Neues über Klassiker – Der Essayband „Schattenbilder – Lichtgestalten“ über Fritz Lang und F.W. Murnau

von Harald Mühlbeyer


Maik Bozza, Michael Herrmann (Hrsg.): Schattenbilder – Lichtgestalten. Das Kino von Fritz Lang und F. W. Murnau.
Bielefeld 2009. 208 Seiten. 25,80 Euro


Ein Ziel, das die Herausgeber im Vorwort benennen, wird der Band sicherlich nicht erreichen: „Anregung zu sein zur weiteren Beschäftigung eines breiteren Publikums mit dem Stummfilm.“ Denn der Leser muss sich schon im Vorhinein mit dem Stummfilm beschäftigt haben, auf jeden Fall mit den neun Filmen, die in diesem Essayband besprochen werden. So genau, so breit gefächert, so tiefschürfend die Analysen sind: Die Inhalte der Filme lassen sich oftmals nur schwer aus den Aufsätzen rekonstruieren, der Leser ist gefordert, sich zu erinnern.

Was bei mir nicht das Problem ist, ich kenne all diese Filme, es sind ja Klassiker: die „Nibelungen“ oder „Metropolis“, „Der letzte Mann“, „Tartüff“ oder „Tabu“; manche bewundere ich gar – Murnaus „Faust“ oder „Sunrise“, Langs „Der müde Tod“ oder „M“. Sie werden hier ausführlich besprochen. Andere großartige Werke wiederum fehlen, „Nosferatu“ und „Spione“ etwa – aber die Auswahl erfolgte nach den Interessen der Beiträger, und das ist völlig in Ordnung.

Die Autoren stammen aus dem Umfeld der Tübinger Germanistik, und mit Verlaub gesagt: den sprach- und literaturwissenschaftlichen Untergrund merkt man den Aufsätzen an. Ganz genau werden da einzelne Gesten angeschaut, ganz genau einzelne Schnitte analysiert, ein bestimmter Gesichtsausdruck, ein Lichteinfall: die Texte der Filme werden sehr exakt, Buchstabe für Buchstabe, gelesen, und sie werden in Bezug gesetzt mit der Sekundärliteratur über die Filme, die Regisseure, die Filmgeschichte. Kaum einer der Essayautoren, der nicht Kracauers „Von Caligari zu Hitler“ diskutiert! Dieser Blick durch die Leselupe auf die Filme ergibt oftmals neue Aspekte, ruft Einzelheiten in Erinnerung, die man vergessen, weist auf Details hin, die man nicht bemerkt hat. Wobei allerdings durch diesen Blick auf die einzelnen Mosaikteile der Filme mitunter auch versäumt wird, das Gesamtbild im Auge zu behalten – die Ästhetik der Filme etwa, auch die Wirkung auf den (heutigen wie damaligen) Zuschauer bleiben immer wieder außen vor.

Die Texte stehen dabei jeder für sich; die Autoren konnten gar die Gestaltung ihrer Aufsätze in neuer oder alter Rechtschreibung frei wählen. Zudem hat jeder Autor seine eigene Herangehensweise an „seinen“ Film, Manfred Koch geht beim „Müden Tod“ auf Deutschtum und Todesmystik ein, Rainer Schelkle begutachtet mit den „Nibelungen“ auch die Frage des faschistischen Filmbildes, Sascha Keilholz dekliniert verschiedene Ordnungssysteme durch, die in „Metropolis“ zum Tragen (und zum Brechen) kommen, Wolfgang Kasprzik behandelt „Tabu“ unter theologiewissenschaftlichen Aspekten.

Dabei erweckt diese Vereinzelung der Texte gar nicht den Eindruck der Beliebigkeit, obwohl keiner einen näheren Bezug zu den anderen hat außer Epoche und Regisseur, die eben je eigen be- und verhandelt werden. Vielmehr wird mit dieser Art der Annäherung an die Filme – persönlich, aber film- und gesellschaftshistorisch fundiert, mit eigenem Blick, aber in der Diskussion mit der Rezeptionsgeschichte – auf jeden Fall den zweien Anspruch des Essaybandes erfüllt, den er an sich selbst hatte: Die Texte bieten – alle zusammen und jeder für sich – einen Beitrag zum filmwissenschaftlichen Diskurs. Weniger über die Epoche – dafür gibt es hier zuwenig Übergreifendes –, aber über die einzelnen Filme.


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