Santosh Sivans THEEVIRAVAATHI / THE TERRORIST (IND 1999)

von Bernd Zywietz

Quelle: Terrorismus & Film



THEEVIRAVAATHI / THE TERRORIST (IND 1999)

Regie: Santosh Sivan
Buch: Santosh Sivan, Ravi Deshpande, Vijay Deveshwar
(Dialoge: C.K. Raajaa Chandra Sekar)
Kamera: Santosh Sivan
Musik: Rajamani, Sonu Sisupal
Schnitt: A. Sreekar Prasad

Darsteller:
Ayesha Dharker ("Malli"), K. Krishna ("Lover"), Sonu Sisupal ("Leader"), Vishwas ("Lotus"), Anuradha ("Sumitra"), Bhavani ("Old Lady"), Parmeshwaran ("Vasu")

IMDB-Eintrag HIER

Santosh Sivan aus dem südwestlichen indischen Bundesstaat Kerala ist vor allem für seine wunderbare Kameraarbeit bekannt. Große Qualität und eine eigene Handschrift zeichnete durch ihn z.B. Mani Ratnams ROJA (IND 1992) oder - etwas weniger - FIZA (IND 2000) aus.

Bei THEEVIRAVAATHI führte er auch Regie, war für das Buch mit zuständig - und es verwundert angesichts seiner künstlerischen Disziplin wenig, dass der Film weniger auf Handlung setzt als auf eine Stimmung, eine Atmosphäre der Bilder und ihrer Momente. Kein Bollywood - kein Tanz und Gesang, kein Genre-Mix. Sondern ein ruhiger, fast hypnotischer und intensiver Film.

Man folgt der jungen, hübschen Malli (Ayesha Dharker), die im Busch als Teenagerin eine verbissene "Freiheitskämpferin" ist, die auch kein Problem hat, einen Verräter hinzurichten. Es ist ein bitterer, unbarmherziger Überlebenskampf in diesem Smaragdwald, und indem Sivan ihn über Licht und Tau, Blattwerk und Dunst sinnlich übervoll und zauber-schön inszeniert, wird der politische Guerilla-Krieg darin nur noch unheimlicher – und schlicht unwirklich.

Der Film schwelgt in seinen Stimmungsbildern und folgt dabei Malli, die mit klobigen Schnellfeuerwaffen Angriffe führt, dann aber wieder als träumerisches, verlorenes Mädchen erscheint. Immer wieder geht es zurück zu einer Rückblende: Malli findet einen verletzten jungen Mann während eines oder nach einem Scharmützel mit den Regierungstruppen. So wie der „Krieg“ immer und nie stattfindet, kennen sich beide nicht und sind doch durch ihre „Sache“ verbunden. Während Malli mit gehetztem Blick aus dem Unterholz die Entdeckung fürchtet, ist der Verwundete von ihrem Haar fasziniert (wie auch Sivan und seine Kamera, die in derlei fast magisch-autistischen Miniaturen schwelgt).



Viele bewerben sich – den Blick in die Kamera – mit ihren Opfern, ihrer Bereitschaft, ihren Heldentaten. Doch es ist, natürlich, Malli, die auserkoren wird: Zu einer Selbstmordmission. Nicht erst hier ist der Film so ruhig wie unerbittlich: Es sind die Junge, ist die Jugend, die in die mit voller Hingabe in die Schlacht geschickt werden. Kinder, die indoktriniert werden, aber auch schon von den Umständen geformt, genauer: verbogen wurden: Malli betet mit Ingrimm die Parolen herunter, mit dem großen Anführer darf sie, die Auserwählte noch einmal zu Abend essen, eine große Ehre, und auch hier: Revolutionsphrasen mit ihrem Opferkult. Doch Malli hatte auch einen „Vorteil“: ihr Bruder ist als Märtyrer im Kampf gestorben.

So bleibt denn auch der Film hier ambivalent, damit distanziert und auf einer ganz eigenen, eigenwilligen Position, die sich den realistischen Kämpfen nur über Umwege, impressionistisch, damit recht neutral nähert. Man muss an Neil Jordans Thematisierung der (Nord-)irischen Gewalt denken, die auch immerzu umgeformt, in etwas anderes eingebettet sind – wenn auch Sivan freilich von nichts anderem als einer überzeugten Selbstmordattentäterin erzählt, die bei allem um sie herum und in ihr drin, fragil ist und sich um sie sorgen lässt.

Vielleicht ist der Zwiespalt des Films gar keiner und man muss sich schlicht nur selbst entscheiden, ob die Gewalt, dieser dauernde Unfrieden und das Gefressenwerden der Jugend, der Zukunft und des Daseins von großen abstrakten Gefechten, zwar alltäglichen und erfahren und doch zugleich: abstrakten Werten und Selbstbestimmung – ob dies irgendwie, irgendwo gerechtfertigt ist, unmenschlich ist oder schlicht einfach passiert und „da“ ist. Für letzteres scheint sich THEEVIRAVAATHI weitgehend zu entscheiden. Malli lebt darin, kennt es nicht anders, und hat bei aller Entschiedenheit das Staunen, Schmerz und Verlust nicht verloren.

Doch der Film geht noch weiter: Nach ihrer Reise als „Zivilistin“ getarnt und von einem kleinen halbnackten „Reiseführer“ geleitet, der sich im Wald und Fluss perfekt auskennt, dem man das Elternhaus zerstört und den Vater verbrannt hat und der ebenso beschädigt ist wie scheinbar alles (bis auf diese wunderschöne Natur ringsum), kommt Malli übers Wasser nach Indien. Auf einem Hof wird sie von ihren Verbindungsleuten bei einem arglosen Bauern einquartiert. Einige Tage muss Malli dort warten – erst dann kommt der hohe Staatsbesuch, dem sie die Blumengirlande umhängen soll, um sich dann mit ihm sogleich in die Luft zu jagen. Ein Bewegungsablauf, den das Mädchen, wie befohlen, einstudiert. Muss sie auch. Denn bei der ersten Probe, unter den wachsamen Augen ihres Kommandeurs vor Ort, brachte sie es noch nicht so recht über sich, den Knopf zu drücken.



Der Film erzeugt in diesem Teil auch einiges an „Thriller“-Spannung: Hat der joviale, plappernde Hausherr etwas von ihrem wahren Hiersein mitbekommen. Im Nebenzimmer liegt, wie Malli gruselig bemerken muss, seine katatonische Frau auf dem Lager. Mit offenen Augen starrt sie sie durch die Löcher der Wand an. Ist Malli ertappt?

Dann aber die große Moral: Malli stellt fest, dass sie Schwanger ist – vom damals im Unterholz geborgenen, verwundeten Kameraden. Genauer gesagt: Malli muss sich vom fröhlichen Bauern aufklären lassen, dass sie schwanger ist (obwohl relativ wenig geschieht, gestaltet Sivan seine Hauptfigur sehr genau aus).

Natürlich kommt es zum inneren Konflikt – Malli ist jetzt nicht nur für ihren Auftrag zuständig; schützende, positive Mutterkraft vs. die Destruktion der Väter. Doch der Film steckt diese Volte nicht nur gut weg. Er macht auch das Beste daraus, lässt Ayesha Dharker alle Facetten einer nicht auf einmal zerrissenen, sondern langsam hin- und herschwankenden Malli – zwischen Gleichgültigkeit gegenüber dem ungeborenen Lebens angesichts ihrer Mission bis hin zu ganz momentaner Freunde und dem faszinierten Staunen – durchspielen. All das ohne große Gesten zu bemühen oder Malli als Figur mehr zu öffnen, als bis er es bis dahin getan hat. Vielmehr spürt man, wie man als Zuschauer selbst schleichend der Trost- und Zukunftslosigkeit anheim gefallen ist. Plötzlich kann man sich für Malli tatsächlich ein Leben, ein Glück vorstellen. Fast wie ein Geistesblitz wirkt die Möglichkeit einer Alternative zu Guerillakrieg und Terrorismus und ihren alles umklammerten Denk- und Wertekosmos.

*** Achtung, Spoiler !! **********

Dass der Film eine Art „Fehler“ macht, sei ihm in diesem Sinne nicht nur verziehen, sondern zugestanden. Denn Malli legt sich natürlich den Sprengstoffgürtel an und lässt sich auf den Besuch des Politikers fahren, stellt sich mit ihrer Blumengirlande in die Reihe zu den anderen und nimmt den Knopf für den Auslöser in die Hand. Spannung wird so generieret, der innere Konflikt auf die Spitze getrieben. Sie kniet nieder, zu den Füßen des gesichtslosen Staatsmannes, wie sich das gehört, schmitzt, ihre Lippen zittern, ihre Augen präsentieren Seelenqual vom Feinsten, sie zittert.

Und lässt des den Knopf fallen. Man ist gewillt zu schimpfen, sich zu wünschen, Sivan hätte den Filme einige Momente früher enden lassen und dem Zuschauer mit diesem offenen Schluss aufgewühlt die Entscheidung überantwortet, wie es weitergeht. Kurz: Dass er nicht so deutlich Stellung für die Besinnung und, nun ja, die persönliche, individuelle Vernunft, das private Leben bezogen. Vielleicht ist das hilflos nobel. Vielleicht ist es aber genauso einfach. Sei’s drum, angesichts dessen, was er mit THEEVIRAVAATHI aber bis dahin geleistet hat, ist das mehr als zu verkraften.

HINTERGRÜNDE:

Vielleicht macht es THEEVIRAVAATHI für Westler unbeabsichtigt so reizvoll; vielleicht war es aber eine generelle Strategie, die auch in der Heimat wirkte: Jedenfalls ist es ein besondere Entscheidung Sivans, nicht konkret in Sachen Terrorismus, Guerillakampf und historischer Situation zu werden. Die wunderbar schreckliche magische Naturwelt wird so noch eindringlicher, Malli noch mehr zu einem irregeleiteten Rotkäppchen – und schon in ROJA stand das atemberaubende Kaschmir über aller politischer Gewalt und ihrer Verhärtung.

Gleichwohl lässt sich der Untergrund- und Terrorkampf in THEEVIRAVAATHI genau verorten: Es ist der Kampf der Tamilen, der hier zur Vorlage dient. Die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) haben den modernen Selbstmordterrorismus quasi erfunden (diese „Black Tigers“ werden an einem eigenen Feiertag geehrt). Es war ein Girlandenmädchen, dass den ehemaligen indischen Premierminister Rajiv Gandhi 1991 im Bundesstaat Tamil Nadu während einer Wahlkampfveranstaltung, sich und über zehn weitere Menschen tötete. Grund war das indische Militärengagement in Sri Lanka.

Auch der Ehrenabend mit dem verehrten Terroristen- bzw. Untergrundführer ist nach dem realen Brauch modelliert, bei dem LTTE-Chef Velupillai Prabhakaran zum „letzten Abendmahl“ lädt und Fotos von denen geschossen werden, die sich aufmachen, sich für ihr Volk zu opfern.

Dass dies alles Sivan wusste und akkurat aufgriff, zugleich bewusst seinen Film in eine ganz andere, menschliche Perspektive verlegte, d.h. sich von geschichtlichen und politischen Realia absetzte, belegt freilich der Umstand, dass der Terrorkommandant wie der Politiker in der Inszenierung so gesichts- wie namenlos bleiben. Für Malli unwirklich Berührungen mit der großen Historie und ihren Kriegen.


Weitere Texte zum Thema Terrorismus, Film und Medien finden Sie HIER