DVD: „Hotel Splendide“ – Re-Re-Re-Recycling

„Hotel Splendide“. Großbritannien/Frankreich 2000. Buch, Regie: Terence Gross.


In der riesigen Maschine im Keller des heruntergekommenen Hotels ist sie noch lebendig, die Mutter, nach der sich auch ein Jahr nach ihrem Tod alles richtet: die revolutionäre Recyclingmaschinerie hält das Hotel in Gang, bietet Energie ohne Maß. Denn sie speist sich aus den Ausscheidungen der Gäste durch Methanisierung der Fäkalien. Und statt teurer Beerdigung wurde die verstorbene Mutter damals, zur feierlichen Einweihung, im Energieofen verheizt, so dass sie als Geist stets in allen Mauern des Hotel Splendide anwesend sein wird.

Die tote, gegenwärtige Mutter bestimmt auch nach dem Tod jeden Ablauf, jede Routine im Hotel Splendide – Sohn Dezmond, Manager des Hotels, pflegt ihre Traditionen und beharrt auf ewige Wiederkehr des Gleichen. Das bedeutet: Gleiches Essen jeden Tag, gleiches Kurprogramm aus Wasseranwendungen, gleiche Schallplatte mit obskuren Ernährungs- und Verdauungstipps, aufgenommen noch von der geliebten Mutter: Verzicht auf Zucker, Fett, Gewürze, Geschmack; und die gleichen Gäste sowieso, tagein tagaus, das ganze Jahr, deren Ausscheidungen wiederverwertet werden, um neues Essen zu kochen.

Auch der Film selbst ist eine Art Recyclinghof der Filmgeschichte: Hitchcocks „Rebecca“ wird hier mit der Trostlosigkeit eines Fawlty-Towers-Hotels vermischt, ein wenig klingt das Hotel California an: You can check out any time you like, but you can never leave. Und der etwas schräge Look des Films mit seinen düster-überfüllten Bildern wurde wohl von “Delicatessen” inspiriert – also selbst einem Film, der Bekanntes wiederverwertet.

Im Grunde lohnt es immer, einen frühen Film mit Daniel Craig zu sehen, er spielt hier Ronald, den Hotelkoch, der sich auf einen Speiseplan aus Algen und Aal spezialisiert hat: an ihm entzündet sich die Handlung des Films, in ihm nagt etwas, ein Zorn, eine Wut, stumm und verbissen werkelt er in der Küche. Bis ein neuer Gast auftaucht – ja, tatsächlich: ein neuer Gast in dieser Hotelruine: Kath, die einstmals als Küchenhilfe hier gearbeitet hatte und Ronalds große Liebe war. Bis sie von der Mutter vertrieben wurde. Ronald kann ihr nicht verzeihen, dass sie ihn verlassen hat, muss sie nun aber aushalten, weil sie sich einnistet und weil sie besseres Essen kocht als er – weil sie die Leib- und Lustfeindlichkeit dieses Ortes aufbricht und so etwas wie Leben in die vornehmlich alten Kurgäste einhaucht, die nichts kennen außer den immergleichen Trott dieses Hotels.

Mit Kath kommt die Veränderung: Diesen Hauptstrang des Films verfolgt Regisseur Terence Gross mit ziemlichem Verve, das ist der Teil des Films, der wirklich funktioniert: wie der ewige Kreislauf von Essen und Ausscheiden durchbrochen wird, wie die menschenfeindliche Routine, die Hotelmanager Dezmond in liebender Erinnerung an die Mutter diktatorisch einfordert, langsam zerschlagen wird, wie sich so etwas wie eine parabelhafte Erzählung aus diesem Film herausschält von einer festgefahrenen Gesellschaft, die zurückgeworfen ist auf sich selbst und durch einen Impuls von außen wieder neu in Bewegung gerät. Das ganze mit visueller Kraft und voll britisch-schwarzem Humor erzählt, der nicht auf Pointen aus ist, sondern auf skurrile Situationen in einer absurden Umgebung – verdienstvoll, wie trotz der ständigen Thematisierung von Fäkalien gerade keine billige Furz-Kaka-Witze gerissen werden. Die Fäkalien sind Metapher für die Unveränderlichkeit eines menschenfeindlichen Systems: Die Scheiße, mit der sich die Hotelgäste auseinandersetzen müssen, ist ihre eigene.

Doch der Film als ganzes ist aus dem Gleichgewicht, weil Gross sich zuviel zumutet. Er will mehr, als er verdauen kann, nimmt im Verlauf des Filmes noch dies und das auf, ohne es richtig einordnen zu können, jeder Hotelgast bekommt einen spinnigen Spleen, jede Figur eine eigene kleine Nebenhandlung, die kaum verbunden ist mit dem Rest des Films. Nicht die Überfülle der Ideen ist das Problem, sondern ihre fehlende Organisation. So dass sich nicht der Eindruck eines Gesamtporträts ergibt, sondern eine Vereinzelung der Szenen: vieles hat mit dem anderen schlicht zuwenig zu tun. Und die eine Skurrilität hebt die andere auf, so dass am Ende wenig übrigbleibt.
Wichtig ist, was hinten rauskommt, und da fehlt das Überraschende in diesem Kabinett der Sonderbarkeiten: es ist einfach nichts wirklich Originelles dabei – womit Gross wiederum an Jeunet anschließt, der auch seine ursprüngliche Originalität verloren hat und – sein neuestes Machwerk „MicMacs“ zeigt es deutlich – nur noch ein Sammelsurium an Einfällen bietet, die letztlich unverwertet bleiben.


Harald Mühlbeyer


„Hotel Splendide“
Großbritannien/Frankreich 2000. Buch, Regie: Terence Gross. Musik: Mark Tschanz. Kamera: Gyula Pados. Produktion: Ildiko Kemey.
Mit: Toni Collette (Kath), Daniel Craig (Ronald Blanche), Katrin Cartlidge (Cora Blanche), Stephen Tompkinson (Dezmond Blanche).
Länge: 84 Minuten.
Anbieter: Kinowelt/Arthaus.
Extras: B-Roll, Making of, Interviews – alles nichtssagendes, repetetives PR-Material.


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