FILMZ 09 - Stell dir vor, es ist Krieg

Da haben die verschiedenen FILMZ-Sektionen, vermutlich ohne es zu wissen, großartig zusammengearbeiten, einander zugearbeitet.
Am Samstag lief zunächst in der Adorf-Rückblende Robert Siodmaks "Nachts, wenn der Teufel kam" von 1957 (1958 für den Auslandsoscar nominiert, verloren gegen Tatis "Mon Oncle"). Ein spannender Krimi aus den letzten Kriegsjahren, der zeigt, wie ein politisches Verbrechensregime mit kriminellen Verbrechen umgeht. Der Fall eines Massen-Serienkillers wird vertuscht, weil es politisch opportun scheint, der aufrechte Kommissar Kersten, der den Fall aufgeklärt hat, wird an die Front geschickt; Adorf spielt den Killer, einen Schwachsinnigen mit großer körperlicher Kraft, und das ist eine Glanzrolle, gleich am Anfang seiner Karriere.
Spannend, hochspannend verquickt Siodmak den Kriminalfall mit der Zeit, in der er spielt - wobei natürlich, wir sind in den 50ern, die Nazis die sind, die in SS und Gestapo schalten und walten, der normale Bürger auf der Straße hat sich innerlich längst abgewandt, wurschtelt sich durch: Wegducken ist angesagt, Was muss, das muss, kann man nichts machen, abwarten, bis der Krieg endlich aus ist. Klaro: da wird beschönigt, da wird die Verstrickung des Einzelnen verharmlost, ja: geleugnet. Aber das ist kein Fehler des Films, das ist ein Fehler der Zeit, aus der er stammt (ein Fehler, der bis heute in den Köpfen vieler noch drinsteckt, man denke an die Proteste gegen die Wehrmachtsausstellung oder an die Debatte um das Vertriebenenzentrum).
Das Muster "gute Deutsche, einem Tyrannen ausgeliefert" stört die Wirkung des politisches Krimis nicht, der sehr präsent ist, von Suspense bis Komik alles bietet - und der sehr authentische, sehr lebendige Sprache mitliefert.

Ohne Sprache, weil ein Stummfilm, ist Arnold Fancks Bergdrama "Die weiße Hölle vom Piz Palü" von 1929. Fancks Enkel war da, hat in den Film eingeführt, und seine Warnung, man dürfe den Film nicht mit heutigen Augen sehen, er sei halt damals mit damaligen Mitteln gedreht worden, hätte es gar nicht bedurft: Fanck und Co-Regisseur Georg Wilhelm Pabst haben einen sehr dynamischen Film geschaffen, ein Drama vor gewaltiger Naturkulisse, gedreht unter verschärften Bedinungen am Berg, doch nicht nur das bewirkt die Ummittelbarkeit, die Spannung, die sich auf den Zuschauer überträgt. Montage, Kamera, Darstellung, alles state of the art; nur Ernst Udet, der Fliegerkönig, ist etwas lächerlich, wenn er vor seinem Rettungsflug noch ein paar unvermeidliche Loopings fliegen muss.

Auf merkwürdige Weise bedingen sich der nächtliche Teufel und die weiße Hölle: Ersterer verhandelt die Kriegsjahre ca. 10 Jahre danach; letzterer bereitet den Krieg vor, ein Jahrzehnt im Voraus. Mut, Kameradschaft, Abenteuertum, Heldentum, Opferbereitschaft, die Bereitschaft, ja, die Sehnsucht, in den Tod zu gehen: all das steckt im Bergfilm ebenso drin wie im ganz realen Kriegseinsatz ab 39 - Philipp Stölzls "Nordwand" von 2008 behandelt unter anderem genau diese Korrespondenz zwischen Bergabenteuer und NS-Ideologie.

Nein: "Piz Palü" ist kein Nazi-Film; aber er behandelt die Werte, die vier Jahre später Staatsdoktrin wurden.
Und hier ist Urs S. vom FILMZ-Team zu rügen: er bewarb den Film in seiner Vorrede wie im Programmheft damit, dass in "Piz Palü" die "junge Leni Riefenstahl" zu sehen sei - und benutzt dabei den Namen Riefenstahl, der noch heute wegen ihrer faschistischen Propagandafilmen bekannt ist, um für den Bergfilm zu werben, blendet das Problematische von Ideologie, von Affinität zu Nazitum und Hitler, vollkommen aus, entkleidet den Namen Riefenstahl aller üblen Konnotationen, um noch ein paar mehr Leute für den Film zu interessieren - genausogut hätte er damit werben können, dass Udet mitspielt, der damals, im Weltkrieg 1, in derselben Fliegerstaffel wie, oha: Göring diente! Ist doch super: so viele bekannte Namen mit diesem Film verknüpft! Muss man sehen, so wie ihn mutmaßlich auch Hitler aufm Obersalzberg gesehen hat! Yeah!

Lustigerweise erwähnt Mr. S. NICHT, dass Q. Tarantino den "Piz Palü"-Film in seinem gloriosen "Inglourious Basterds" direkt zitiert. Der Urs hat's halt eher mit den WIRKLICH Großen der Geschichte, und ob man in 60 Jahren von Tarantino genauso sprechen wird wie von Hitler und Konsorten, das muss sich halt erst noch zeigen.

Harald Mühlbeyer