DVD: "Story of a Prostitute" - Nouvelle Vague in Japan

"Story of a Prostitute"
Japan 1965. Regie: Seijun Suzuki


Mit den 50ern erlebte die japanische Filmindustrie eine neue schöpferische Welle. Im Unterschied zu den anderen radikalen Änderungen der Zeit (wie die Nouvelle Vague in Frankreich und später das New Hollywood in den USA) findet die Nuberu Bagu ihren Keim mitten im japanischen Studiosystem, einer nach dem Hollywood-Modell an großen Studios, Stars, aber auch Regisseuren angelehnten Organisation.

Seijun Suzukis „Story of a Prostitute“ ist als Vertreter dieser Welle exemplarisch: aus den Nikkatsu-Studios stammend soll der Film ein an einen Bestseller von Tajiro Tamura angelehntes Melodram sein. Die filmische Umsetzung ist jedoch das Resultat einer der Realität näheren Anpassung der Romanvorlage. Harumi (Yumiko Nogawa), die Heldin, wird schon in der zweiten Einstellung als Prostituierte bezeichnet, fast ein Gegensatz zu ihrer viel romantischeren Rolle als Unterhalterin im Roman von Tamura. Verraten von ihrem Liebhaber, entscheidet sie zur Front zu ziehen, um sich dort zusammen mit einigen Berufskolleginnen um die Bedürfnisse der japanischen Soldaten zu kümmern. Doch der machtsüchtige Hauptmann Narita (Isao Tamagawa) beansprucht sie für sich alleine, zwingt sie in ein Herr-Knecht Verhältnis. Dessen Untergebener Mikami (Tamio Kawaji), ein humanistischer Idealist, ergänzt die Konstellation zu einem Dreieck. Zwischen Harumi und Mikami erwacht die Liebe, mitten in einem von Ehre und Machtgefüge dominiertem Universum, die Folgen davon werden immer dramatischer.

Von Anfang an beeindruckt der Film durch außergewöhnliche Stilelemente, die durch die Erzählung hindurch brechen, gleichzeitig Marke des Regisseurs und Zeichen seiner Distanzierung von den Nikkatsu-üblichen Produktionen. Extreme Slow-Motion bis hin zu Stop-Action verlängert die Zeit, vor allem in dramatischen Einstellungen, und pointiert somit die Gefühlshöhen und -tiefen der Hauptcharaktere. Oft werden Filmsegmente wiederholt aneinander geschnitten oder durch andere Filmstücke unterbrochen, den Kuleschow-Effekt nachahmend. Viel radikaler jedoch wirkt die Montage von Standbildern der Nahaufnahmen der Protagonisten, die Filmwelt um sie herum erfrierend und das Dramatische fast bis hin zur Karikatur überspitzend. Oder eine Collage, die den Hauptmann Narita vom Filmcharakter kurz zum Pappmenschen macht, bevor diese neue Form wörtlich in Papierfetzen gesprengt wird.

Die japanische Nuberu Bagu – die neue Welle – lässt sich aber vor allem in der Inhaltsebene von „Story of a Prostitute“ wiederfinden. Unter der Maske eines brutalen, abgehackten Schnitts, der zunächst den Eindruck erweckt, es wäre versucht worden, eine komplexe Romanvorlage in einen Film zu pressen, entfaltet sich ein sozialkritisches, für die damaligen Verhältnisse fast feministisches Werk. Ganze Romanpassagen auf einen Satz aus dem Off oder auf eine sprunghafte, fast Kohärenz mangelnde Aneinanderreihung von Einstellungen reduzierend, verwandelt Suzuki eine auf den ersten Blick falsche Methode der Literaturverfilmung ins Stilmittel. Denn hinter diesen Inkohärenzen, hinter der Härte mancher synthetisierender Sätze entdeckt der Zuschauer nach und nach eine ironische Kritik gegenüber den Verhältnissen im Militär, gegenüber dem strengen Moralkodex des japanischen Militärs und gegenüber den Verhältnissen zwischen Männern und Frauen.

Beeindruckend in dieser Hinsischt ist der Umgang des Films mit der Heldin, Harumi. Zuerst wird sie isoliert in einer Einstellung gezeigt und eine Stimme aus dem Off etikettiert sie als Prostituierte. Eine Stimme ohne Name, welche rückblickend als Meinungsträger der japanischen Gesellschaft bezeichnet werden kann. Ihr Beruf ersetzt zunächst im Film ihr Menschsein, wie Hauptmann Narita es auch verdeutlicht, und wie es wiederum auch mit den Soldaten geschieht, die bloß noch als Behälter einer nationalen Tugend ihre Daseinsberechtigung finden. Doch der Auslöser der Filmhandlung kommt als eine doppelte Überraschung für den Zuschauer: Erstens durch den psychoanalytischen Charakter, bisher dem Film völlig fremd, und zweitens, weil der Weg von der Prostituierten Harumi zum gleichberechtigten Menschen Harumi über eine Spaltung geführt wird. Sie kann den Hauptmann nicht ausstehen, doch sobald er sie berührt, weigert sich ihr Körper zu widerstehen. Diese Spaltung zwischen Körper und Geist wird schnell immer größer und so holt sie sich mit Mikami zunächst eine Waffe gegen den Hauptmann. Doch diesmal verrät sie ihr Herz, sie verliebt sich, und gleichzeitig tritt nach und nach die Prostituierte in den Hintergrund ihres Gesamtbildes. Von nun an überbietet sie immer mehr die Ehre der Menschen um sich herum, soweit, dass sie ihrem Geliebten in den Tod folgt, den beide als einzige aus Überzeugung angehen.

Trotz der herausstechenden zeitgenössischen Ideen und Stilmittel, die einige Jahre später zu Suzukis Entlassung aus Nikkatsu führten, wurde der Film nie ein Publikumserfolg. Entstanden in einer Zeit, in der die Tenöre unter den Kinobesuchern, die Jugend, die großen Studios aus Prinzip ablehnten, hatte der Film nie die Gelegenheit auf die Menschen seiner Zeit zu wirken. Nun erscheint der Film in einer restaurierten Fassung auf DVD im deutschen Verleih.

Ciprian David


"Story of a Prostitute"
Regie: Seijun Suzuki. Drehbuch: Hajime Takaiwa. Buch: Taijio Tamura. Kamera: Kazue Nagatsuka. Musik: Naozumi Yamamoto.
Darsteller: Yumiko Nogawa, Tamio Kawaji, Isao Tamagawa
Länge: 96 Min
Verleih: Eye See Movies
Start: 26.02.2010


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