, zwar richtig als scharfer Kommentar „zu einem inhumanen Turbokapitalismus, in dem die Angestellten nicht mehr als Menschen, nur noch als Produktivkräfte angesehen werden“ beurteilt, woraufhin allerdings die Aktualität dessen darin gesehen wird, dass dieses „Gedankengut des Neoliberalismus die Welt in eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen überhaupt getrieben hat“. Der Autor (oder das Lektorat) hätte gut daran getan, diesen Satz wegzulassen oder sich mit dem vielschichtigen Begriff „Neoliberalismus“ näher zu beschäftigen.“

Und: Thomas Klein hat recht. Alexander Kluge und Oskar Negt bleiben in meinem Buch außen vor; auch habe ich mich nicht vertieft in Literatur zu politischen Zusammenhängen, in die Gilliams Filme gestellt werden könnten. Ich analysiere Gilliams Filme nicht hauptsächlich im Hinblick auf politische oder gesellschaftliche Aussagen, im Gegensatz zu Georg Seeßlen in seinem Romero-Buch, den Klein im selben Artikel ebenfalls, allerdings wohlwollend rezensiert und dem er bescheinigt, dass es ihm „einmal mehr“ gelinge, „dem Werk eines Regisseurs im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext Kontur zu verleihen.“

Ja: Klein vermisst den kritischen Blick in meinem Buch, und nein: einen solchen wollte ich gar nicht bieten. Insofern hat Kleins Kritik durchaus seine Berechtigung, denn das, was er in meinem Buch suchte, konnte er – bedauerlicherweise – nicht finden. Er sieht in Romero einen der „bedeutendsten Gesellschaftskritiker des Kinos“ und in Gilliam seinen in dieser Hinsicht ebenbürtigen Kollegen – womit er zweifellos recht hat, allerdings außer Acht lässt, dass Gilliam nach „Brazil“ kaum mehr direkten Bezug zur politischen und gesellschaftlichen außerfilmischen Wirklichkeit nimmt – „12 Monkeys“ zeigt zwar die Selbstzerstörung der Menschheit, aber innerhalb einesVexierspiels zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn; „Fear and Loathing in Las Vegas“ nimmt Bezug auf die historische außerfilmische Wirklichkeit; und erst „The Imaginarium of Dr. Parnassus“ enthält wieder direkt satirische Spitzen etwa zu Konsumismus und Charity-Wahn.

Thomas Klein hat seinen Standpunkt zu Gilliam, der sich mit meinem nicht hundertprozentig deckt, er kann diesen Standpunkt begründen, und leider passt mein Buch nicht zu seinen Vorstellungen. Während Klein einen Blick auf die Welt durch das Prisma von Gilliams Filmen fordert, betrachte ich das Prisma selbst. Wobei ich natürlich auch sowohl der bunten Strahlenspur, die das Prisma aussendet, als auch der Quelle des weißen Lichtes, das in diesem Prisma gebrochen wird, nachzugehen mich bemühe. Ob dies gelungen ist, muss gesondert beurteilt werden – Thomas Klein tut es in seiner Rezension nicht.

Ein kleinsches Argument aber kann ich entkräften: „Selbst eine Bemerkung zu Gilliams eindeutiger politischer Positionierung, die ihn dazu bewog, die US-amerikanische Staatsbürgerschaft während der Bush-Regierung abzugeben, bleibt aus, ja wird nicht einmal erwähnt“, schreibt er. Gerne sei hierzu ein Zitat von Gilliam nachgereicht: Beim Filmfest München 2006 antwortete er auf einer öffentlichen Podiumsdiskussion auf eine diesbezügliche Frage von Moderator Robert Fischer: „It’s partly political, partly tax, partly getting old and trying to simplify a too complicated life“ – eine ähnliche Aussage findet sich in einem Interview auf Dreams – The Terry Gilliam Fanzine (runterscrollen, drittletzte Frage). Dass Gilliam nicht zur politischen Rechten gehört, ist selbstverständlich – man muss sich nur eine beliebige halbe Minute Monty Python anschauen. Seine Aufgabe der US-Staatsbürgerschaft freilich war kein rein politischer Akt. Und auf ebensolche Weise können meiner Meinung nach auch Gilliams Filme nicht allein auf politische Aussagen bezogen werden – wer sie auf diese Weise eindeutig macht, reduziert sie und wird ihnen keinesfalls gerecht. Finde ich.


Harald Mühlbeyer



Wer trotz Thomas Kleins Verriss das Gilliam-Buch kaufen möchte, wird in unserem Online-Shop fündig.

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Kritik auf digitalvd.de HIER.

Fritz Langs „Nibelungen“-Filme – Deutsche Oper Berlin, 27. April 2010

„Die Nibelungen“, Deutschland 1924
Regie: Fritz Lang.


Soviel Glamour wie bei der Uraufführung der neuesten „Metropolis“-Version im Februar war diesmal nicht. Keine doppelte Premiere in Berlin und Frankfurt, kein gleichzeitiges Public Viewing am Brandenburger Tor – obwohl das Wetter für Freiluftkino sicherlich besser gewesen wäre als im bitterkalten Winter –, auch keine gleichzeitige Ausstrahlung auf arte, nicht einmal glanzvolle Prominenz – lediglich zwei MdBs wurden namentlich begrüßt. Nein: Fritz Langs „Nibelungen“-Filme haben nicht den großen Namen, ziehen nicht den großen Film-Mythos nach sich wie der nachfolgende Super-SciFi-Klassiker (wiewohl sie umso tiefer im urdeutschen Mythos wühlen). Festlich war sie aber doch, die Gala in der Deutschen Oper am 27. April, wo der zweiteilige Film von 1924 – „Siegfried“ und „Kriemhilds Rache“ – wieder-uraufgeführt wurde, begleitet vom hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Frank Strobel.

Die Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung Wiesbaden brachte damit innerhalb weniger Wochen ein zweites großes Restaurierungsprojekt über die Bühne; schon seit 2005 saß Anke Wilkening an den „Nibelungen“-Filmen, organisierte eine weltweite Suche nach Kopien, sichtete Material, koordinierte Restaurierung und Rekonstruktion von Film wie von Musik; unterbrochen durch den Überraschungsfund fehlender „Metropolis“-Szenen im Jahr 2008. Durch das dadurch notwendige parallele Arbeiten an beiden Fritz-Lang-Großfilmen wurde die Sache nicht einfacher...

Lang hat einen zweiteiligen Film der Superlative geschaffen, einen der teuersten der Stummfilmzeit, mit innovativen und für damalige Verhältnisse erstaunlichen Special Effects – inklusive mächtiger Bauten, einem eigens geschaffenen Wald, einem Drachen, der es von der Wirkung her locker mit den Monstern aus „King Kong“ knapp zehn Jahre später aufnehmen kann.
Bereits für die Fritz Lang-Retrospektive der Berlinale 2001 waren die beiden „Nibelungen“-Filme aufgefrischt worden, nun sind sie wirklich runderneuert – dass die Filme nach wie vor ein paar Flecken, Laufstreifen und mitunter wackligen Bildstand aufweisen, ist wohl der Materiallage geschuldet. Noch immer fehlen zwei Szenen aus „Kriemhilds Rache“, die die Ufa damals schon, nach der Premiere 1924, herausgeschnitten hatte. Dafür wurde jetzt eine kurze Einstellung in einer Rolle mit Outtakes wiedergefunden: Kriemhild bricht nun am Ende nach Vollzug ihrer Rache nicht mehr einfach zusammen, sie wird von Waffenmeister Hildebrand hinterrücks mit dem Schwert erstochen.

Insofern ist die jetzige Version die ultimative – im originalen Orange viragiert, versehen mit der ebenfalls rekonstruierten originalen Orchestermusik von Gottfried Huppertz, die mit motivischen Melodiebögen die Handlung begleitet und vertiefend kommentiert – Frank Strobel war auch schon bei der „Metropolis“-Restaurierung beteiligt und auch nun verantwortlich für Musikarrangement und Orchestrierung. Klare Linien durch klare motivische Orientierung – das findet sich auch in den Zwischentiteln, wo den Personen bestimmte Symbole zugeordnet sind: Zu Siegfried der Adler, zu Kriemhild das Einhorn, zu Hagen der Wolf, zu Etzel das Pferd usw.

Siegfried will haben

Klare Ordnung, statische Ästhetik, ornamentale Figurenanordnungen bestimmen den ersten Film „Siegfried“; der allerdings dementsprechend die ersten drei, vier Akte lang recht langweilig ist. Bildhafte Tableaus, so schön sie auch sind, sind nicht abendfüllend; und wenn der Film eine Stunde lang mehr oder weniger nur Siegfrieds Heldentaten besingt, zieht sich das. „Sag mir den Weg nach Worms, sonst bist du deines Lebens quitt“ – die pathostriefenden, schon geradezu schwülstigen Zwischentitel entsprechen den Taten von Siegfried, der sich in Heldenposen gefällt und auch sonst immer gut drauf ist. Mit nacktem Oberkörper schmiedet er ein Schwert, das eine Feder zu teilen vermag, wirft sich in Positur, die blonde Haarpracht stellt sich kühn vom Hinterkopf ab, er ist starker Mann und Haudrauf: Held, Recke, Drachentöter wird er penetrant von den anderen genannt, er soll auf jeden Fall die heroische Identifikationsfigur sein. Und fällt dabei doch durch.

Denn „Die Nibelungen“ erzählen, wo sie im Vordergrund nur eine erbauliche Heldensage „dem deutschen Volke zugeeignet“ bebildern, stets mindestens eine weitere, andere Geschichte mit – wobei immer unklar bleibt, wie gewollt diese Doppel- und Dreifachcodierung der Handlung eigentlich ist. Siegfried soll einerseits der reine, pure Held sein – und folgt andererseits einer – heute höchst irritierend wirkenden – Ethik des Habenwollens, und zwar um jeden Preis. Er erpresst die Auskunft über den Weg nach Worms, weil er von Kriemhild gehört hat und sie sich zum Weibe nehmen will; nimmt Schwert und Schimmel, reitet durch den Wald, in 100 Meter Entfernung trinkt friedlich ein Drache an einem Bach, er rennt hin, haut den Drachen – sicherlich vom Aussterben bedroht! – tot; holt sich dann nonchalant beim Nibelungenzwerg, bevor er ihn umbringt, den Schatz und das Wunderschwert Balmung – obwohl er schon eines hat, obwohl er Balmung in beiden Filmen nie wieder benutzen wird.

Habgier, Besitzergreifen, Rücksichtslosigkeit spielen bei „Siegfried“ im Untergrund mit. Ist das eine bewusste Fritz-Lang-Interpretation des Helden? Oder rutscht es ihm nur einfach so durch? Die unfreiwillige Ambivalenz gerinnt manchmal zur unfreiwilligen Komik, etwa wenn der Film fast schon selbstreferentiell den Wormser Thronsaal zeigt, wo sich die Königsfamilie sichtlich langweilt: König Gunther klopft seine Finger nervös auf die Armlehne des Throns, Kriemhild stickt, Volker singt ein Liedchen, der grimme Hagen stiert vor sich hin.

Ja: Interessant wird „Siegfried“ erst, wenn der Titelheld nicht mehr der Macher ist, sondern am Hofe von Worms in Intrigen versponnen wird, die er nicht überblickt. Wenn er, der Naive, in Lügen, Gerüchte und Meineide hineinrutscht, wenn ihm in Hagen der überlegene Gegner heranwächst. Hagen, das wird mehr und mehr klar, ist der Antagonist und gleichzeitig Siegfried gleich: Auch er will vieles haben, er ist dem Willen zur Macht erlegen, wer ihm im Weg steht, bekommt einen Speer in den Rücken. Hier liegt der Knoten, der den zweiten Teil, „Kriemhilds Rache“, packend und intensiv, aber auch aufwühlend und schwer verdaulich macht.

Die deutsche Seele

Gunther hatte Siegfried Treue geschworen; Brunhild, die er nur mit Siegfrieds Heldenkraft hat bezwingen und zum Weibe machen können, verlangt vom König, Siegfried zu töten, um ihre Ehre zu retten; Hagen hat einen Plan, tötet – mit unwissentlicher Hilfe von Siegfrieds Angetrauter Kriemhild – den Helden; und Gunther schwört Hagen Treue, schützt den Mörder, umso störrischer, da er zuvor den Schwur gegenüber Siegfried schmählich gebrochen hat. Nun wiederum schwört Kriemhild Rache, sie will den Mörder ihres geliebten Mannes bestraft sehen – das ist die Lage am Ende von „Siegfried“. „Kriemhilds Rache“ erzählt nur von der obsessiven Leidenschaft der Destruktion, davon, wie das unentwirrbare Gemengelage von Schwüren und absoluter Ehrauffassung am Ende alle töten wird.

Kriemhild lässt sich auf eine Ehe mit dem Hunnen Etzel ein, bindet ihn mit einem weiteren Schwur an sich – wer sie kränkt, den soll er töten. Zur Geburt ihres Sohnes – obwohl ihr Herz nur an Siegfried hängt, ist die Ehe offenbar nicht ganz unglücklich – lädt sie also ihre Verwandten ein, verlangt vom Ehemann, diese niederzumetzeln, was dieser verweigert, scheucht dann die Hunnenkämpfer auf, provoziert die Wormser, bis Hagen, Hitzkopf der er ist, Etzels und Kriemhilds Sohn erschlägt. Jetzt gibt es kein halten mehr: mindestens eine dreiviertel Stunde lang wird nun gekämpft, getötet und gestorben, was das Zeug hält. Und auch hier wieder zwei Ebenen: Einerseits die Rachsucht von Kriemhild, der sie alles opfert, die Familie, sich selbst, auch gänzlich Unbeteiligte, ein Hass, der angesichts der tödlichen Intrige des ersten Films durchaus verständlich ist: eine Ausgestaltung des faszinierenden Kinotopos der Vergeltung in einer Ausführlichkeit, die in der Filmgeschichte kaum übertroffen wird. Und andererseits der mythisch-germanische Sumpf, in dem der Film watet, eine Verherrlichung von Ehre und Schwur, von Treue und Tod, die den Film tatsächlich – Kracauer lässt grüßen – zur protofaschistischen Erzählung werden lässt. Weniger wegen der Bildkompositionen, die den ersten Teil beherrschen, die Menschen zu rein ornamentalen Ausstattungsstücken degradiert. Eher schon wegen der Verabsolutierung der eigenen Weltanschauung ohne Rücksicht auf Verluste. Hier wandelt der Film tatsächlich auf dem Urgrund nationalsozialistischer Mythen, wovon die Filmemacher freilich noch nichts ahnen konnten. „Die Nibelungen“ sind vor allem auch ein Rückgriff auf nationalpolitische Grundsätze, die zur Katastrophe des Ersten Weltkriegs führten – und zwar ganz distanzlos und durchaus affirmativ.

„Nibelungentreue“: Das steht für das bedingungslose Bündnis des deutschen Kaiserreichs zu Österreich-Ungarn im Vorfeld des Ersten Weltkriegs, und statt nach Millionen Toten nun diesen Begriff kritisch zu behandeln, schwelgen Lang und seine Drehbuchautorin Thea von Harbou darin. Blenden dabei nicht aus, dass Nibelungentreue letztendlich zum Untergang, zum Triumph des Todes führt – nein, sie zeigen diesen Untergang, zeigen ihn aber als unausweichlich, als schicksalhaften Zwang; hinterfragen nur einmal in einem Zwischentitel die Unnachgiebigkeit der hasserfüllt miteinander Kämpfenden, um prompt antworten zu lassen: „Du kennst eben die deutsche Seele nicht.“ Wo es ums große Ganze geht, sprich: um Ehre und Treue, da dürfen auch mal Millionen in den Schützengräben verrecken.

Insofern erklärt sich, warum die „Nibelungen“ zu den erfolgreichsten Filmen der 1920er Jahre zählen, und zwar nicht nur in Deutschland, auch international: Denn jeder hatte eine Sinnfindung nach dem sinnlos erscheinenden Krieg nötig, und warum nicht die Fatalität des Schicksals nehmen, wenn damit wenigstens die Heldenhaftigkeit der Kämpfer gewahrt bleibt? Insofern erklärt sich aber auch, warum die Nibelungen heute nicht mehr so richtig vom Hocker reißen: Zur altbackenen Moral von der Geschicht’ kommen noch Darstellungen dazu, die dem Betrachter sauer aufstoßen können. Dass Alberich im „Siegfried“-Film ein jüdisches Erscheinungsbild zu haben scheint, ist vielleicht der spezifischen Post-Holocaust-Wahrnehmung des heutigen Zuschauers geschuldet. Die Hunnen aber sind direkt als Tiere gezeichnet, als kulturlose Kämpfer im Gegensatz zu den hochzivilisierten Wormsern, den Deutschen mit dem Identifikationspotential: Das Fremde ist das Andere, das potentiell gefährlich werden kann.

Und auch hier wieder die doppelte Bedeutungs- und Deutungsebene: Denn die einzige wahrhaft tragische Gestalt der Filme ist Etzel, der kriegerische Hunnenkönig, der Kriemhild und seinen Sohn so sehr liebt und der dann mit ansehen muss, wie alles den Bach runter geht. Der gar nicht recht begreifen kann, wie es zu dieser unermesslichen Metzelei am Ende kommt.

Auch einen noch weiteren Bogen kann man spannen. Quentin Tarantino, der Verwandler von alter Filmgeschichte in neue Filmgeschichte, ist sicher begeistert von Langs „Nibelungen“, von der gewaltigen Rache einer einzelnen Frau, die erbarmungslos alles opfert, was ihr je lieb und teuer war. Die heldischen Posen, die ideologischen Stolperer, die bildgewaltigen Tableaus haben den trashigen Camp-Charme, den Tarantino liebt; und sicherlich ist seine „Inglourious Basterds“-Version des Untergangs der Nazi-Elite in der Feuersbrunst eine Referenz an den Untergang der Nibelungen im brennenden Hunnenpalast. Gleich zu Anfang des „Siegfried“-Filmes die Feder, die auf die Schneide eines Schwertes herabsegelt und dabei entzweigeschnitten wird: Ist das nicht purer „Kill Bill“?

Harald Mühlbeyer


„Die Nibelungen“, Deutschland 1924
1. Teil: „Siegfried“ – 2. Teil: „Kriemhilds Rache“
Regie: Fritz Lang. Drehbuch: Thea von Harbou. Kamera: Karl Hoffmann, Günther Rittau. Musik: Gottfried Huppertz, restauriert von Frank Strobel. Produktion: Erich Pommer.
Darsteller: Paul Richter (Siegfried), Margarethe Schön (Kriemhild), Hanna Ralph (Brunhild), Hans Adalbert Schlettow (Hagen), Theodor Loos (König Gunther), Rudolf Klein-Rogge (Etzel).
Länge: 147 und 117 Minuten
Restauriert von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden.


Filmbilder- Credit: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Premierenfoto-Credit: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung / Thomas Rafalzyk