exground filmfest 09 - Tanz des Teufels: WHITE LIGHTNIN'

West Virginia, tiefste Provinz. Inmitten eines perspektivenlosen 'White Trash'-Milieus nimmt das Leben von Jesco White seinen Ursprung. Bereits nach wenigen Filmminuten wird klar: Der impulsive Junge hat es nicht leicht unter seinem jähzornigen Vater D Ray White, der gottgleich und mit allen Mitteln versucht, ihn stets auf dem rechten Pfad zu halten. Jesco scheint in seinem Leben nichts richtig zu machen, erntet bei jedem neuen Fehltritt immer härtere Bestrafungen. Doch selbst ein Aufenthalt in einer Besserungsanstalt bringt keine Änderung. Zwischen streng christlicher Moral, brutaler Misshandlung und bitterer Armut flüchtet er sich bei jeder Gelegenheit in seinen Lieblingszustand, den Rausch aus Benzinkanistern und Bierflaschen. Die Antwort, welche WHITE LIGHTNIN' auf das ruhelose Wesen seines Protagonisten liefert, ist dabei fatal: Jesco ringt mit dem Bösen selbst, das durch seine Adern fließt und das immer wieder unkontrolliert hervorbricht.


Es ist nur schwer zu glauben, dass Regisseur Dominic Murphy das nihilistische Szenario seines Films tatsächlich der Realität entnommen hat. Sowohl Donte Vixen Ray (D Ray) White, als auch Jesco White (Jahrgang 1956) existieren tatsächlich und sind mit der Perfektionierung der ausgestorbenen Kunst des 'Appalachian Mountain Dance' zu amerikanischen Legenden geworden. Noch heute werden sie von einer festen Fangemeinde kultisch verehrt. Bereits 1991 wurde Jesco White ein Film gewidmet. In der Dokumentation THE DANCING OUTLAW portraitiert ihn Regisseur Jacob Young. Es existieren außerdem zahlreiche Fanpages sowie Veranstaltungen, die sich intensiv mit seinem Tanzstil und seinem Leben befassen.

Wie die vielen Fans scheint auch Dominic Murphy fasziniert von der Person Jesco White. Mehr jedoch als dessen Biografie interessiert ihn offenbar das wahnhafte, schizophrene Wesen des kauzigen Stars. Er begleitet Kindheit und Erwachsenenalter seines Protagonisten, zeichnet dabei aber weniger eine Biografie als vielmehr die Karte eines geschundenen Geisteslebens zwischen Spiritualität, Emotionalität und Wahnsinn.


In WHITE LIGHTNIN' nimmt Jesco Whites tragisches Dasein von Station zu Station immer groteskere Züge an. Vom Jugendlichen Problemfall führt sein Weg über eine psychiatrische Klinik in sein Erwachsenenleben zwischen Tanzkarriere, Liebe und Blutrache für seinen grausam ermordeten Vater. Wie seinen Protagonisten scheint es den Film dabei stets voran zu ziehen, jede Aussicht auf Entspannung ist nur von kurzer Dauer. Unentwegt wechseln sich kurze inhaltliche Passagen mit episodenhaften Sequenzen ab, die beinahe wie Prüfungen anmuten, wie Wegpunkte auf einem Pfad ins Verhängnis. Die zermürbende, unterschwellige Anspannung der Geschehnisse im Fim gipfelt immer wieder aufs Neue in Wutausbrüchen und Gewaltexzessen Jescos, die allerdings nie seine permanente Ruhelosigkeit lindern können. Fiebrige Höllenvisionen etablieren ihn mit zunehmender Drastik als pervertierte Märtyrerfigur ohne jeden versöhnlichen Bezugspunkt.

Dominic Murphys Jesco White scheint den gesamten Film über nach Vergebung für seine schandhafte Existenz zu schreien. Er zerbricht dabei immer wieder aufs Neue an den unerfüllbaren Geboten seines toten Vaters, dem er sich aufs Tiefste verpflichtet fühlt. Dominic Murphys Jesco White taumelt von inneren Dämonen geplagt durch ein sozial wie optisch verwahrlostes Umfeld voller Schlamm, Schweiß und Blut - stets auf der Suche nach einem Sinn, nach Anerkennung, nach Zuneigung.

Was er findet, ist nur der Zuschauerblick.

Dennis Vetter