First Steps Award 2010 für BIS AUFS BLUT


Der FIRST STEPS Award 2010 in der Kategorie Abendfüllender Spielfilm geht an:

BIS AUFS BLUT – BRÜDER AUF BEWÄHRUNG

Wir gratulieren von ganze Herzen - denn nicht zuletzt fanden wir den Film, dieses Jahr auf dem Max Ophüls Preis vorgestellt, HIER IRGENDWO in der Mitte schon ganz famos.


Die Jury-Begründung:

"Oliver Kienles Abschlussfilm meistert bereits in seiner Titelsequenz, wofür mach anderer Film seine ganze Länge benötigt: Knast und Frauen bringen die Freunde Tommy und Sule nicht auseinander, aber als Tommy plötzlich wegen Dealen mit Hasch verhaftet wird, stellt sich die Frage, wer ihn verpfiffen hat. Diesen versierten Umgang mit filmischen Mitteln hält der Film vom Beginn bis zur letzten Minute. Das Drehbuch ist realitätsnah geschrieben, komplex und bemerkenswert gekonnt dramatisiert. Jacob Matschenz und Burak Yigit verkörpern die beiden "Blutsbrüder" mit einer selten gesehenen Lust am Spiel. Auf dieser Grundlage erzählt Oliver Kienle ein glaubwürdiges, nah am Lebensgefühl seiner Protagonisten orientiertes Stück Kino, ohne falsches Pathos, originell und makellos inszeniert."

Die restlichen Preisträger? Finden Sie mitsamt den Nominierten HIER.

Ecce homo – Schlingensief ist tot

Irgendwie habe ich geahnt, dass Christoph Schlingensief in diesen Tagen sterben wird. Nein, nicht einfach nur, weil er an Krebs erkrankt war, das ist ja nun schon seit Jahren bekannt. Sondern weil ich jetzt erst, letzte Woche, begonnen habe, sein Erkrankungs-Tagebuch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ zu lesen (und als ich am Sonntag von seinem Tod erfuhr, war ich auf den letzten Seiten angelangt). Das ist nun doch schon ein schlingensiefscher Moment: Er stirbt, während ich sein Buch lese, ein Buch, in dem er immer wieder bohrend nach dem Urgrund seines Krebses sucht, immer wieder metaphysisch-spirituelle Verbindungen beschreibt, die für ihn manchmal durchaus real sind: Verbindungen zum sterbenden Vater, zu Gott, Jesus und Maria, zu Richard Wagner. Gibt es solche übersinnlichen Fähigkeiten auch zwischen dem Buch auf meinem Sofa und Schlingensiefs Krankheitsverlauf? Habe ich vielleicht mit der Lektüre unbewusst deshalb so lange gezögert, damit er weiterleben kann? Und diesen Pakt mit Gott, Schicksal oder vielleicht auch Schlingensiefs Astral-Ich (oder was weiß ich was) dann doch gebrochen? Bin ich Schuld an seinem Tod?

In „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“ ist ein Schlüsselbegriff die Freiheit. Von ihr ausgehend dekliniert Schlingensief Leiden und Tod, Religion und Liebe durch, sein eigenes Schaffen wie das Bemühen anderer für ihn. Freiheit: das ist ihm ganz wichtig, und zugleich bringt er den Begriff nicht auf einen Punkt, will es nicht, kann es vielleicht auch nicht, weil immer wieder das Dialektische, Paradoxe von Leben und Tod in die Quere kommt. Diese Verschriftlichung seines Leidensweges ist voller Widersprüche, der Widersprüche im Empfinden wie im Denken: ohne Probleme – und ohne dass es problematisch werden – stehen da von Tag zu Tag, von Passionsstation zu Passionsstation gegensätzliche Meinungen und Emotionen gegenüber, unvereinbar. Und daneben, darüber eine stetige Wärme, eine Liebe, die sich gerade in der Suche nach Liebe ausdrückt, eine seltsame Harmonie. Wie sie sonst in seinem Werk selten zu finden ist, am deutlichsten wohl in „Freakstars 3000“, einer Castingshow-Persiflage nicht mit Supertalenten, sondern mit Behinderten. Mit denen er ganz lieb, überaus herzlich und voll Innigkeit umgeht.

Dabei sind seine sonstigen Filme vor allem Angriffe. Angriffe auf die Verhältnisse, Angriffe auf die Zuschauer. Angriffe, die sich weniger in ihren Inhalten, in ihrem Dargestellten ausdrücken: Kacken und Ficken, Töten und Vergewaltigen sind ja an sich nicht unbedingt anstößig in ihrer Abstößigkeit (sondern das Beste zum Beispiel an einem Historienschinken wie Jo Baiers „Henri 4“, und in unterschiedlichem Maße auch in US-Mainstream-Filmen von Komödien um Apfelkuchen bis zu (demnächst) Sly Stallones „The Expendables“ zu finden). Es ist die Lautstärke bei Schlingensief, die verstört, und zwar nicht der reine Geräuschpegel, den man mit der Fernbedienung runterschrauben kann. Auch wenn man ganz leise schaltet, ist alles Krach: die Figuren schreien sich permanent an, in ganz disparaten Tonlagen, wie die Verrückten, mit unglaublicher Aggressivität, so dass beim „Deutschen Kettensägenmassaker“ oder beim „Terror 2000“ oder bei „United Trash“ der Splatter eben nicht nur auf dem Bildschirm, auf der Leinwand stattfindet, sondern aus den Lautsprechern auf den Zuschauer eindringt. Unterstützt wird diese Attacke durch den schnellen, hitzigen Filmschnitt, den Schlingensief unter dem Namen Thekla von Mühlheim oftmals selbst verbrach: eine Montage, die die Bilder, die Handlungen verhackstückt und absichtsvoll de-arrangiert.

Auseinanderzerren und Zerlegen, und zwar nicht mit Chirurgenwerkzeug, sondern mit der Kettensäge: wahrscheinlich wollte er das mit seinen Filmen durchführen, nicht um der Zerstörung willen, sondern, um das Innere freizulegen. Und zugleich nahm er Bilder, Motive, Diskursversatzstücke aus der Realität, schichtete sie übereinander, bis zumindest einige unter der Last zerbrachen, zermatschte sie auch mitunter zu einem grauen Brei, legte sie als nichtpassende Puzzlestücke aneinander, zeigte die Brüche und Widersprüche, die in ihnen steckten, indem er sie zerbrach und ihnen genau dadurch – negativ mal negativ – widersprach.

Der Angriff der Kunst auf den Zuschauer, das Überspringen der Barriere, das er mit einem erweiterten Theaterbegriff zelebrierte und das er, so gut es geht, auch bei seinen Filmen versuchte, wurde oft als Provokation ausgelegt. Dabei war es nur ein Bemühen um Unmittelbarkeit, um Erleben, um Wahrhaftigkeit: der Zuschauer sollte involviert sein, sollte Reaktion zeigen auf das, was er sieht. Sollte sich auseinandersetzen mit dem, was ihm vorgesetzt wurde – mit den Filmen und in den Filmen, in die allerhand reingestopft wurde, in denen es schlicht um alles ging. Oder um nichts.

Was in seinem Kopf umherspukte, bannte er auf Leinwand – später auf die Bühne, ins Fernsehen, auf Kunstperformances, in Bücher, in Monologe: sein künstlerisches Leben – und das heißt nichts anderes als sein gesamtes Leben – war ein Ausbrechen, ein Aussprechen, eine Auseinandersetzung weniger mit der Welt als mit den Bildern, die wir uns von der Welt machen, besser: die uns über die Welt vorgesetzt werden. Die Medien-, Bilder-, Motiv-, Genre- und Mythengeschichte nahm er wörtlich als Geschichte, als Gutenachtgeschichte, als Märchen – in denen ja auch ein Kanon von symbolisch verschlüsselten Motiven immer neu arrangiert ist, auch ausgetauscht oder kopiert werden kann. Nur, dass Märchen einen Sinn haben, eine Moral, damit eine Klarheit von Aussage und Verständnis, der sich Schlingensief immer verweigerte.

Weil es sie in seiner Welt – sprich: in unserer Welt – nicht gibt und nicht geben kann. Tief drinnen, in all dem vielfältigen Gemetzel, die seine Filme darstellen, wenn sie Schneisen schlagen durch das Denken, wenn sie sich wie wahnsinnig gebärden, weil sie Wahnsinniges darstellen, wenn in ihnen wieder Mal alles ineinander, übereinander, umeinanderstürzt: tief drinnen liegt so etwas wie eine Sehnsucht nach Humanismus, nach moralischen Werten. Die werden in seinen Filmen nie negiert, nämlich deshalb, weil es sie in ihnen nie gegeben hat, nie gibt; in dieser Abwesenheit, in dieser Leerstelle im Inneren liegt der Kern der Filme; ein abwesender Kern, wo um ihn herum alles, alles, alles da ist.

Was aber alles vielleicht auch ganz anders ist; denn Schlingensief, der Darsteller, Inszenesetzer und Performer von Widersprüchen, ist zugleich ein Meister des Blödsinns, des ausgemachten Quatsches, nicht nur in seinen Zusammenarbeiten mit Helge Schneider. Weshalb bei ihm niemals klar ist, was er ernst meint; wenn er etwa in seinen Filmen seine Figuren aphorismusähnliche Sätze in die Welt brüllen lässt, oder wenn er in Interviews seine Sicht der Dinge erklärt, wenn konkrete Personen der Zeitgeschichte persifliert werden und dann wieder alles drunter und drüber geht. Das ist vielleicht alles ein großer Witz, absichtsvoll so dargebracht, dass ihn nicht alle kapieren; eine große Komödie, die er da spielt (nicht umsonst hat Schlingensief auf der Berlinale 2010 den italienischen Stummfilm „L’Inferno“ von 1911 vorgeführt und weitausholend kommentiert, natürlich nach Dantes „Göttlicher Komödie“). Grenzen gibt es bei Schlingensief nicht, auch nicht zwischen Witz und Nicht-Witz. Das ist vielleicht das einzig Greifbare an Schlingensiefs Œuvre, dass es nicht greifbar ist, nicht begreifbar und damit auch nicht angreifbar (und jede Negativkritik fällt auf den Kritiker zurück: denn es ist von vornherein klar, dass (beispielsweise) Schlingensiefs Filme nie für die gemacht wurden, die sie in ihrer Unbegreiflichkeit nicht verstanden).

Als Schlingensief zum ersten Mal in mein Bewusstsein trat, 1998 ungefähr, als er mit seiner Partei Chance 2000 aufgetreten ist, war er mir zunächst höchst unsympathisch. Und zwar genau, weil er so freundlich und zuvorkommend, so hilfsbereit und sozial rübergekommen ist, und zugleich mit dieser Kunstpartei/Parteien-Kunst ein seltsames, widersprüchliches Gestrüpp an Floskeln, ernstem Anliegen, Parodie und Programm darbot: das passte für mich nicht zusammen, das war mir nicht geheuer, es schien mir gar zu zynisch (welch Missverständnis!) – man muss meine Jugend bedenken, ich war damals Erstwähler.
Später hab ich ihn dann besser verstanden; als er eine Aktion startete, Helmut Kohls Ferienhaus am Wolfgangsee zu überschwemmen, und alle sechs Millionen Arbeitslose Deutschlands dazu aufrief, gleichzeitig im See schwimmen zu gehen, um den Wasserspiegel ansteigen zu lassen. Wobei mir die anschließende Aktion der APPD, der Allgemeinen Pogo-Partei Deutschlands, noch besser gefallen hat: die Schlingensief dadurch „unterstützten“, indem sie ins Wasser pissten. Eine schlingensiefeske Aktion, aufgesetzt auf eine Schlingensief-Aktion – besser geht es nicht mehr.


Harald Mühlbeyer


PS: Wie sehr Schlingensief dem Menschen zugewandt war, zeigt sich in seinen Filmen nicht. Aber in dem großen Traum, den er hegte, in dem Plan, mitten in Afrika, in Burkina Faso, ein Operndorf zu bauen, mit Schule, Krankenhaus, allem, was zu einer funktionierenden Gemeinschaft, in der jeder kulturell tätig werden kann, dazugehört. Informationen – recht ungeordnet, wie es eben ist auf Schlingensiefs Webseiten und in seiner Kunst – finden Sie unter www.festspielhaus-afrika.com; man kann das Projekt, das vielleicht so etwas wie die Avantgarde der Entwicklungshilfe ist, auch durch Spenden unterstützen.


PPS: Dass vielleicht ich durch meine Lektüre Schuld bin an Schlingensiefs Tod, durch merkwürdige feinstoffliche Verbindungen, macht mich betroffen. Dass mit Schlingensief ein wirklicher Mensch (im Sinne der diogenesischen Suche danach) verstorben ist, macht mich traurig. Ein bisschen freue ich mich aber auch (soviel Eitelkeit ist wohl gestattet), dass Fritz Göttler in seinem Nachruf in der Süddeutschen Schlingensief-Zitate aus meinem Interview verwendet hat, das letztes Jahr auf diesen Seiten erschienen ist; wenn auch ohne Quellenangabe.


Schlingensief "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein. Tagebuch einer Krebserkrankung" können Sie in unserem Online-Shop bestellen - wie auch alle seine Filme auf DVD.


Besprechungen aller Schlingensieffilme sowie das Interview, das auch in München gelesen wird, finden Sie hier:

Ist es kausal oder akausal? Interview mit Christoph Schlingensief.

Interviewfilm und Kurzfilme

Tunguska - Die Kisten sind da

Menu Total

Egomania - Insel ohne Hoffnung

Mutters Maske

100 Jahre Adolf Hitler - Die letzten Stunden im Führerbunker

Das deutsche Kettensägenmassaker

Terror 2000 - Intensivstation Deutschland

United Trash

Die 120 Tage von Bottrop

Freakstars 3000

TV-Tipp: DIE KLASSE / ENTRE LES MURS


Kleiner Screenshot-Fernsehtipp:

Am Sonntag, dem 22.08. zeigt die ARD um 23:35 Uhr

DIE KLASSE (F 2008)
von Laurent Cantet, nach dem autobigrafischen Roman des Lehrers François Bégaudeau.

Entsprechend handelt der Film von der KLuft zwischen einem französischen Lehrer und seinen Schülern aus den Banlieaus. Der Film gewann 2008 die Goldene Palme in Cannes und wurde ... zu so allerlei nominiert.

Schnörkellos, unzimperlich und ohne fadenscheinige Lösungen.

Im Anschluss dann, eh bissl lustiger: Billy Wilders AVANTI! (deutscher Titel - hierzulande muss ja immer maßlos übertrieben werden: AVANTI, AVANTI!). Mit Jack Lemmon. Und von 1972.

Die Aldo-Moro-Entführung im Film (3)

BUONGIORNO, NOTTE (2003)

von unserem Partnerdienst Terrorismus & Film


I.
In der aktuellen Ausgabe (Nr. 6 / 2010) des fabelhaften deutschen Medien- und Kultur-, vor allem aber Filmmagazins Cargo findet sich ein ausführliches Gespräch mit Regisseur Marco Bellocchio.

Dessen Film BUONGIORNO, NOTTO, der in Deutschland erst spät – und auch nur in wenige – Kinos kam, sei für sie, so die Cargo-Herausgeber und -Redakteure Bert Rebhandl und Simon Rothöhler, ein „Ereignis“, eine „intellektuell wie ästhetisch kühne Auseinandersetzung mit dem linken Terrorismus“ (S. 22) und das Startsignal gewesen, sich eingehender mit Bellocchios Werk zu beschäftigen (vgl. ebd.).

Tatsächlich ist BUONGIORNO, NOTTE (Deutsche Titel: DER TAG, AN DEM DIE NACHT KAM) wohl einer der intelligentesten und anspruchsvollsten (zugleich aber nicht verkünstelten) Filme zum Thema Terrorismus überhaupt, der vor allem seinen eigenen Standpunkt klug und seine Perspektive ungewöhnlich wählt.

Bellocchio berichtet in Cargo, dass er an der Art von Erzählung, wie sie IL CASO MORO bot, nicht interessiert war und zunächst einen Professor zur Hauptfigur machen wollte, der damals von den Kidnappern kontaktiert und zum Mittelsmann erkoren wurde, ehe ihm, Bellocchio, das zusammen mit Paola Tavella verfasste und 1988 erschienene Buch Il prigioniero („Der Gefangene“) der Rotbrigadistin und Moro-Mitentführerin Anna L. Braghetti in die Hände fiel.

Ausgehend von diesem entstand BUONGIORNO, NOTTE, der die Aldo-Moro-Entführung aus der begrenzten – und distanzierten bis gar entrückten – Sicht der Revolutionärin Chiara (Maya Sansa) zeigt und einen radikalen Gegenentwurf zum Panoramabild IL CASO MORO und dem Gruselkrimi YEAR OF THE GUN mit seinem verunheimlichenden Blick von außen bietet.




II.
Mit ihrem „Ehemann“ Ernesto (Pier Giorgio Bellocchio, Sohn des Regisseurs) besichtigt und mietet die junge Chiara eine Wohnung, doch dass das Paar kein echtes ist, merkt man schnell. Zu wortlos und sachlich, jedoch nicht unfreundlich gehen sie miteinander um. Auch andere Männer finden sich ein, der Hüne Primo (Giovanni Calcagno), der Anführer Mariano (Luigi Lo Cascio); sie werkeln, zimmern und bauen, versuchen, ansonsten aber nicht aufzufallen: Als die neugierige Nachbarin läutet, steckt sich Chiara, ehe sie die Tür öffnet, schnell den Ehering an, der griffbereit auf der Kommode liegt.

Zunächst verlassen wir die kleine Wohnung nicht, das Apartment, in dem späte 1970er Jahre sind, wie uns Chiaras Pulli, die Fernsehbilder, die Frisuren eher unaufdringlich verdeutlichen –, und ruhig, aber angespannt wartet Chiara. Dann, vor dem TV-Gerät, aufgeregt, folgt sie den Nachrichten. Der Meldung vom Überfall auf Moro. Chiara jubelt über die Unheilsbotschaft.



Doch ehe ihre Genossen, mit der sie Politik und Ideologie geistig und die Aktion praktisch zusammenbindet, den gefangenen Politiker in einer Holzkiste in die Wohnung und das neukonstruierte Geheimzimmer hinter der Bücherwand transportieren, eine Fantasiegestalt aus der irrealen unendlichen Ferne der Medien in die kleinbürgerliche Wirklichkeit, da läutet es an der Tür. Die Nachbarin muss weg, Chiara auf ihr Baby aufpassen – spricht’s, drückt der verdutzten Terroristin das Kind in den Arm und verschwindet. So liegt das Baby auf der Couch, als der konspirative Menschenraub vorerst beendet wird – und macht Chiara nicht zum letzten und unbehaglichsten Mal zur Mutter, Betreuerin, zur Hausfrau, Kümmernden und Verantwortlichen.

Politik ist hier nicht ihre Sache, auch wenn sie nicht apolitisch ist, wenn kein Zweifel an ihrer Entschlossenheit besteht. Sie ist überzeugt von dem, was sie da tut, doch ins Versteckt, wo ihre Genossen – allen voran Mariano – den hageren Moro (Roberto Herlitzka) verhören, mit ihm diskutieren, geht sie nicht oder nur mit vorsichtiger Führung. Von außen schaut sie zu, betrachtet Moro durch das Guckloch der Tür, wodurch sich der sanfte ältere Gefangene immer mehr in ihre Träume schleicht…




III.
Es sind Überzeugte, aber keine Fanatiker, die Bellocchio in BUONGIORNO, NOTTE nicht vorführt, sondern zeigt, keine Besessenen wie in YEAR OF THE GUN, aber auch keine sachlichen, politischen Rationalisten wie bei Ferrara. Sie sind bedächtig und nervös zugleich, eine kleine Gruppe von Menschen, die den Staat belagern und zugleich selbst wie in einem Belagerungszustand verharren.

Ruhig, sanft und schön ist Maya Sansas Chiara, ihre Augen dunkel, tief und warm – auch die von Mariano, der dadurch in den Verhören mit Moro, gerade wegen der Ski-Maske, die uns auf die Augen fokussiert (wie das Mittäterschaft bezeugende, „maskierende“ Licht auf Chiaras Gesicht vor dem Verschlag), etwas Verwundbares hat. Überhaupt werden alle von einem Idealismus getrieben, dem sie still und ernst anhängen, weil ihnen sonst die Situationen entgleiten würde. Das ist eine andere, unübliche Art, Terroristen zu zeigen: mit einem Verpflichtet-Sein und klarem Bewusstsein, das sich immer wieder dem Sinn und der Tatsächlichkeit der Situation vergewissern muss. Radikale, die mal mehr, mal weniger selbstbewusst und stumm ihre Aufgabe, Identität und Rechtmäßigkeit abtasten wie eine Zunge eine wunde Stelle im Mund.





Man sieht diese Gardisten essen, schlafen; einmal bekommt einer einen Hüttenkoller, muss raus, seiner Freundin sehen, bekommt Schelte, natürlich. Später ist er dann wieder zurück. Erleichterung. Es sind auch nur Menschen, die da gemeinsam in der kleinen Wohnung sitzen, wo jeder abwechselnd Wache hält. Dunkel ist es in dieser Wohnung, und abends versammeln sie sich vor dem Fernseher wir vor dem Lagerfeuer, schauen, was sich da draußen, in der fernen anderen Wirklichkeit ereignet, in einer Realität, die so gar nichts mit der ihrigen hier drinnen zu tun haben scheint. So bestaunen sie, wie sich in einer fremden Sphäre sich alles um sie und ihren Gefangenen dreht.




IV.
Das ist nun keine Verharmlosung des Linksterrorismus, weil der Film zum einen ganz bei Chiara bleibt, zum anderen, weil die leichte, fast schwebende ästhetisch-gedankliche Reflexionen ihn zu mehr macht als einem bloßen Seelen- und Ereignisdrama.

Zunächst ist da die Parallelhandlung. Chiara hat einen Beruf, arbeitet in der Bibliothek eines Ministeriums, wo der junge Enzo (Paolo Briguglia) sich an die attraktive spröde Kollegin heranmacht. Romantisch ist er, unbekümmert, ein bisschen stürmisch und idealistisch – so wie sie nicht ist oder zumindest nur tief drin oder aber auf jeden Fall nicht äußerlich, wegen ihres Doppellebens, sie kann es ja nicht sein oder darf es zeigen.



In einer bedrohlichen Szene wollen die Angestellten zum Dienstschluss mit dem Aufzug nach unten fahren, doch sobald sich die Türen öffnen, starren sie ins Innere, weichen erschrocken zurück. Mehrfach noch wiederholt sich das, in jedem Stockwerk. Lediglich Enzo, in Gedanken versunken, steigt ein. Im Erdgeschoss hat sich schon die Menge versammelt. Blickt auf ihn, der noch nicht bemerkt hat, dass er vor dem Brigadisten-Stern steht, den jemand rot, bedrohlich und archaisch an die Wand des Fahrstuhls geschmiert hat. Eine in der Menge, brav, erschrocken ist auch Chiara.

Enzo fungiert ein wenig wie der heilige Narr - oder zumindest der Naive -, der nicht sieht, aber sehen lässt. Er erzählt Chiara von seinem Drehbuch: Buongiorno, notte heißt es und handelt von einer Revolutionärin, einer von den Roten Brigaden. Ob Chiara es lesen will? Später diskutiert sie mit ihm über dieses andere, sein und ihr fiktives Ich, das sie heimlich doppelt teilen. Auch bietet er sich an, sie auf eine Familienhochzeit zu begleiten, sich als ihr Freund auszugeben. Sie sitzen im Gras, abseits von Braut und Bräutigam, die sich fotografieren lassen, aber auch von der Festtafel, an der ein Partisanenlied angestimmt wird. Mit wenig Mühe und Aufwand sagt Bellocchio damit viel über das Selbstverständnis der Roten Brigaden aus, die sich doch als Nachfolger und Wiedergeburten der Widerstandskämpfer gegen des Faschismus sahen und gerierten – und sich doch nur isolieren konnten.




V.
Es sind diese seltsamen mise en abymes und Spiegelungen, die das Traumhafte, Unwirkliche neben der Ästhetik des Films ausmachen, vor allem aber bedeutungsvoll aufladen. Bellocchio erklärt in Cargo: „Die Beleuchtung, das Licht kommt von außen. Aber alles ist im Inneren des Gefängnisses“ (S. 27); nachdem er diese Grundeinstellung gefunden habe, habe er mit dem Filmkomponisten Riccardo Giagni daran gearbeitet, die passende Repertoiremusik zu finden: Verdi, Knaifel, Schubert – „[…] weil wir auf der Suche nach etwas waren, das dieses Gefühl des Deliriums, der Wahnvorstellung gab, dessen sich die Brigadisten ja nicht bewusst waren“ (ebd.).

Franz Schuberts Moments musicaux Opus 94 Nr.3 – „Air russe“ – begleitet aufreizend lebendig die Traumsequenzen und sonderbare Beziehung zwischen Chiara und „ihrem“ Moro, die vielleicht am Genauesten verdeutlichen, worum es in BUONGIORNO, NOTTE geht, wo das Rückgrat des Films liegt und zugleich Terrorismus als kollektiver politischer Wahn mit und an der immer ganz eigenen, nicht (mit-) teilbaren, jedoch logischen und klaren Phantasmagorie des Einzelnen kollidiert und kollabiert. Es ist eine mehrfach codierte, kleine Geschichte mit ihren Steigerungen, die Bellocchio dabei innerhalb der großen erzählt – und die den Film am weitesten Realität herausschneidet, um doch mehr über diese Wirklichkeit auszusagen, als sie es selbst über sich vermag; im doppelten Sinne: weil es um eine Traumwahrheit handelt und weil die Figur der Chiara als Verirrte von der realen Anna Laura Braghetti entfernt, die noch nach Moros Tod weiter an Morden der Roten Brigaden teilnahm.

Des Nachts wacht Chiara auf, findet „ihre“ Männer schlafend, auch den Bewacher im Sessel, und die Tür zum Versteck leicht offen. Im Nachthemd schlüpft sie hinein – doch auch Moro schläft zusammengekauert, hat die Fluchtchance verpasst. In einer der nächsten Nächte wird sie von Moro besucht, das heißt: Der Gefangene betrachtet die schlafende Chiara, schaut, was sie so liest, setzt sich in den Sessel, betrachtet sie. Sie erwacht, beide tauschen Blicke. Moro schüttelt den Kopf. Dann ist auch der neben ihr liegende Ernesto wach, doch hier wie sonst verwischt Bellocchio die Grenzen von Wachen und Träumen (die schlafende Chiara in ihrem eigenen Traum) und dabei weniger von Unterbewusstem, von moralischem Wunsch und politischem Wollen und Müssen, von Schuld und Schuldigkeit, als von Wach- und Wirklichsein.



Noch ein Traum: Erneut steigt Moro aus seinem Kerker, schaut sich Bücher in dem Regal an, hinter dem er versteckt und gefangen gehalten wird. Chiara kommt zu ihm, führt ihn wortlos zur Eingangstür. Doch ein Blick durch den Türspion hält sie zurück: Draußen im Flur stehen und warten ruhig ein Schar Carabinieri. Hinter ihr wendet sich Moro traurig um, um wieder zurück in sein „Volksgefängnis“ zu verschwinden.



Schließlich der letzte, der große Traum, der Schluss des Films. Moro ist zum Tode „verurteilt“, die Männer am Tisch essen, Chiara schaut sie nur an, hat sich innerlich gänzlich von ihnen abgelöst. Sie steht auf – und entriegelt Moros Zelle. Dann legt sie sich schlafen, fast eifrig schließt sie die Augen. In der Nacht – Primo schlummert mit der Waffe in der Hand im Sessel vor dem Versteck – kommt Moro hervor wie beschworen, zieht sich dabei seinen Mantel an. Vorbei an seinen Entführern verlässt er die Wohnung. Im herrlich grauen, regnerischen ersten Morgenlicht geht er schwungvoll durch die Straße Roms, genießt die Luft, spaziert davon.

Und während Chiara immer noch schläft, holen still ihre Genossen Moro aus dem Loch, bringen ihn fort…



Wir wissen, wie die Fakten jenseits des Films „danach“ gewesen sind. Wir wissen jedoch (im Film) nicht, ob Chiara wirklich die Tür geöffnet hat. Ob sie von Moros Flucht (die eben nur ohne sie geschehen kann) träumt, träumen will, weil sie ihn auf diese Weise wegzuzaubern hofft – oder ob sie sich aus der Verantwortung wegschläft, sich drückt, es nicht miterleben muss, wie die politische Utopie und ihre kleine Häuslichkeit im Kleinen fortgeschafft wird, zur Hinrichtung. Aldo Moro ist zu einem falschen politischen Traum geworden. Letztlich aber: Was überhaupt (und welcher Art) war hier Traum, und welcher entstand aus bzw. führte zu welchem? Und ist es nicht tröstlich, zu tun, als kämen alle (und alles) doch irgendwie davon, als sei letztlich niemandem etwas geschehen – als sei es wirklich so einfach und menschlich?

BUONGIORNO, NOTTE ist gerade in diesem Spiel nicht mit dem Kontrafaktischen, sondern mit der alternativen (oder gar erweiterten, vielleicht auch andersartig symbolpolitischen) Realität ein außerordentlicher Terrorismusfilm, weil er die Brigadisten und vor allem Chiara nicht als Handlungs- und rationale Zweckfiguren veräußerlicht, wie sie bei Pontecorvo oder Costa-Gavras, in BATTAGLIA DI ALGERI (1966), OPERACIÓN OGRO (1979) oder ÉTAT DE SIEGE (1972) einen (sei es weltgeistigen, sei es tragischen) politisch-historischen Kampf führen oder wie in US-Actionfilmen, wo sie nur Schießbudenfiguren des (politisch-ideologischen) Anderen für die Helden abgeben.



Chiara ist eine seltene Figur, nicht nur weil sie Frau ist und bleiben darf (gar muss) statt zur fanatischen Furie zu verkommen, sondern weil ihre Zwiespältigkeit sich nicht auflösen lässt und dem Zuschauer nachhängt. Denn sie ist nicht einfach eine Mitläuferin, die plötzlich ihre Menschlichkeit entdeckt und die Individualität des Opfers, das sich nicht mehr länger auf einen Repräsentanten, d.h. ein Symbol und ein Ziel reduzieren lässt: Wie Norman Bates in PSYCHO (1960) die nackte Frau unter der Dusche beobachtet Chiara den Gefangenen wie ein Voyeur, heimlich, durch ein Loch (bis dieser zurückschaut); sie macht ihm zum Objekt, zum Fetisch, ein Ding, das sie (wie die Terroristen) nie haben und das sie deshalb auch nicht befreien kann (so wie es die Terroristen nicht „gebrauchen“, in eine erpresserische Währung restlos umwandeln können). Der Moro, der mit agilem Schritt davonkommt, ist und wird stets ein anderer sein, als der, der schwach und gebrechlich zur Exekution verbracht wird – und beide sind nicht echt. Das zeigen zuletzt die Fernsehbilder der realen Moro-Beerdigung, die wie alle (historischen) TV-Ausschnitte die einzige Wirklichkeit in dem Film sind (oder das einzige, was von einer Wirklichkeit übrigbleibt).

Bellocchio macht mit BUONGIORNO, NOTTE deutlich, dass sich der Terrorist und der Menschen nicht im Guten wie im Schlechten auseinanderdividieren lassen. Auch und schon gar nicht im Schlaf, wo Träume nicht aufhören müssen (oder können) politisch zu sein.


Bernd Zywietz


Literatur:
Rebhandl, Bert / Rothöler, Simon (2010): Marco Bellocchio. Ein Gespräch mit dem italienischen Regisseur über sein Werk. (Mitarbeit: Ana Paulinyi). In: Cargo, Nr. 6, S. 22 – 34.

DIE LEGENDE VON AANG / THE LAST AIRBENDER


M. Night Shyamalans Missgeschick THE LAST AIRBENDER

Dass, wie und warum der neue Filme des THE-SIXTH-SENSE-Wunderkindes gar nichts werden konnte.

Von Bernd Zywietz


Teil I bietet maulige, gleichwohl homöostatisch zweckhafte Schelte, Teil II einen eher untersuchenden Blick auf THE LAST AIRBENDER als Film und mal wieder ganz eigenes Scheitern Shyamalans. Lesen Sie, was und wie es Ihnen taugt. Informationen zum Weinbau in Griechenland gibt es übrigens hier.



I.
Ein Buch über M. Night Shyamalan, Regisseur und Autor von THE SIXTH SENSE, dem unterschätzten UNBREAKABLE, THE VILLAGE oder, zuletzt, dem desaströsen THE HAPPENING hat der Autor dieser Zeilen verfasst. Heute startet in Deutschlands Shyamalans neuester Streich, THE LAST AIRBENDER / DIE LEGENDE VON AANG die 3D-Realfilmadaption der erfolgreichen TV-Zeichentrickreihe Avatar – The Last Airbender, und auch wenn besagter und wertgeschätzter Verfasser nichts dafür kann, so ist es doch recht und billig, von ihm dazu ein paar Sätze zu erwarten.

Wie passt THE LAST AIRBENDER (das „Avatar“ des Serientitels ging im Produktionsvorfeld an James Camerons welterfolgreichsten und schlecht erinnerbaren Epos verloren) also in das Oeuvre des indisch-stämmigen Junggeniefilmemacher von dereinst? Ist der Film eine Fortschreibung der magisch-humanistischen wie unterschwellig konstruktivistisch-kritischen Weltsicht Shyamalans oder ein Urlaub davon, ein neuer Weg, weg von dem alten, der nach Meinung der meisten zuletzt immer steiler bergab führte?

Tja, das sind so Fragen!

Ist das Desaströse von THE HAPPENING noch besonders ulkig gewesen, denn schließlich handelte es sich doch um einen eigenwilligen und in dem Sinne gar nicht so dummen Katastrophenfilm, ist THE LAST AIRBENDER ein Fiasko von anderem Kaliber, jedoch nicht mehr so sehr, leider, in einer originellen Shyamalan’schen Art und Weise.

Zum ersten Mal hat sich Shyamalan eines fremden Stoffes angenommen – eigentlich eine Chance für ihn auf Erholung oder, je nach Standpunkt, Möglichkeit zur Besinnung und Neuorientierung hin zum Besseren. Leider begeht Shyamalan, Regisseur und Drehbuchautor in Personalunion, den altbekannten und im ähnlichen Genre von THE GOLDEN COMPASS exemplarisch vorgeführten Fehler, zu viel an Handlung einzubauen (oder sich von Produzentenseite dazu zwingen bzw. verführen zu lassen). Die komplette erste Staffel der Fernsehserie – „Das Buch des Wasser“ – mit ihren rund 10 Stunden Erzählzeit wird hier für hundert Minuten zusammengehackt, in den Film gepresst, und was übersteht, nachgestopft oder um den Rand herum abgeschnitten.

Schließen Sie die Augen und denken Sie an die ersten oder letzten drei STAR-WARS-Filme zusammengekürzt auf weit weniger als ein Drittel (und Episode 3 machte ja schon ein wenig den Eindruck, als wäre so bei ihm vorgegangen). Oder eine 100-Minuten-Fassung von HERR DER RINGE. Eins bis drei. Extended Cut.

Ja, richtig: Ach du Scheiße!

Entsprechend schlecht lässt sich auch hier der Inhalt rekapitulieren, weil das, wovon der Film handelt, und das, was in ihm geschieht, so auseinandergewalzt und letztlich so dünn und leicht zerbrechlich werden wie indische Papads, vom Genuss her allerdings ungewürzt und zu labberig, wie zu lange im Wasser gelegen. So wie Aang.

Das Wasser ist in seinem Fall allerdings Eis, quasi ewiges. Eingefroren findet ihn dort das junge Geschwisterpaar Katana (Nicola Peltz) und Sokka (Jackson Rathborn). Aang (Noah Ringer) ist ein Junge, mit einem Pfeil auf der Glatze, von, ja, was weiß ich, zehn, elf Jahren. Aber das ist ohnehin so wurscht wie irreführend, denn tatsächlich ist Aang viel viel älter: Zum einen war er ja tiefgefroren, zum anderen ist er der Avatar, der / ein stets wiederkehrender mythischer Ordnungshüter und Friedensbringer, Erlöser und Ausbalancierer, der alle vier Elemente zu bändigen versteht.

Dieses Bändigen ist ansonsten nur den jeweiligen Völkern gegeben (und muss erlernt werden). Die Wasserleute, zu denen auch Katana und Sokka gehören, können – der Name verschaukelt einen nicht – Wasser beschwören, es gefrieren lassen, durch die Luft dirigieren. Ähnlichen Schabernack entsprechend mit Wind, Erde und Feuer vermögen die übrigen Menschenkinder zu veranstalten, wobei die Feuerleute allerdings in der Geschichte den Part der Schurken übernommen haben. Mit dem Feuer-Lord an der Spitze sind sie nämlich dabei, mittels ihrer Kriegsflotte und als Repräsentanten des bösen Maschinen- und Industriezeitalters die anderen Völker als Fischer und Bauer in wohligem Einklang mit Natur und Kosmos ihrem Tagewerk nachgehen, zu unterjochen.

Prinz Zuko, Sohn des Feuerlords (Cliff Curtis) und von diesem verstoßen, weil zu weich, will nun Aang kaschen, um damit seine Ehre wiederherzustellen und des gestrengen Herscher-Papas Liebe zu gewinnen. Der vor allem aus SLUMDOG MILLONAIRE bekannte Dev Patel spielt diesen Zuko und liefert damit die einzige ernst zu nehmende und vor allem interessante Figur: ein gekränkter und darob zorniger junger Mann, der es sich und seinem Vater beweisen will, der von dem ihn begleitenden und besonnenen Onkel Iroh (Shaun Toub) gebremst und von dem Flottenkommandeur seines Vaters gedemütigt wird, mit dem er sich eine Art Wettkampf um die Ergreifung Aang liefert – was ihn gar mal zu Aangs Retter macht.

Aang wiederum klappert mit seinen Freunden diverse Stationen in dieser Fanatsywelt ab, absolviert Nachforschung, Training, Selbstergründung und -erfahrung, wie es sich für einen jungen Jedi, Neo… sorry, Avatar geziemt. Große Macht, große Verantwortung, und dergleichen. Da nun das alles ratzfatz geschehen muss, bleibt von der inneren Dimension wenig übrig und vieles Behauptung. Hier macht einfach das episodische Erzählen der Vorlage dem Film einen Strich durch die Rechnung: Wenn beispielsweise Aang auf der Insel jenen Tempel besucht, in dem er dereinst ausgebildet und geprüft wurde, ehe er, der neuer Dalai La..- Avatar! eingeschüchtert geflohen ist und nun dort nur noch Niemanden, Nichts, Ruinen und Erinnerungen vorfindet, bekommt das wie ebenso der Besuch des Avatar-Tempels (richtig, auf einer ganz anderen Insel, eine andere „Episode“), nicht die Bedeutung, die es verdient und die für das Eintauchen in die Fantasywelt jenseits der fein animierten Kulissenoberfläche unabdingbar wäre.

All die damit verbundene Bedeutungsschwere, die spirituellen Dimensionen und sympathisch eklektizistische Fernost-Mythologie wirken entsprechend bemüht und wie in einem schlechten Reisekatalog fahrig angedeutet, auf dass man nach dem ganzen großen Trailer THE LAST AIRBENDER doch Lust habe, selbst hinzufahren, nachzuschauen (ein Kalkül, das nicht aufgeht). Zuletzt haben wir – zum Serienstaffel- bzw. Filmfinale – auch die obligatorische große Schlacht, um Helms Klamm, um Gondor, hier als Wasserstadt am Nordpol.

Sie wie ihre Einwohner, vor allem die Prinzessin Yue (Seychelle Gabriel – der Name ist Programm oder stellen Sie sich einfach eine Grinse-Cheerleader-Bienchen frisch vom nicht allzu wilden Faschingsfeste vor; oder schauen Sie einfach da, auf dem nächstem Foto!) - in diese Prinzessin verguckt sich Sokka, was uns bei der ersten Vorstellung der Hochherrschaftlichkeit der Film – wir haben ja alle keine Zeit mehr heutzutage – Kataras rekapitulierender Voice-Over mitteilen muss… Na, jedenfalls, Stadt, Leute, Prinzessin und überhaupt alles, Aangs fliegendes Bison, sein Lemurenfreund („guckt mal hier“ – und nie wieder gebraucht, obzwar dann stets mitgeschleppt): alles wird handlungstechnisch so funktional abgearbeitet als wolle man lediglich diejenigen Zuschauer befriedigen, die statt auf die Leinwand zu schauen auf ihrer Checkliste die „Drin-/Nicht-drin“-Punkte abhaken.

Die Schauspielerei der Kinder und Jugendlichen? Auch hart an der Grenze, was aber wiederum gar nicht mal an ihnen liegt, noch nicht mal so sehr an Shyamalan, der sie dabei als Regisseur an die Hand nahm (oder hätte nehmen sollen). Sondern an Shyamalan, dem Drehbuchautor, der sie ab und an nachgerade psychedelisch furchtbare Füllsätze sagen lässt, die nicht wirken, als hätten sie die Stars eines deutschsynchronisierten US-Verkaufsdauersenders rezitiert, sondern die Switch-Humoristen auf Pro7, die das Ganze verhohnepipeln. So erzählt die reizende Cheerleader-Prinzessin dem pferdebeschwanzten artig lauschenden Sooka, die spirituelle Legende von ihrer Haarfarbe, die, nein, nicht mit einer Mär vom damit einhergehenden Arschgeweih verbunden ist, sondern, ganz Recht, kurz darauf in Shyamalans Grundkurs für erzökonomisches Erzählen selbstverständlich von Relevanz sein wird. Und, da sie geendet, schaut sie der Jüngling an und sagt verdutzt: „Das hast du mir noch gar nicht erzählt!“

Fein, zugegeben, im Kino selbst kommt das viel lustiger rüber, hat auch gar nichts von der putzigen Unbeholfenheit, mit der Buben der hübschen Mädchen Geschichten lauschen und daraufhin noch etwas Geistvoll-Verständiges erwidern müssen, obwohl vor lauter Mädchen an sich weder Platz für Geschichten noch geistvoll-verständige Antworten im Kopf ist…

Aber es ist ein Jammer mit dem Erzählen und Erzähltwerden in THE LAST AIRBENDER. Damit hatte Shyamalan schon in THE LADY IN THE WATER seine fröhliche Not: Erinnert sei an die Asiatin mit ihrer Mutter, die, sobald es nicht weiterging im Film, auftrat wie die narrative Dea ex machina und mit einem „Übrigens ist mir noch eingefallen“-Häppchen die Handlung nachgerade selbstironisch (man denke an Paul Giamattis resigniert-fatalistischen Gesichtsausdruck) weiterkurbelte. In THE LAST AIRBENDER ist es das ganze Füllhorn an Erinnerungsrückblenden, Omas Geschichtenerzählen, Voice-Over, Traumerscheinungen und Parallelhandlungen, die die Handlung so grazil verpacken wie Männer Geburtstagsgeschenke.

Aber der Autor dieser Zeilen will hier ja nicht schimpfen, höhnen und anderer Leute Müh und Kunst gehässig vorführen, denn wo kämen wir da hin. Unmut und -gnade rühren vor allem vom Verpassen der Chance, die sich mit der Vorlage bot sowie der grundsätzlichen Art des Missglück, das durch ein Mehr an Erzählzeit und -raum verringert und nicht vergrößert worden wäre.

Natürlich gibt es abgesehen vom Problem der kritischen Erzählmasse, hier überschritten und prompt um die Ohren geflogen, Kritikwürdiges. Dass und was famos und gelungen ist, lässt sich schwerlich zwischen Shyamalan und dem vorgefundenen Material aufteilen. Einiges allerdings, das schief gelaufen ist, ist ganz und gar Shyamalan, und das ist es, was an THE LAST AIRBENDER eigentlich das Spannende ist.



II.
Man kann es richtig vor sich sehen, was Shyamalan verlockt und begeistert hat, und was ihn zugleich in die Irre geführt hat. Dazu ein Blick zurück auf die Filme, die Shyamalan bislang gedreht hat.

Da ist THE SIXTH SENSE, der ihn über Nacht zum Wunderkind und König (später: Narren) des Plottwists gemacht hat: Ein psychologischer, ruhiger, unglaublich exakt inszenierter Gruselfilm, der zugleich das Genre links und recht überholte, es zu ernst nahm und zugleich nicht ernst genug, da er ihm gerade in seiner formalen und stilistischen Finesse nicht ganz zu vertrauen schien und es inhaltlich auf den Kopf stellte, indem er eine grundernste unzynisch-optimistische Vision, einen Glauben (im Sinne von Vertrauen und Bestimmung, Liebe und allgegenwärtiger Spiritualität) darin einpackte. Mehr noch tat Shyamalan das bei dem (Anti-)Comicheldenfilm UNBREAKABLE, der sich formal dem BAT- und SPIDER-MAN-Genre verweigerte.

Auch in den späteren Filmen, SIGNS und THE VILLAGE (die immer mehr nicht an sich, sondern wegen Shyamalans Didaktik verhöhnt wurden) war die Erzählform, die Bilder und ihre Anspielungen immer auch sowohl ein Konstruktivismus des Kinos und der westlichen Kultur wie einer der Figuren in den Filmen selbst.

Mit THE VILLAGE begann Shyamalan dazu sich von den Ready-made-Genres als populäre Mythenraster abzulösen: Die Dörfler basteln sich ihre eigenen Legenden und Monster, um sich selbst von der Welt abzuschotten, und die meisten, die darin platten Symbolismus erkannten, übersahen, dass und wie Shyamalan damit zugleich mitberücksichtigte, wie sehr Menschen solche gemachten Welten und Wahrnehmungen wollen und brauchen, welchen Preis man dafür zahlt – und wie diese sich verselbständigen und echte Realität werden. Folgerichtig bastelte sich Shyamalan aus einem Kindermärchen, das er für seine Töchter erfunden hat, eine eigen verworrene Mythologie, drehte „daraus“ LADY IN THE WATER – eine Nymphen-Prinzessin aus dem Swimmingpool einer von schrägen Vögeln bewohnten Apartmentanlage – und inszenierte sich selbst darin als Geschichtenerzähler, dessen Werk dereinst die Menschheit inspirieren wird. Kritik an einer solchen kuriosen, bravourös missglückten und erfrischend eigenwilligen Frechheit hebelte er von vornherein aus, indem er das sinnvoll dysfunktionale Fantasy-Märchen zur selbstironischen Meta-Parodie seiner selbst machte – bis dahin, dass Shyamalan einen Filmkritiker vom bösen (Gras-) Wolf fressen ließ. Was so platt war, dass es schon wieder lustig wurde. Dass Shyamalan dabei den Humbug selbst zu ernst nahm, brauchte den Film selbst nicht scheren.

Mit dem katastrophalen (Anti-)Katastrophenfilm THE HAPPENING landete er einen veritablen Flopp, der weniger ein Verrennen als einen fast verzweifelten Orientierungsverlust des visionsgewaltigen, aber zugleich kritikscheuen und auf „Mit-Gläubige“ angewiesenen „auteur“ der ganz eigenen Art darstellte. Dabei war der Film durchaus ein schlaues Zurück zum Grundkonzept, ein relativ „volkstümliches“ und reguliertes Genre zu nehmen und für die eigene Message zu kapern. Doch angezählt wie Shyamalan vom Standing gegenüber dem Studio her war, wurde daraus nur ein heilloser, verworrener und schlecht geschriebener Kompromiss, ein Umwelthorrorfilm, in dem Pflanzen sich mit Selbstmordgas gegen die Menschheit wehren, auf dass Mark Wahlberg und Zooey Deschanel als lebende Comicfiguren vor Wind und Gras davonlaufen.

Wie sehr Shyamalan der Film entglitt, zeigt sich allein schon in der Inszenierung, vor allem in der Kameraarbeit Tak Fujimotos, mit dem Shyamalan mit THE SIXTH SENSE noch genau ausgeklügelt hatte, was er wie mit welcher Wirkung zu kadrieren hatte…

Und jetzt THE LAST AIRBENDER. Schon lange waren die Forderungen laut geworden, Shyamalan solle es jetzt erstmal gut sein lassen und sich nicht wieder dem eigenen Hokuspokus zuwenden. Gesagt getan, der Mann ist schließlich störrisch, aber nicht lernunfähig. Dumm nur, dass er selbst die Drehbucharbeit übernahm.

Der Stoff und Shyamalan passten freilich auf den ersten Blick wunderbar zusammen, vor allem wenn man an LADY IN THE WATER denkt. Element-Energie, umfassende Spiritualität, eine Mythologie mit ihrer Ordnung, basierend auf Gleichgewicht und Wiedergeburt, dazu weise, mutige Kinder, der Erlöser, der keiner sein will, Selbstzweifel, Glaube, Vertrauen, Liebe und Bestimmung…

Mit einigen Aspekten – seine bisherigen Filme haben das ahnen lassen – kommt Shyamalan jedoch gar nicht klar. Hätte man Woody Allen oder Jim Jarmusch an THE LAST AIRBENDER gesetzt, wäre das sicher dahingehend auch in die Hose gegangen, aber dass Shyamalan lediglich kein Actionregisseur ist und es schließlich auch nie war, wäre ein wenig zu wenig gesagt. Im Grunde sind es eigentlich die Qualitäten, die seine vorherigen Filme auszeichnen, die sich jetzt als Belastung erwiesen haben.

Zum einen ist Shyamalan ein Kammerspieler, in zweifacher Hinsicht. THE SIXTH SENSE und UNBREAKABLE, wie davor PRAYING WITH ANGER, spielen an noch verschiedenen Schauplätzen, ganz normal, doch immer mehr verengen sich bei ihm die Handlungsräume, über die Farm im Maisfeld in SIGNS, dem vom bedrohlichen, verbotenen Wald eingefassten VILLAGE bis hin zu LADY IN THE WATER, in dem die ganze Fantasywelt Platz und Reiz hat, weil sie in das festumrissene Gelände des Apartmentkomplexes, seinem Pool und dem dahinter liegenden, „gefährlichen“ Naturwuchs projiziert ist. Inhaltlich wie inszenatorisch, mit den Rahmungen, den Decken, Türen und Wänden, den Fenstern und Einzelräumen war das immer wichtig für Shyamalan, weil nur damit die irritierende Symmetrie in den Bildern zu haben war, hoch semantisierte und psychologisch wirksame Blick- und Bewegungslinien, Positionsmarker, die für die Kamera ebenso wichtig waren wie für die Figuren in den Filmen selbst, ihre Charakterisierung, ihre Ängste und Wünsche, ihre Bedürfnisse und Befürchtungen. Vor allem eben in THE VILLAGE, wo die Häuser vor dem „Wald“ (= Welt) schützen wie sie zugleich zum Gefängnis werden. Oder in LADY IN THE WATER, wo die Machträume der Menschen und Mythenwesen genau definiert ist und ihr Bewegungsprofil mehr von der Handlung und dem Sinn des Films verraten als die unmittelbaren Worte und Taten der Protagonisten.

Wie sehr Shyamalan sowohl für sich selbst erzählerisch-psychologisch wie für sein Regiehandwerk die Horizontalen und mehr noch die Vertikalen als Spannungsgefüge braucht, zeigt sich in THE HAPPENING, wenn genau dieses Raster wegfällt. Zu Beginn, wenn die unheimliche Selbstmordserie beginnt, fesselt Shyamalan und Fujimoto über die Perspektiven und Personenpositionierungen. Sobald es jedoch von der Stadt hinaus aufs Land geht, gar in die Natur, auf die Wiesen und Weiden, verirrt sich Shyamalan geradezu – was soweit führt, dass er seine Akteure ausnehmend surreal falsch auf ihre Umgebung reagieren lässt, so wenn eine Gruppe von Menschen schnurgerade auf ein verlassenes Auto zumarschieren, ohne es zu sehen oder das Haus dahinter.

In THE LAST AIRBENDER herrscht dieselbe Ortlosigkeit. Einmal im Großen: das verwirrende Durcheinander von Erzählmitteln des Raffens korrespondiert mit der unübersichtlichen Vielzahl an Handlungs- und Bedeutungsstätten, zwischen denen die Figuren je einzeln hin- und herspringen und die Shyamalan dementsprechend auch in ihrer Innerlichkeit, in ihrer Bedeutung (auch für die Figurenpsychologie für den Zuschauer), der thematischen Bedeutung des Films oder des Symbolgehalts der Element-Mythologie sowenig im Griff hat, dass sie auf eine ganz merkwürdige Weise zugleich zusammen- und auseinanderfallen. Natürlich haben die Kulissenbauer und -animatoren Großartige gezaubert, und Shyamalan gönnt uns mehr davon (wenn auch nicht zeitlich) als z.B. THE GOLDEN COMPASS von seiner Welt. Doch zugleich sind die Außenräume, verstärkt durch ihren Studiogeschmack, mit einem seltsamen Unbehagen durchzogen. Der Spaß beim ersten – und einzigen großen Luftritt – auf dem Bisonrücken hält sich in Grenzen, ansonsten gibt es relativ wenige Ankünfte und Abreisen.

Eine andere markante Szene ist so dysfunktional inszeniert wie bestechend ungewohnt, fast schon originell. In einer der kurzen „Episoden“ sind Aang, Katara und Sokka bei den Erdleuten. Die stehen weitgehend schon unter der Knute der Feuersoldaten. In einem Dorf wollen unsere Helden die Unterdrückten, die sich in ihr Schicksal gefügt haben, wieder dazu zu bringen, sich ihrer Macht des Erdbezwingens zu erinnern. Als es nun zur Auseinandersetzung zwischen Soldaten der Feuernation und den drei Jugendlichen kommt, bei dem natürlich Katara ihre Wassertricks vollführt, Aang mit Wind hantiert und ansonsten sich geprügelt wird – da dreht Shyamalan den gesamten Kampf, der in einem relativ eng begrenzten Platz stattfindet, in weitgehend einer einzigen Einstellung, wobei die Kamera um die Figuren herumschwebt und dabei „im Raum schneidet“. Ein verblüffend undynamischer Eindruck ist die Folge, eine Distanzierung. Dieses bewegte Statik wirkt wie ein Überbleibsel der früheren Shyamalan-Filme mit ihren langen, fixen Einstellungen, in denen der Zuschauer jedoch nicht nur als Zuschauer oder aber Blickäquivalent einer der Figuren im Film, sondern als eine Art Gegenfigur mitinszeniert wurde (so in THE SIXTH SENSE, wenn wir objektiv auf Bruce Willis als Malcolm schauen und gerade dadurch, wie er, nicht mitbekommen, dass ihn niemand sehen kann – oder in SIGNS mit den mehrfachen Blick der Protagonisten direkt in die Kamera).

Noch markanter wird das Kameraspiel in der Actionszene, wenn einer unserer Helden vor den Soldaten zurückweicht – und sich plötzlich vor ihm der Boden zu einer schützenden Wand erhebt. Wir kreiseln weiter und erblicken jetzt die bislang passiven Einwohner und Erdbezwinger, die nun in einer Reihe wie eine Maori-Kriegertruppe aufstampft, ein- und angreift.

Shyamalan verschenkt hier die Wirkung der Überraschung, indem er deren Momentum nicht nutzt, um sofort der Wahrnehmung des Geretteten zu folgen und zum Ursprung des Ereignisses zuschneiden – der schließlich auch inhaltlich von Bedeutung ist: die „Eingeborenen“ haben sich ihrer Ehre und Kraft besonnen und sich entsprechend gegen die Unterjochung erhoben. Stattdessen bleibt Shyamalan im eigenperspektivischen, göttlichen Umherschweben, der einen epischen Überblick suggeriert (und damit an die erste Heldentat in UNBREAKABLE erinnert, wenn Bruce Willis quälend mit dem Familienmörder kämpft, ihn langsam erwürgt und die Kamera dies von oben herab, ungeschnitten, ungerührt beobachtet).

Die Szene wirkt zum einen wie eine Show in einem Themenpark, distanziert und aufgeführt. Oder aber wie Tolkins Roman mythologisch „überliefernder“ Herr der Ringe gegenüber Peter Jacksons Verfilmung, die unmittelbar miterleben lässt.

Hierin liegt die Crux von THE LAST AIRBENDER: Shyamalan nimmt die Mythenwelt, die ihm die Serie liefert, zu ernst, er hat an ihr mehr Interesse als an den Figuren, die in gewisser Weise alle Avatare sind, kaum was Fröhliches haben, nichts Verschmitztes, Freches, Kesses, und darüber vergisst er den schieren Spaß. Zumal er es mit Humor ohnehin nicht sonderlich hat, zumindest nicht mit dem Humor, den es hier braucht und den auch die Zeichentrickvorlage auszeichnet: Shyamalans Witz ist lakonisch, überaus trocken, und er kommt vor allem da zum Zuge, wo er in der inszenatorischen Steifheit und dem ironischen Spiel mit Bild- und sozialen Symmetrien eine Heimat findet (so wenn Mel Gibson als Priester in SIGNS mit drögem Blick in die Kamera, sorgfältig im Bildkader gerahmt, die ermüdende ad-hoc-Beichte der Drugstorebedienung lauscht und eine verdeckter Kunde kurz über Grahams Schulter lugt). Oder der Shyamalan’sche Schenkelklopfer entsteht aus den Konventionen, Stimmungen und Grenzen des Erzählens und seines Genres, genauer: aus dem Reiben daran, z.B. durch einen erlösenden Bruch des Pathos-Augenblicks in LADY IN THE WATER.

THE LAST AIRBENDER an sich bietet zu keiner dieser Humorspielarten die Chance, und das Agile, Ausgelassene rein für sich ist eben nicht Shyamalans Ding. Man kann ihn sich gut und gerne als Mann vorstellen, der gerne lacht, mehr noch lächelt und tolle Anekdoten erzählen kann, aber keinen Witz, zumindest nicht, ohne dass es ein bisschen beklommen dabei wird.

Was Shyamalan nun leider übersieht, ist, dass im Grunde alles Wasser-, Luft-, Feuer- und Erd-„Bendern“ selbst (auch aufgrund des beschränkten Erzählrahmens) keinen tieferen Sinn hat (auch nicht bekommen kann) als im Kampf jugendgerecht sich die Gegner mit dem entsprechend Element beharken zu lassen, sich umzuhauen, den Angreifer einzueisen – oder, wenn es schiefgeht und damit die Kinder was zum frohlocken haben: den eigenen Bruder.

Shyamalan aber sucht einen tieferen Sinn, lässt Jungen und Mädel bierernste Kung-Fu-Gesten vollführen, ist aber zuletzt wiederum so konsequent, von der Anime-Vorlage abzuweichen, offenbar weil er eine Art mythopoetisch Inkonsistenz entdeckt hat: Während Aang am Ende der „ersten Buchs“ der TV-Serie die Armada der Feuernation mit den beschworenen Meereswellen versenkt, lässt Shyamalan ihn damit in der Filmversion nur damit drohen, so dass sich die Flotte zurückzieht. Und tatsächlich ist der Avatar ja kein Rächer und Vernichter, sondern eben der, der das Gleichgewicht (wieder) herstellt – ganz nach Shyamalans Weltsicht und seiner Botschaft, die er auch in THE LAST AIRBENDER gefunden hat, die er verkündet, auserzählt, auch wenn er da keinen Spaß versteht bzw. es auf Kosten des „Spaßes“ geht.

Man kann sagen was man will: Ein Shyamalan-Scheitern ist und hat immer noch eine ganz eigene Klasse und Konsequenz.


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Curt Goetz im Mainzer CinéMayence

Im September unterbricht das Mainzer Kino CinéMayence die Sommerpause, und zwar aus gutem Grund:
In Zusammenarbeit mit der Stadt Mainz laufen drei Komödien von und mit Curt Goetz, der 1888 in Mainz geboren wurde. Die Filmreihe soll seines 50. Todestages am 12. September 1960 gedenken.

Trauer wird aber nicht aufkommen, denn Goetz ist einer der wenigen deutschen Regisseure und Autoren, die wirklich witzig sind. Seine Kunst der Dialoggestaltung ist legendär, mit viel Ironie und wundervoll schrulligen Charakteren forscht er in seinen Filmen den Abgründen von Liebe und Moral nach.

Zur Eröffnung der Reihe läuft am 12. September um 19.30 Uhr "Napoleon ist an allem Schuld" von 1938: Goetz als spleeniger englischer Napoleonforscher liefert sich mit einem Nachbarslord Wortgefechte und gerät bei einem Napoleonkongress in Paris in die Gefilde unsittlicher Nachtlokale.
Kulturdezernentin Marianne Grosse hält ein Grußwort, Dr. Jürgen Hardeck einen Vortrag.

Am 14. September folgt um 19.30 Uhr "Frauenarzt Dr. Prätorius" von 1950, in dem Goetz als Dr. Hiob Prätorius menschenfreundlich und gütig Frauen heilt (und versteht), sich um dunkle Punkte in seiner Biographie drückt und zudem der menschlichen Dummheit auf den Grund zu gehen versucht.

Am 16. September um 19.30 Uhr erbt Goetz in "Das Haus in Montevideo" (1951) als hochanständiger Professor Traugott Nägler, der mit Ehefrau und großer Kinderschar ein hochmoralisches Leben führt, einen Puff in Südamerika - und er muss sich entscheiden zwischen den eigenen hohen Ansprüchen an die Sittlichkeit und den 250.000 Dollar, die die Erbschaft auch noch mit sich bringt - denn das Erbe erhält er nur unter der Bedingung, dass eine seiner Töchter ein uneheliches Kind zur Welt bringt.

Zu diesen beiden Filmen wird Günter Minas eine Einführung halten.

"Rote Sonne" in Mainz

Im Rahmen der Filmreihe "FILMZ des Monats" läuft am Mittwoch, den 18. August, um 20 Uhr im Mainzer Residenz&Prinzess Filmtheater Rudolf Thomes Film "Rote Sonne" von 1969.

In "Rote Sonne" spielt Uschi Obermaier eine von vier Bewohnerinnen einer Kommune, die Männerbeziehungen auf Zeit pflegt - Partner werden für fünf Tage in die WG mit allen Freuden und Vergnügungen eingeladen und danach tot wieder fallengelassen. Bis Marquard Bohm kommt.
Thome hat einen wunderbar spritzigen, witzigen Sixties-Film geschaffen, den sich anzusehen unbedingt lohnt, eine Popgeschichte aus Swingin' München.
Prof. Dr. Norbert Grob wird eine Einführung halten.

Bis im November FILMZ, das Mainzer Filmfestival des deutschen Kinos, startet, laufen im Residenz-Prinzess-Kino monatlich deutsche Filmklassiker aus fünf Jahrzehnten - im nächsten Monat Heiner Carows "Die Legende von Paul und Paula".

Neues von den Nachtschwärmern

Neue Wettbewerbsauftritte für die Mainzer Filmemacher von Nachtschwärmer Film:

"Dolce Vita" wurde für die Documentary Selection des Silhouette Short Film Festival Paris ausgewählt (28.8. bis 5.9.2010, Chaumont Parc Paris). Mit ca. 20.000 Zuschauern gilt das Open-Air-Festival als größtes Kurzfilmfest der französischen Hauptstadt.

Das Europäische Dokumentarfilmfestival dokumentART präsentiert „Advent“ im internationalen Wettbewerb. Vom 8. bis 13. Oktober 2010 werden 49 Filme aus 16 Ländern zeitgleich in Neubrandenburg/Deutschland und in Szczecin/Polen gezeigt.

Das Internationale Kurzfilmfest Bunter Hund hat "Advent" in sein aktuelles Programm aufgenommen und zeigt den Film vom 14. bis 17. Oktober 2010 im Werkstattkino München.

"Advent" wurde für die neue Dokumentar-Reihe des Diessener KurzFilmFestivals ausgewählt (9. bis 13.11.2010) und läuft dort an zwei Abenden im Wettbewerb.