Filmfest München: Comeback einer Action-Autorenfilmerin - Kathryn Bigelows "Hurt Locker"

Nicht nur auf Grund der Erfindung nicht vorhandener Massenvernichtungswaffen und gröbster Verstöße gegen jene Menschenrechte, die man laut neokonservativer Propaganda für die Zivilbevölkerung wieder herstellen wollte, zählt der Irakkrieg zu den dunkelsten Kapiteln der amerikanischen Geschichte seit Vietnam.

Die bisherigen filmischen Auseinandersetzungen mit der Thematik versuchten aus nahe liegenden Gründen an die kritischen Traditionen der 1970er Jahre anzuschließen, scheiterten jedoch meistens würdevoll, da sie es nicht vermochten an das Stilbewusstsein und die Konsequenz des New Hollywood anzuschließen. Lediglich Brian De Palma verstand es, die Veränderungen in der medialen Wahrnehmung durch Video-Blogs und You Tube im Kontrast zu Essay-Filmen und klassischer Nachrichtenästhetik in dem wieder einmal von der deutschen Rezeption weitgehend verschlafenen Alterswerk „Redacted“ (USA 2007) zu thematisieren.

Eine weitere, beachtliche Lösung, die Missstände auf die Leinwand zu bringen, fand auch die Action-Autorenfilmerin Kathryn Bigelow mit dem gleichermaßen dynamischen und verstörenden Kriegsdrama „The Hurt Locker“, das effektvoll die formalen Innovationen des Actionkinos der 1980er und 1990er Jahre mit dem kritischen Bewusstsein der 1970er Jahre vereint. Der häufige Einsatz von Handkameras erzeugt über weite Strecken eine semi-dokumentarische Atmosphäre, die beinahe realistischer als die echten, manipulierten Bilder des „embedded journalism“ erscheint.

Der Hektik der verwackelten Aufnahmen steht die quälende Dauer der Einsätze und die trotz avancierter technischer Hilfsmittel ständig präsente Ungewissheit über die eigene Lage gegenüber, die in der großartigen Exposition zum Ausdruck kommen. Bei jedem Einsatz könnte irgendwo in der Nähe noch ein Sprengsatz gezündet werden oder sich ein Scharfschütze verstecken. Eine derart intensive Vermittlung beklemmender Patt-Situationen fand sich bisher nur in First-Person-Shootern. Im Unterschied zu diesen spart Bigelow jedoch auch die Ausfälle gegenüber den Zivilisten und die schnell auf die Nerven gehende Selbststilisierung einiger Soldaten nicht aus.

Hinsichtlich der Typologie der Charaktere scheint „The Hurt Locker“ auf den ersten Blick die Standards eines handlungsbetonten Kriegsfilms zu erfüllen. Bei genauerer Betrachtung werden diese durch die Mise-en-Scène und die Dramaturgie jedoch gezielt unterlaufen. Nachdem ein irakischer Junge dem Bombenterror zum Opfer gefallen ist, kann sich einer der Soldaten nicht beherrschen. Er ergreift die Initiative und begibt sich mit gezogener Waffe in der näheren Umgebung auf die Suche nach den potentiellen Mördern. Ganz im Gegensatz zu den Formeln des reaktionären Actionfilms verläuft sich die Spur innerhalb kürzester Zeit und er stößt lediglich auf unscheinbare Zivilisten, wie einen irakischen Professor, der ihn freundlich in seinem Haus willkommen heißt, während dessen Frau ihn als Mörder beschimpft.

Bigelows Film entstand nach einem Drehbuch von Mark Boal, der sich in „The Valley of Elah“ bereits mit den Auswirkungen der Kriegstraumata auf die Angehörigen der Soldaten auseinandergesetzt hat. Auf eindrucksvolle Weise gelang ihnen ein engagierter Film, der anstelle von „Preaching to the Converted“-Strategien auf das Reflexionsvermögen des Publikums setzt.

Sowohl der Verzicht auf falsche Eindeutigkeiten, als auch der am Ende des Films akzentuierte, endlose und zermürbende Kreislauf der Einsätze, der eine fragwürdige Sisyphos-Aufgabe im Dienste verlogener und selbstgerechter Ideologien andeutet, brechen mit den Manierismen des gegenwärtigen US-Mainstreams. Bigelow vermeidet den schnellen und leichten Weg, den die meisten Politdramen der Bush-Ära eingeschlagen haben. Stattdessen erinnert sie an das kritische Potential des Actionfilms und reklamiert in einem der besten Filme diesen Jahres ihre Position als emanzipatorische Ausnahme-Filmkünstlerin, die bewusst mit Genretraditionen arbeitet, ohne diese lediglich sinnlos hin und her zu transformieren.

„The Hurt Locker“ vermittelt mit einer fesselnden und zugleich beklemmenden Direktheit die Ausweglosigkeit der Situation, ohne dass man sich das deutlich vorhandene kritische Potential des Films mit Hilfe der poststrukturalistischen Trickkiste zurecht schwurbeln müsste.

- Andreas Rauscher

Filmfest München: The Melodrama Next Door - James Grays "Two Lovers"

Mit „The Yards“ (USA 2000) und „We Own the Night“ (USA 2007) etablierte sich der New Yorker Filmemacher James Gray als würdiger Nachfolger Martin Scorseses, der die Familiendramen rund um die Mean Streets verfolgte, während der Altmeister die Konflikte der Hongkong-Triaden nach Boston verlegte, sich den Eskapaden des Howard Hughes widmete oder mit den Rolling Stones deren Alterswerk feierte.
Die stärksten Momente gelangen Gray jedoch, wenn er die im Vergleich zu den Machenschaften der Gewerkschaften, der Polizei und der Syndikate eher beiläufigen Familiendramen in den Mittelpunkt rückte. In seinem neuesten Film „Two Lovers“ konzentriert sich der aus dem New Yorker Stadtteil Queens stammende Regisseur schließlich ganz auf ein alltägliches Beziehungsdrama, das nicht nur seine bisher beste Arbeit darstellt, sondern auch eine berührende Unmittelbarkeit und Aufrichtigkeit im Scheitern der Protagonisten erreicht. Eine vergleichbar überlegte Mise-en-Scène und eine sorgfältige Dramaturgie, die das Geschehen emotional glaubwürdig, tragisch und dennoch ausgesprochen realistisch erscheinen lässt, sucht man im aktuellen Indiestream vergeblich.
Der Plot von „Two Lovers“ könnte sowohl als Vorlage für ein traditionelles Melodram, als auch für ein Routine-Indiestream-Prestige-Drama für die nächste Award-Season dienen. Gray vermeidet aber konsequenterweise beide Optionen: Zwar steht am Anfang ein Selbstmordversuch und gelegentlich regnet es wie auf Bestellung in Strömen, doch statt die stilisierten Überhöhungen eines Melodrams durchgehend zu bemühen, kehrt die Inszenierung immer wieder in die umso beklemmendere Realität zurück.
Im Unterschied zu den Gesellschaftsportraits des neueren Independent-Films besteht für den Protagonisten Leonard (Joaquin Phoenix) das Problem darin, dass seine stets überbesorgte und fürsorgliche Familie gerade keinerlei Spuren von Dysfunktionalität aufweist. Nach dem Ende einer langjährigen Beziehung zieht er zurück zu seinen Eltern, die nicht ganz unbeteiligt am Scheitern seiner unmittelbar bevorstehenden Hochzeit waren. Das Leben in der New Yorker Mittelschicht erweist sich für den eigentlich auf die Midlife Crisis zusteuernden Gelegenheitsfotographen, der von seiner Familie wie ein Teenager in der Pubertät behandelt wird, als tristes Gefängnis. Er soll die nette, aber auch nicht aufregende Tochter eines befreundeten Unternehmers heiraten, obwohl er sich leidenschaftlich in die neue Nachbarin verliebt hat. Die sympathische, aber emotional äußerst instabile Michelle (Gwyneth Paltrow) arbeitet als Anwaltsgehilfin und leidet an der unklaren Beziehung zu einem wesentlich älteren, verheirateten, zwischen Paternalismus und Bigotterie schwankenden Arbeitskollegen. Leonard versucht sie auf andere Gedanken zu bringen und entwickelt sich zur psychologischen Stütze und dem Best Buddy der Nachbarin, obwohl er sich mit dieser lieber in gefährliche Liebschaften stürzen würde. Deren Realisierung, sowohl im romantischen Aufbegehren, als auch als tragische, unerfüllte Liebe verweigert Gray jedoch mit einer Konsequenz, die systematisch das artifizielle Pathos des Melodrams, als auch die selbstgebastelten Allegorien des Indiestreams unterwandert.
Am Schluss gibt es in rein dramaturgischer Hinsicht, sogar eine Art Happy-End, das aber weder die Protagonisten, noch die Zuschauer als solches, sondern als ernüchternde Rückkehr in den Alltag empfinden werden.

- Andreas Rauscher

Filmfest München: Eissturm im Wasserglas - "Lymelife"

Nicht zuletzt durch die exzessive Einkaufspolitik von Verleihen wie Miramax in den 1990er Jahren hat die US-Independent-Szene rund um das Sundance Festival inzwischen ihre eigenen Konventionen und Standardsituationen herausgebildet. Diese markieren im zwischen Nische und Hollywood changierenden Indiestream das Äquivalent zur ewigen Heldenreise im Mainstream-Kino. Das Spektrum reicht von dysfunktionalen Feel-Good-Movies wie „Little Miss Sunshine“, bei denen man sich fragt, wo überhaupt noch der Unterschied zu gewöhnlichen Hollywood-Komödien bestehen soll, bis hin zur autobiographischen Suburbia-Reflexion, die sich meistens in spontanen „American Beauty“-Remix-Contests verliert.

Lymelife“ (USA 2008), das von Martin Scorsese produzierte Debüt der Brüder Derick und Steven Martini zählt zu letzterer Kategorie. Von anderen Suburbia-Portraits unterscheidet sich der streckenweise sympathische, gut besetzte, letztendlich aber dramaturgisch zu routiniert geratene Film durch den Zeitkontext der 1970er Jahre. Doch abgesehen von ein paar neckischen Anspielungen auf „Star Wars“, wie ein in einem intimen Moment störendes Millenium Falcon-Modell und einigen Reminiszenzen an Ang Lees „Ice Storm“ wird dieser Bezug nicht wirklich genutzt. „Lymelife“ hätte eine Art Prequel über all jene enttäuschten Hoffnungen und vorstädtischen Lebenslügen werden können, die in den Filmen der 1980er und 1990er Jahre thematisiert wurden. Stattdessen wurde daraus eine passable „Ice Storm“-Variation mit einem zu bemühten und in dieser Hinsicht dann doch relativ konventionellen Schluss. Den Sieg beim diesjährigen „American Beauty“-Remix-Contest haben die Brüder Martini allerdings souverän für sich verbucht.

- Andreas Rauscher


Filmfest München: Terry Gilliam's Flying Imaginarium

Den Höhepunkt des ersten Festival-Wochenendes bildete Terry Gilliams „The Imaginarium of Dr. Parnassus“. Dem Regisseur von Klassikern des neueren phantastischen Films wie „Time Bandits“ und „Brazil“ gelang eine bildgewaltige Urban Fantasy, die eine treffsichere und gegenwartsbezogene Alternative zum martialischen Eskapismus anderer Vertreter des Genres entwirft. Für die Außenseiter in Gilliams Filmen stellen die phantastischen Welten nicht ein von raunenden Schicksalsmächten beherrschtes Schlachtfeld zwischen Gut und Böse dar, sondern bieten einen subversiven Ausweg aus einer von Ignoranz und Vorurteilen beherrschten Alltagstristesse. In den Seitenhieben auf halbherzige Ablasszahlungen und den sentimentalen Betroffenheitskitsch der Oberschicht, sowie einer herrlich absurden Reise in das Unterbewusstsein großspuriger Vorstadtgangster schließt Terry Gilliam in Sachen satirischer Treffsicherheit indirekt an die Themen seiner Monty Python-Zeit an.

Überhaupt erinnern die digitalen (Alp-)Traumwelten, die sich in Anlehnung an Lewis Carroll hinter den Spiegeln des Schaustellers Doctor Parnassus (Christopher Plummer) finden, über weite Strecken an Gilliams Animationen für den Flying Circus. Im Unterschied zu einer Vielzahl seiner Kollegen schafft er es, die Möglichkeiten der digitalen Tricktechnik konsequent mit seiner künstlerischen Handschrift zu kombinieren, ohne den CGI-Hype im Positiven, wie im Negativen wichtiger zu nehmen, als er tatsächlich ist.

Nicht nur hinsichtlich der gemeinsamen Vorliebe für Lewis Carroll, ergänzen sich die Filme der Londoner Exil-Amerikaner Terry Gilliam und Tim Burton immer stärker, im anschließenden Publikumsgespräch äußerte der Ex-Python den Wunsch, sein Kollege solle ihm bei der Verfilmung von „Alice in Wonderland“ noch ein paar Seiten aus der Vorlage für zukünftige Filme übrig lassen. Beide arbeiten, ebenso wie Guillermo Del Toro und Peter Jackson, als Fantasy-Auteurs, die einem sich gerne in regressiven Sackgassen verlaufendem Genre neue Impulse verleihen. Durch ihre Arbeiten, die eine deutliche Sympathie für Außenseiter und Genre-Dekonstruktionen aller Art demonstrieren, haben sie beide familienähnliche Ensembles um sich versammelt, bei denen es wie im Fall von Johnny Depp immer wieder zu personellen Überschneidungen kommen kann.

Als Ensemblestück markiert „The Imaginarium of Doctor Parnassus“ auch eine berührende Abschiedsvorstellung und Hommage für den während der Dreharbeiten verstorbenen Heath Ledger, dessen filmisches Erbe sich nicht mehr alleine auf die brillante Tour-de-Force als Joker in „The Dark Knight“ beschränkt. Seine Freunde und Kollegen Johnny Depp, Colin Farrell und Jude Law vollendeten die Geschichte um einen Jahrhunderte zuvor geschlossenen Pakt mit dem Teufel, dessen Tribut im London der Gegenwart eingefordert wird. Das wechselnde Erscheinungsbild des Protagonisten, der sich Parnassus' Truppe anschließt, ergänzt sich unmittelbar mit dessen Absicht, durch ein ständiges Maskenspiel seinem Schicksal zu entkommen. Den diabolischen Advokaten, dem es immer wieder gelingt Parnassus zum Leid seiner Gefährten zu neuen Wetten zu verführen, spielt Singer-Songwriter-Multitalent Tom Waits als stilbewussten Dandy. Abgerundet wird das Ensemble durch Verne Troyer als zynisches, gutes Gewissen Percy, den Newcomer Andrew Garfield als idealistischen Romantiker und die Schauspielerin Lily Cole als Parnassus' von finsteren Mächten umworbene Tochter.

Obwohl die Geschichte an klassische Themen der Phantastik, laut Gilliam, „stories, that the modern world is not interested in anymore“, anknüpft, steht nicht die Fortschreibung tradierter Heldenreisen, sondern die Entdeckung von Ambivalenzen und neuen Perspektiven im Mittelpunkt, oder wie der Elder Statesman der Anarcho-Phantastik selbst erläuterte: „I don’t know if you always lose playing with the devil.“ Auch den Bezug zum London der Gegenwart verliert Gilliam nie aus den Augen. Darin besteht ein zentraler Unterschied zu Hollywood-Decepticons wie Michael Bay, der immerhin inzwischen anstelle von reaktionärem Action-Schrott inzwischen pathetischen Action-Schrott mit digital animierten Robotern fabriziert.

In bester Python-Tradition demonstrieren Gilliam und sein Ensemble mit „Doctor Parnassus“, dass treffsicherer und sophisticateter Sarkasmus das Prinzip Aufklärung nicht negiert, sondern dialektisch gebrochen fortsetzt. Dazu gehört auch die scheinbar unerschöpfliche Ausdauer des Regisseurs, der die Tragödie der Produktionsgeschichte in einen künstlerischen Triumph verwandelt hat. Seit den Auseinandersetzungen um „Brazil“ nimmt er immer wieder den Kampf gegen Windmühlenflügel auf. Nächstes Jahr auch wieder in La Mancha, hoffentlich ohne dass dieses Mal beim zweiten Anlauf das vor zehn Jahren nach wenigen Drehtagen gescheiterte Don Quijote-Projekt wieder verloren geht. Gewohnt Gelassen ergänzt Gilliam am Ende der Gesprächsrunde: „Let's hope it works as well as the first time... or wait, maybe better not.“

- Andreas Rauscher

Filmfest München - Pressebetreuung

Das Filmfest München ist ein Publikumsfestival. Und das ist auch gut so.
Das bedeutet aber anscheinend auch, dass die Medienberichterstatter ein bisschen, nun ja, hintangestellt werden. Michael Manns "Public Enemies" etwa, auf den die Filmfestmacher so stolz sind, wird in nur einer Vorstellung gezeigt, die zugleich das deutsche Premierenfest des Filmes sein wird; ein Kartenkontingent für Journalisten ist aber anscheinend nicht vorgesehen; oder dieses war so klein, dass vielleicht eine Handvoll Journalisten, die heute früh genug aufgestanden sind, um sich Karten zu sichern, die vielleicht vor den Kassen übernachtet haben, noch reingekommen sind.

Ein gleiches sind die diesjährigen Filmfesttaschen, keine schicken Umhängetaschen mit eingebauten Ordnungsprinzip - hier Block, dort Programmheft, dort die Stifte -, wie es gute Tradition ist, sondern eine riesige Plastiktüten, in die man alles reinschmeißen muss und nichts mehr findet.

Andererseits: Vielleicht wurde diese Tasche extra für Gesine Danckwarts Film "UmdeinLeben" angeschafft, der sechs Frauenmonologe zusammenführt in einem Verfahren, das Danckwart "permativ" nennt. Das ist natürlich eigentlich nur einer dieser Inszenatoren-Neologismen, die was ganz Neues, Avantgardistisches suggerieren; was sich aber eben als doch nicht sooo originell und kreativ herausstellt. Sally Potter hat mit ihrem auf der Berlinale vorgestellten "Rage" etwas nicht ganz Unähnliches gemacht. Danckwart lässt ihre Frauen reden, reden und reden, sie reden sich um Kopf und Kragen und tauchen dabei an nur wenigen Schauplätzen auf, und immer wieder auch in einem weißen Raum; womit die Realität des Milieus, ihrer Umwelt abstrahiert werden soll; was dem ganzen auch einen starken Hauch des Theaterhaften gibt (Danckwart kommt vom Theater, koproduziert wurde der Film (konsequenterweise) auch von Theaterkanal). Streams of consciousness sind das, hat schon James Joyce gemacht, hier sind es sechs verzweifelte Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, die in unvollständigen, abgehackten Gedankensätzen ihre Befindlichkeiten herausstoßen von Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit und Karriere-Ellbogenkonkurrenz und so.
Und das besondere: ich habe das zumindest zu einem Teil auch verstehen können; habe es nicht ganz furchtbar gefunden. Und ich meine: ich bin in den letzten Tagen gereift, habe eine Entwicklung durchgemacht, die mich die weibliche Seite des Lebens gelehrt hat, ein wenig wenigstens. Warum? Weil es in meiner Filmfesttasche ganz genau so zugeht wie in den Köpfen der sechs Frauen von Gesine Danckwart.

Harald Mühlbeyer

Filmfest München: The Artist as an Old Man

Zunächst sollte ich vielleicht aus PR-Gründen noch erwähnen, dass im Dezember, pünktlich zum "Parnassus"-Start, ein Buch über Terry Gilliam herauskommen wird, das einzige in deutscher Sprache; inklusive einer Analyse des aktuellen Films... Dieser zweite Band der Edition Screenshot (nach Bernd Zywietz' Buch über M. Night Shyamalan) wird "Perception is a Strange Thing. Terry Gilliam und seine Filme" heißen. Der Autor möchte hier ungenannt bleiben, räusperräusper...

Was man von Takeshi Kitano halten soll, was er will, das man von ihm hält, ist nie ganz klar; das führt ihn in den Bereich des Grotesken. Sein neuer Film "Achilles and the Tortoise" ist Porträt eines Künstlers als Kind, junger Mann, alter Mann; zugleich ein Melodram; zugleich Psychoporträt; zugleich Komödie; zugleich Satire auf den Kunstbetrieb. Da ist das verwöhnte Kind reicher Eltern, das von allen gelobt wird, weil es so gut malen kann (für ein Kind, wohlgemerkt); das dadurch seine Liebe zur Malerei entdeckt und nur noch am Malen ist - keiner sagt was, es ist ja reich. Dann verarmen die Eltern, begehen Selbstmord, und Machisu malt noch immer.

Als junger Mann kommt er zur Kunstakademie und lernt endlich die Kunstgeschichte kennen wie auch zeitgenössisches Action-Painting. Bei allem macht er mit, handwerklich ganz gut, aber eben nicht wirklich talentiert - das wird die große Tragik seines Lebens sein: dass er die Kunst liebt, ein Maler werden will, aber diesen Traum niemals erreicht. Als alter Mann (von Kitano selbst gespielt) verliert er seine Tochter in der Prostitution, auch seine Frau, die zunächst alles mitmacht aus Liebe zur Kunst und zum besessenen Gatten. Der nur seine Bilder sieht - und dabei jede Originalität vermissen lässt. Der sich durch die Kunstgeschichte durch imitiert, kopiert, pastichisiert und dabei niemals auf einen grünen Zweig kommt.
Das ist an sich schon eine schön tragische Geschichte von der Besessenheit, die niemals Erfüllung erlangt; und es ist eine bitterböse Komödie voll absurdem, satirischem, unsinnigen Witz. Wie er stets strebend sich bemüht, und es bringt nichts! Das Actionpainting mit farbeimerbeladenem Fahrrad gegen eine Leinwand! Schließlich mit dem Auto - inklusive erstem Todesfall für die Kunst. Wie er dann die Meister kopiert, Miro, Klee, Hundertwasser; und wenn er Lob für eine einzige eigene Arbeit bekommt, kopiert er auch sich selbst. Wie er Konzeptkunst probiert, Allegorien auf die Missstände der Welt auf die Leinwand bringt, die Metapher aber nie so recht hinkriegt!

Und dann ein Fahrradunfall, bei dem der Radfahrer Fahrerflucht begeht, das Auto aber auf dem Kopf steht, mit einem Sterbenden, der aus dem Fenster hängt: das ist ein surreal-absurdes Bild, das Takeshi Kitano selbst arrangiert hat, außerhalb der Künstlersphäre innerhalb seiner filmischen Welt. Und damit zeigt er: all die unoriginellen, epigonenhaften Gemälde im Film - die von Kitano selbst stammen - zeigen zwar die Tragik des Untalentierten; doch Kitano hat daraus einen durchaus originellen Film gedreht, der tatsächlich sowas wie echte Kunst ist. Absurd witzig und voll innerer Tragik. Oder vielleicht doch nur eine Quatsch-Biographie, die so tut als ob?

Harald Mühlbeyer

Filmfest München - Blown away

Unbeschreiblich. Einfach unglaublich.
Terry Gilliam vollbringt Leinwand-Wunder: Bildwelten, wie man sie noch nie gesehen hat, wie man sie auch nie wieder sehen wird, von einem anderen Regisseur sowieso nicht, von Gilliam wahrscheinlich auch nicht - er hat es ja jetzt vollbracht, aus sich herausgeholt, die Phantasie vom "Imaginarium of Dr. Parnassus". Nein, ich will gar nicht über diese Welten im inneren von Gilliams Figuren schreiben; man kann es gar nicht. Man muss es sehen. Wie hier tatsächlich Gilliam das Kunststück fertigbringt, sich soweit in seine Figuren zu versetzen, dass er nicht nur weiß, was sie denken, sondern auch, wie dieses Denken aussieht - und damit für jeden, der ins Imaginarium hinter dem Spiegel eintaucht eine ganz eigene Welt erschafft, die einfach... wie soll ich sagen... die einfach ist.
Und ja: es funktioniert, obwohl Heath Ledger in diesem Film von J. Depp, J. Law und C. Farrell ersetzt wird. Es ist einfach gut, wenn man einen Zauberspiegel dabei hat...
Dazu kommt eine Geschichte, die so dick ist, dass man sie beim ersten Mal sehen gar nicht schlucken kann (ich hab den Film deshalb gleich zweimal gesehen). Über Unsterblichkeit, über Vater und Tochter, über das ewige Geschichtenerzählen, über Teufelspakte, über Entscheidungen, die man treffen muss, über das Ausweichen vor solchen Entscheidungen. Und so weiter. Und alles fügt sich zusammen, überdimensional, unfassbar - aber so ist das mit Monumenten.

Harald Mühlbeyer (noch immer hin und weg)


PS: Barbet Schroeder hat einen interessanten Film gemacht, interessant in seinem Scheitern darin, was er eigentlich sein will. Ein Whodunnit nämlich. Aber wenn der Film "Das Geheimnis der Geisha" heißt, es darin um einen französischen Kriminal-Bestsellerautoren geht, der nach Japan reist und dort von einem geheimnisvollen japanischen Kriminal-Bestsellerautoren verfolgt wird, den noch niemals irgendjemand zu Gesicht bekommen hat; wenn der Franzose sich dabei in eine Geisha verliebt, die ebenfalls Drohbriefe von dem mysteriösen Bösewicht bekommt - dann ist die Preisfrage: was ist wohl das titelgebende Geheimnis? Antworten bitte an Schroeder, c/o Filmfest München.

Filmfest München - vor dem Anfang

Nein. Für mich hat das Münchner Filmfest noch nicht begonnen. Denn die Eröffnungsveranstaltung gestern Abend war nur für geladene Gäste zugänglich; CSU wahrscheinlich und ähnliches.
Für Journalisten geht es heute los, genauer: in einer starken Stunde, um 10 Uhr morgens, mit der ersten Pressevorführung.
Nein: gestern habe ich etwas ganz anderes erlebt. Eine Nacht im Grusel-Schloss sozusagen: Im Filmmuseum wurden drei Filme von William Castle gezeigt, der bekannt dafür ist, dass seine Filme von der Leinwand herunter direkt in den Kinosaal steigen. Mit einfallsreichen Gimmicks inszenierte er nicht nur seine Filme, sondern auch deren Vorführungen - und mit viel Spaß hat Bruce Goldstein diese Kinospäßchen nach inszeniert. Vor der Vorführung konnte man eine Versicherungspolice abschließen, für den Todesfall vor Angst im Kinosaal; Blutdruckmessen inklusive. Und während "The Tingler" flog ein Skelett durch den Kinosaal, Stühle vibrierten, und vor allem griff der Tingler persönlich die Kinozuschauer an... Und: so einen schönen LSD-Rausch habe ich selten auf der Leinwand erlebt - weniger, weil sie dabei mit bunten Taschenlampenstrahlen beleuchtet wurde, eher, weil hier Vincent Price mal wirklich so etwas wie Ausdruck im Gesicht hatte... "The Tingler" ist an sich ein totaler Mistfilm, in dem so etwas wie Affekte und Emotionen (zum Beispiel beim Tod einer nahestehenden Person) nicht vorkommen, der in der Tat nicht auf der Leinwand funktioniert, sondern nur als Vehikel für die Gimmicks.

Mit Gimmicks zurückgehalten hat sich Goldstein bei den beiden anderen Filme: "The Straightjacket" und "The Nightwalker", beide geschrieben von "Psycho"-Autor Robert Bloch. Ersterer ist tatsächlich eine Art "Psycho"-Remake, letzterer führt uns in die Alpträume einer Witwe - beide sind höchst effektvoll inszeniert, gerade wegen Castles altmodischer Herangehensweise. Er spielt mit den Bildern, erzeugt per Überblendungen Verbindungen, lässt über Blicke erzählen, über Körperhaltungen; das alles natürlich auf B-Movie-Standart, aber wirkungsvoll. Man merkt, dass Castle an Stummfilmen geschult ist (im "Tingler" ist ein Stummfilmkino ein wichtiger Handlungsort). Und er weiß, wie er kleine Details einsetzen muss, damit der Zuschauer hineingezogen wird in seine Geschichten von Täuschungen und Intrigen, von Einsamkeit und Besessenheit. Joan Crawford und Barbara Stanwyck spielen hier Altersrollen - und wie sie ihre Stärke ausspielen inmitten von existentiellen Notlagen, das ist großartig. Die Crawford, die gegenüber einem Doktor beweisen will, dass sie nicht verrückt ist und gerade durch ihre hyperaktive Nervosität auffällt; wie sie ein Streichholz auf einer Jazzplatte auf dem Plattenspieler anzündet...

Harald Mühlbeyer

Festung Amerika - „Crossing Over“

von Claudia Bosch


USA 2009. Regie: Wayne Kramer. Buch: Wayne Kramer. Kamera: Jim Whitaker. Musik: Mark Isham. Schnitt: Arthur Coburn. Produktion: C.O. Films, The Kennedy-Marshall Company, The Weinstein Company, Movie Prose, Road Rebel. Produzenten: Wayne Kramer, Frank Marshall, Gregg Taylor.

Darsteller: Harrison Ford (Max Brogan), Ray Liotta (Cole Frankel), Ashley Judd (Denise Frankel) Jim Sturgess (Gavin Kossef), Cliff Curtis (Hamid Baraheri), Alice Braga (Mireya Sanchez), Alice Eve (Claire Shepard), Justin Chon (Yong Kim), Summer Bishil (Taslima Jahangir) Melody Khazae (Zahra Baraheri).

Laufzeit: 113 Min.

Verleih: Senator.

Kinostart: 25.06.2009.


Seit Jahrhunderten pilgern Auswanderer in die Vereinigten Staaten, das ‛Land der unbegrenzten Möglichkeiten’, in der Hoffnung dort ein besseres Leben führen zu können. Die Realität sieht jedoch häufig anders aus, denn um seinen persönlichen ‛American Dream’ überhaupt in Angriff nehmen zu können, muss man erst einmal ins Land gelangen, und wichtiger noch, eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung erhalten, was spätestens seit dem 11.September eine schier unüberwindbare Hürde für jeden potentiellen Einwanderer darstellt.


Der Film „Crossing Over“ verfolgt das Schicksal von Immigranten unterschiedlicher Ethnien, die alle nur ein Ziel vor Augen haben: die Einbürgerung. Ihre Lebenswege kreuzen sich mit denen einiger US-Bürger, die sie entweder bei ihren Bestrebungen unterstützen oder diese zu verhindern suchen. So trifft man zum Beispiel auf den Beamten Max Brogan (Harrison Ford), der für die Festnahmen illegaler Einwanderer verantwortlich ist. Im Zuge einer Razzia fleht ihn eine verhaftete junge Mexikanerin (Alice Braga) an, ihren kleinen Sohn von der Babysitterin abzuholen, da diese das Kind bei Nichtbezahlung auf die Straße setzen wird. Max wehrt zunächst ab, doch sein schlechtes Gewissen lässt ihm keine Ruhe, und so geht er der Sache nach. Zudem belastet ihn der Verdacht, sein Kollege Hamid (Cliff Curtis) und dessen arabische Familie könnten in den Mord an Hamids nicht ‛standesgemäß’ lebender Schwester verwickelt sein.


Dann wären da noch ein nicht-religiöser Jude, der seinen Job an einer jüdischen Schule nur dann behalten darf, wenn er die zuständigen Behörden davon überzeugen kann sich bestens mit der Sprache und der Kultur seines Volkes auszukennen; eine Anwältin, die illegale Einwanderer verteidigt; eine australische Möchtegern-Schauspielerin, die eine Affäre mit einem Beamten anfängt, der ihr als Gegenleistung die Ausstellung einer Greencard verspricht; ein asiatischer Halbstarker, der sich von einer Jugendgang in einen verhängnisvollen Überfall verwickeln lässt; und eine muslimische Schülerin, die in einem Referat regelrecht fanatisch terroristische Anschläge verteidigt und dadurch ins Visier des FBI gerät.


Wayne Kramer, der Regisseur von The Cooler“ (2003) und „Running Scared“ (2006), legt sein Drehbuch kaleidoskopisch an, indem sich die verschiedenen Erzählstränge hier und da überschneiden, was jedoch nicht sonderlich relevant für die Handlung ist. Der Fokus liegt klar auf den Figuren und deren Problemen, die sie, nebenbei bemerkt, teilweise selbst verschulden. Ganz offensichtlich gibt sich Kramer die größte Mühe beim Zuschauer um Mitleid und Verständnis für seine Protagonisten zu heischen, doch das permanente Drücken auf die Tränendrüse – auch durch die melancholische Musik – geht nach hinten los, und man fragt sich vielmehr, wieso überhaupt jemand in dieses hässliche, menschenverachtende Land möchte, das Einwanderern das Leben zur Hölle macht – denn das ist es, was der Regisseur mit seiner Inszenierung suggeriert. Sämtliche Bilder, die man in diesem Film von Los Angeles präsentiert bekommt stoßen eher ab, als dass sie irgendeinen Reiz hervorrufen würden. Alles wird in erdige, graue Töne getaucht, zahlreiche Szenen spielen nachts und die unpersönlichen, trostlosen Schauplätze lassen gar eine gewisse Lebensfeindlichkeit aufkommen.


Die übermäßig eingesetzten langsamen Flugaufnahmen über die Stadt erzeugen den Eindruck die ganze Gegend würde nur aus Straßen bestehen. Kramer greift darauf zurück, um zwischen den einzelnen Handlungslinien zu wechseln, doch diese aufsichtigen Übergänge wirken weder elegant, noch sinnvoll und sorgen lediglich dafür, dass der Film unschön in die Länge gezogen wird.


Auch Harrison Ford enttäuscht. Allerdings ist diese Tatsache nicht dem Schauspieler anzulasten, sondern seiner Rolle, die ihm lediglich zugesteht mit Leidensmiene herumzuschleichen, herumzusitzen und herumzufahren. Ein paar Gespräche darf Max Brogan auch noch führen, allerdings sind diese von eher langweiliger Natur und scheinen ausschließlich dazu zu dienen die ein oder andere handlungsrelevante Information zu streuen. Seinem Charakter fehlt die Tiefe. Zwar erfährt man, dass er eine erwachsene Tochter hat, zu der kein Kontakt besteht, doch dieses Detail aus seinem Leben reicht nicht um eine interessante Figur mit Ecken und Kanten zu ergeben. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Protagonisten, da schon allein durch ihre Vielzahl gar nicht die Möglichkeit für feine Figurenzeichnungen besteht.


Kramer scheint geradezu krampfhaft Missstände im US-Einwanderungssystem anprangern zu wollen und sorgt dafür, dass sich stets etwas unangenehm Anklagendes über die Atmosphäre legt, das sich leider viel zu oft mit Rührseligkeit mischt, zum Beispiel, als der jungen Muslimin wegen ihrer vermeintlichen Sympathie zu islamistischen Terroristen die Abschiebung droht. Zynischen Anspielungen kommen hier ebenso zum Tragen wie in der finalen Vereidigungszeremonie. Irrwitzigerweise befinden sich unter den neuen US-Bürgern nämlich auch solche, die der Staat ob ihrer kriminellen Machenschaften ganz gewiss nicht im Land haben möchte. Während dieser Einbürgerungsfeier wird dann auch der Mörder von Hamids Schwester überführt, was leider genauso konstruiert vonstattengeht wie die gesamte Handlung.


Wayne Kramer hat leider die Chance verpasst die zweifellos auseinandersetzungswürdige Thematik in ein eindringliches, glaubhaftes Drama zu verwandeln, das den Zuschauer für die Situation der Einwanderer sensibilisiert.

Die Mona Lisa der Scheibenwischer - "Flash of Genius"

von Claudia Bosch

„Flash of Genius“
USA 2008. Regie: Marc Abraham. Buch: Philip Railsback basierend auf dem Artikel „The Flash of Genius“ von John Seabrook. Kamera: Dante Spinotti. Musik: Aaron Zigman. Schnitt: Jill Savitt. Produktion: Universal Pic., Spyglass Ent., Strike Ent., Intermittent Prod. Produzenten: Gary Barber, Roger Birnbaum, Michael Lieber.
Darsteller: Greg Kinnear (Robert Kearns), Lauren Graham (Phyllis Kearns), Dermot Mulroney (Gil Privick), Alan Alda (Gregory Lawson).
Laufzeit: 119 Min.
Verleih: Kinowelt.
Kinostart: 25.06.2009.


Mal ehrlich, wann macht man sich schon Gedanken über die Entstehungsgeschichte alltäglicher Gebrauchsgegenstände? Wohl eher selten, schließlich gibt es weitaus wichtigere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen muss. Ist man jedoch ein Erfinder, führt schon so mancher Geistesblitz dazu, dass man fortan an nichts anderes mehr denken kann. Robert Kearns (Greg Kinnear) ist so jemand. Während einer regnerischen Autofahrt im Detroit der sechziger Jahre ärgert sich der Professor für Ingenieurwesen darüber, den Scheibenwischer seines Wagens stets mechanisch bedienen zu müssen und außerdem nur eine einzige Wischgeschwindigkeit zu haben, was bei Starkregen gefährlich werden kann, da man kaum noch etwas sieht. Und so beginnt sich Kearns zu fragen, wieso ein Scheibenwischer eigentlich nicht funktionieren kann wie ein Auge, oder anders gesagt, wieso er nicht blinzeln kann.

Mit dieser Überlegung als Ausgangspunkt macht sich der passionierte Tüftler ans Werk und entwickelt tatsächlich einen elektrisch betriebenen Scheibenwischer – seine ‛Mona Lisa’ –, der auf die jeweilige Regenintensität reagiert und den Wischrhythmus automatisch anpasst. Von seiner Frau und den sechs Kindern tatkräftig unterstützt, geht er mit seinem Geschäftspartner Gil Privick (Dermot Mulroney) das Wagnis ein, seine Erfindung dem Autokonzern Ford vorzustellen. Bei einer Testvorführung zeigen sich die Ford-Ingenieure beeindruckt und nach Verhandlungen mit leitenden Funktionären scheint einer Zusammenarbeit nichts mehr im Wege zu stehen.

Robert Kearns will die Fertigung der Scheibenwischer unbedingt selbst übernehmen und investiert in eine Halle. Und dann, völlig überraschend, zeigt Ford keinerlei Interesse mehr an dem Deal, was bei Kearns berechtige Existenzsorgen aufkommen lässt. Als wäre der Schock über diese Enttäuschung nicht schon groß genug, stechen ihm kurze Zeit später mehrere nagelneue Ford-Modelle mit elektrischen Intervall-Scheibenwischern ins Auge. Entsetzt stellt der Universitätsprofessor Nachforschungen an und ist sich schließlich sicher, dass Ford seine Erfindung gestohlen hat.

Trotz aller Widrigkeiten beschließt der Familienvater gegen den Automobilriesen vorzugehen – ein Kampf, den er eigentlich nicht gewinnen kann. Ford hat nicht nur die besseren Anwälte, sondern auch die finanziellen Mittel, um einen langen Rechtsstreit zu führen. Doch Kearns verfolgt unbeirrbar seinen Weg – vielleicht sogar zu rigoros, denn der Prozess kostet ihn nicht nur seine besten Jahre, sondern auch seine Familie. Und so muss sich am Ende nicht nur er, sondern auch der Zuschauer die berechtigte Frage stellen: „War es das alles wert?“

Greg Kinnear, bekannt aus Filmen wie „Sabrina“ (1995, Sidney Pollack) oder „Besser geht’s nicht“ (1997, James L. Brooks), beweist bei der Darstellung von Robert Kearns Gefühlsleben ein gutes Gespür. Glaubhaft gelingt ihm die Gratwanderung zwischen zuversichtlicher Euphorie, tiefer Depression und wiederkehrendem Kampfgeist. Man kann gut nachvollziehen, dass der Universitätsprofessor die Welt nicht mehr versteht. Schlimm genug, dass man ihm so mir nichts dir nichts die Erfindung klaut, er wird nun auch noch als Lügner hingestellt, der sich zu unrecht bereichern möchte. Er steckt also nicht nur beruflich gesehen in einem Dilemma, sondern auch als Familienvater. Denn wie soll er seine Kinder zu Ehrlichkeit und Gerechtigkeit erziehen, wenn er sich nicht gegen das ihm widerfahrene Unrecht zur Wehr setzt? Im Vergleich zu der präzise gezeichneten Hauptfigur bleiben die Nebenfiguren eher blass – einzige Ausnahme Alan Alda in der Rolle von Kearns Anwalt. Er tritt nur in wenigen Szenen in Erscheinung, doch diese zählen zu den stärksten des Films.

„Flash of Genius“ beruht auf einer wahren Begebenheit. Das Wissen darum macht die an sich eher dröge Geschichte ein wenig spannender, aber dennoch ist die Thematik einfach viel zu uninteressant, als das man daraus einen unterhaltsamen Film machen könnte. Sicher, das dramaturgische Grundkonzept „ein Einzelner gegen einen schier unbesiegbaren Gegner“ gehört zu den bevorzugten Stoffen des Hollywoodkinos, und ähnlich geartete Biopics wie „Erin Brockovitch“ (2000, Steven Soderbergh) stießen bei Kritik und Publikum auf positive Resonanz, doch hier geht es um einen Mann, seinen Scheibenwischer und einen Patentstreit, was für einen Kinofilm schlichtweg einen zu dürftiger Stoff abgibt.

Insbesondere der finale Teil, in dem sich das Biopic in ein „courtroom drama“ verwandelt, zieht den Film unschön in die Länge. Zwar stellt der Prozess gewissermaßen den Höhepunkt der Story dar, doch durch die langsame Erzählweise von Regisseur Marc Abraham rutscht man schon bevor diese Sequenz überhaupt begonnen hat unruhig im Sessel hin und her.

Die atmosphärischsten Momente gelingen immer dann, wenn Marc Abraham den Regen als Stilmittel einsetzt, beispielsweise als die ganze Familiebande während eines Gewitterschauers aufgedreht nach draußen stürzt, um endlich die neue Erfindung auszuprobieren. Selten herrscht im Film eine derart ausgelassene Leichtigkeit vor. Später dann, als die nagelneuen Sportwagen im strömenden Regen an Kearns vorbeifahren und er realisiert, dass jene mit seiner technischen Entwicklung ausgestattet sind, wirken die Bilder wie aus einem Film Noir entnommen. Von dieser Sequenz an verdüstert sich die Gesamtstimmung des Films. In der letzten Einstellung des Films erzeugt der Regisseur ebenfalls mit Hilfe des feuchten Nasses ein aussagekräftiges Bild, das nachhaltig in Erinnerung bleibt.

„Flash of Genius“ ist keinesfalls ein schlechter Film, auch die Inszenierung kann sich sehen lassen, aber trotzdem wird man ihn sich wohl kein zweites Mal zu Gemüte führen, weil er einen trotz des hervorragend agierenden Hauptdarstellers nicht ausreichend gefangen nimmt.

Depardieu bei Chabrol: "Kommissar Bellamy"

von Harald Mühlbeyer

"Kommissar Bellamy"/"Bellamy".
Frankreich 2009. Regie: Claude Chabrol. Drehbuch: Claude Chabrol, Odile Barsky. Kamea: Eduardo Serra. Musik: Matthieu Chabrol. Produktion: Patrick Godeau.
Verleih: Concorde.
Länge: 110 Minuten.
Kinostart: 09.07.2009


Kommissar Paul Bellamy ist bei jedermann bekannt, ein respektierter Kriminaler, ein guter Ehemann, den es auch nach langen Jahren nach seiner Frau gelüstet (und sie nach ihm), ein Mann, der alles hat, was man sich wünschen kann. Ein Mann des Glücks. Für den alles gut ist, wie es ist. Er hasst Reisen, Veränderung. Und er hasst seinen Bruder Jacques, der jetzt in seinem Urlaub vor der Tür steht.

Bellamy ist ein komplexer Charakter, den wir im Lauf des Films kennenlernen. Eine Hommage an George Simenon, wie Chabrol sagt, und ganz zugeschnitten auf Gerard Depardieu, den der Regisseur als zutiefst simenonesken Charakter bezeichnet. Um den Kommissar geht es in dem Film ganz in der Hauptsache, um ihn, der an zwei Fronten kämpft, freiwillig: der sich an seinem Bruder abarbeitet, der bei ihm wohnt, mit der er irgendwie zurechtkommen muss. Und der sich um die Aufdeckung eines Versicherungsschwindels bemüht, der geplatzt ist, und dessen untergetauchter Verursacher nun seinen Schutz sucht.

Das hat was von einem Kriminalfall. Doch der ist ganz schnell abgehakt, gelöst, bald ist alles klar, wie der Schwindel vor sich ging, warum Emile Leullet alias Noel Gentil ihn begangen hat, inkl. Todesfall. Auch, wer der wirkliche Tote ist in dem verunglückten Auto, den der Täter als er selbst ausgegeben hat. Bis ihn ein DNS-Test der Lüge überführte.

Leider verlegt sich Chabrol also ganz auf die innere Handlung, lässt das oberflächliche Geschehen zur Nebensache werden. Vielleicht ist das ironisch gemeint, dass die gewohnte Kriminal-Whodunit-Story unterlaufen wird. Aber wenn, dann wird der Witz an der Ironie nicht ganz klar; und auch nicht pointiert herausgearbeitet. Wie ohnehin der Film allermeistens den bösen, bissigen, auf den Punkt gebrachten Humor missen lässt, den man sonst von Chabrol kennt. Außer in ein paar Szenen, am ehesten, wenn der Anwalt im Gerichtssaal als Plädoyer einen George-Brassens-Chanson zum Besten gibt…

Chabrol inszeniert gewohnt souverän, seine Darsteller sind ausgezeichnet gecastet, spielen mühelos jede Nuance ihres Charakters mit. Das gilt für den undurchschaubaren Versicherungsschwindler mit beinahe drei Identitäten ebenso wir für den wilden Bruder Jacques, der doch nur schwach und labil ist und Hilfe braucht. Und natürlich für Paul Bellamy, den Depardieu ganz souverän, quasi en passant, verkörpert, der so glücklich ist und es mit Unglücklichen, Verzweifelten zu tun bekommt, der wie nebenbei im Urlaub einen Fall löst, sich aber seines Bruders nicht annehmen kann. Der am Ende vielleicht sogar den Bitten seiner Frau nachgibt und mit ihr mal ganz woanders hinfährt.

München Tag 1

Hier erscheint ab nächster Woche der SCREENSHOT Blog zum Filmfestival München 2009 (27.6 - 04.7.)

Unsere Redakteure Harald Mühlbeyer und Andreas Rauscher berichte - fast - live aus der Hauptstadt der Bayern für Sie über Film und Filme.

Witze über Witze - Auf DVD: „Voll daneben – Gags mit Diether Krebs“

Von Harald Mühlbeyer

„Voll daneben – Gags mit Diether Krebs“ – Die komplette Serie
TV-Serie 1990-1991. Sechs Folgen á ca. 30 Minuten. Regie: Ulrich Stark.
Darsteller: Diether Krebs, Tilo Brückner, Werner Kreindl, Karin Heym, Dominique Horwitz, Peter Bongartz, Dieter Pfaff, Anja Schiller, Klaus Wennemann.
Label: ARD Video, Vertrieb: SHDM/Al!ve
Verkaufsstart: 15. 10. 2007


Dass der deutsche Humor zur Gemütlichkeit hinstrebe: Da muss was dran sein, wenn sowohl Thomas Koebner (in einem Aufsatz in „Über das Lachen“, herausgegeben von Wolfgang Hansen) als auch Hans-Dieter Gelfert (dessen Buch „Max und Monty. Kleine Geschichte des deutschen und englischen Humors“ sich sowieso jeder Komikaffine zu Gemüte führen sollte) diese These konstatieren. Komik in ihrer deutschen Ausprägung will vereinen zu einer großen (Volks?)Gemeinschaft, zumal in der massenmedialen Nachkriegs-BRD. Deren Beginn wir getrost auf den Rosenmontag 1948 festsetzen können, den Todestag Karl Valentins, der eine der Ausnahmen ist, die die Regel bestätigen.

Der Witz, der aus deutschen Landen kommt, ist nicht zersetzend, nicht subversiv, nicht einmal selbstironisch; er ist auch nicht makaber und schwarz, sondern er affirmiert, er versöhnt, er will Einheit herstellen. Wenn er satirisch oder ironisch spottet, dann so, dass es niemandem (auch nicht dem Angegriffenen) weh tut, und wenn er doch ein Opfer braucht, dann eines von außerhalb der Gemeinschaft. Deutscher Humor: das ist sanfte Heiterkeit, die lustig beschwingt daherkommen mag wie bei Heinz Erhardt oder deppert-doof wie bei den Lümmeln von der ersten Bank, die so angestrengt witzig sein wollen und doch nur schwitzig bleiben.

Interessanterweise finden sich andere Muster in der deutschen Komikrezeption, die schon immer den ungleich subversiveren, respektlosen britischen oder vor ’33 auch den selbstironischen jüdischen Humor schätzte. Was sich freilich auf der Produktionsseite kaum auswirkte, zu tief war der Einschnitt durch die Nazizeit, zu sehr strebte man in den Wirtschaftswunder-50ern nach biedermeierlicher Harmlosigkeit. Wo doch in den 20ern im Kabarett wie im Film (in der heute fast unbekannten und weit unterschätzten Tonfilmoperette der letzten Weimarer Jahre etwa) eine ganz andere, weitaus spitzig-spritzigere Spaßkultur zu blühen begann, die dann untergepflügt wurde.

Erst in den 70ern (und sicherlich unter dem Einfluss der jetzt gerade 40 Jahre alt gewordenen 68er-Generation) weichte die verhärtete Einkapselung in die etablierte Stammtischgemütlichkeit auf. Alfred Biolek produzierte zwei deutsche Monty-Python-Specials (die bezeichnenderweise heute gar nicht in Deutschland erhältlich sind), die Neue Frankfurter Schule um die Zeitschriften Pardon und später Titanic übte sich in Nonsens-Satire, Loriot persiflierte mit Noblesse sein eigenes TV-Medium (und entwickelte – Zufall oder nicht – einige Parallelen zum Monty-Python-Quatsch).
Ach ja, und gleichzeitig die vielen weiteren Versuche, eine neue Art von Humor zu schaffen, der dann aber doch immer eher in die schlüpfrige Zotenecke ging, bei den schweinigelnden „Insterburg & Co.“-Texten oder im WDR-„Klimbim“, der alte Witze neu auflegte und mit Ingrid-Steeger-Tittenschau vermengte. Statt sich in die Höhen der Metaebene zu wagen, stieg man hinab in die tiefsten Zonen der Zote. Und diese völlig unironisch gekaulauerten Anspielungen auf, huhu: Sex waren eben doch oft genug nur Ausdruck einer tief verwurzelten Verklemmtheit und gingen nicht einmal weit genug, um wirklich Wirkung zu zeigen. Im Karnevals-Hit (oder gar: Karneval-Shit, hihi) packt man die Heidi von hinten an den Schultern, denn da geht’s ja los mit ganz großen Schritten – aber eben, und das ist der Punkt: nicht mit ganz viel Getöse.

Und gleichzeitig bis in die 80er Jahre hinein: der gespielte Witz von Didi, Harald und Eddi, die doof in die Kamera gucken mussten, damit man überhaupt merkt, wann der Sketch seine Pointe erreicht hat, und noch bis heute kalauert sich Otto (das Gernhardt-Eilert-Knorr-Produkt) mit immergleichen Scherzen durch die Republik.
Und: Diether Krebs mit Beatrice Richter, später mit Iris Berben in „Sketchup“, einer Klamotten-Serie im wahren Wortsinn, ging es doch eigentlich nur um die ständig neuen Verkleidungen der Protagonisten – und (auch hier) um möglichst schiefzähnige Grimassen am Ende der Sketche.

Freilich: Ende der 80er setzte sich der Wandel allmählich durch; Helge Schneider wurde populär, und in „Schmidteinander“ war Harald Schmidt so gut wie nie mehr – nicht einmal in seinen späten Sat.1-Jahren konnte Schmidt je wieder an den höheren Blödsinn heranreichen, den er mit Herbert Feuerstein (der ja langjähriger Mad-Herausgeber war) schuf. Soll man hier das Stichwort von der Postmoderne einwerfen? Oder einfach konstatieren, dass sich der Witz nun auf eine andere Ebene verlagerte, weil er sich nicht nur dem Nonsens verpflichtet sah, sondern sich zudem der eigenen Grundlagen bewusst war? Was zu Antiwitzen führt, oder dazu, sich über die eigenen Witze vor Lachen auszuschütten, oder sich über die Witze selbst lustig zu machen, oder grundsätzlich mal jede Erwartung auf Unterhaltung zu unterlaufen. Vieles davon übrigens altbewährte Metatechniken, die schon Sigmund Freud (wenn auch nur in einer Fußnote) beschrieb und die ja auch für Monty Python grundsätzlich waren (die also auch in diesem Fall als Trendsetter – oder gar Zeitenwende – gelten dürfen).

Diether Krebs nun sitzt in „Voll daneben“, der Nachfolgeserie zu „Sketchup“ aus den Jahren 1990/1991, genau zwischen den Stühlen. Viele der darin enthaltenen Sketche (etwa die ostschleswigholsteinische Wildflugente) werden alljährlich im großen Silvester-Sketchfeuerwerk wiederholt, sie bedienen sich genau der traditionellen Muster, die einen heiteren Neuanfang zum Jahreswechsel (der natürlich möglichst alles beim Alten lässt) ermöglichen sollen. Schließlich müssen die deutschen Witzspiele den Zuschauer ja auch wieder besänftigen nach den Ausbünden an Nekrophilie, die im „Dinner for One“ lauern.

Doch dann ist da auch noch Harry Hunger, der beste Koch, der in breitem Hessisch seinen Klumpatsch zusammenmantscht, was aber alles nur Alibifunktion hat: eigentlich geht es um das lautstarke Ausbreiten von Ressentiments gegen alles Fremdländische – und das ist ja in gewissem Sinne eine nicht unexakte Beschreibung einer der Funktionen des gemütlichen, vereinigenden (und eben damit das Störende ausgrenzende) deutschen Humors. Da ist Pit Cock, des Teufels Steuerknüppel, der von seinem Pilotensitz aus die ältesten Fliegerwitze startet, eine massierte Breitseite, die schon allen wegen der Quantität des Qualitätsmangels selbstironisch wirkt. Und natürlich die Familie Ballerstaller, die Verkörperung des billigen Lachers (Erinnerungen werden wach an die montypythonschen Cheap Laughs von nebenan, Episode 35 in der 3. Staffel). Wenn einer ein Bier in der Hand hält, wird er auf die Uhr blicken und sich vollschütten. Wenn einer aus dem Fenster sieht, zerbirst die Scheibe. Wenn Frau Ballerstaller bügelt, klingelt das Telefon und sie verbrennt sich das Ohr. Der Sohn (Dominique Horwitz) ist immer auf dem Klo, und der Nachbar (Peter Bongartz), der ungleich klüger ist als die Ballerstallers, verwechselt beim Nachhausegehen mit Sicherheit die Haustür mit dem Wandschrank. Genüsslich werden hier die Lacher der althergebrachten Billig-Comedy persifliert, so dass sie selbst dem Witz preisgegeben sind; Running Gags, die den Witz überrennen; Beknacktheit nicht nur der Ballerstaller-Familie, sondern auch der Komik – und die war sich dessen vollauf bewusst.

Hier entwickelt sich eine Doppelbödigkeit, die in harschem Kontrast steht zu den ganz straight vorgebrachten anderen Gags derselben Serie: immer wieder Kneipengespräche, die alte Witze aufwärmt, bis sie so schal und abgestanden sind wie das Bier wirkt, das Diether Krebs und (zum Beispiel immer wieder dabei:) Werner Kreindl zu trinken vorgeben. Und nach einem Schnitt zum nächsten Sketch wird ein billiger Lacher genau dieser Bauart (wie man ihn auch wöchentlich im Lukullus – wahlweise: Bäckerblume – nachlesen kann) hinterrücks persifliert. Das ergibt eine reizvolle Reibung zwischen den Primärgags und den Metagags, die irgendwie berührungslos nebeneinander stehen, so dass heftiger Funkenschlag entsteht: weil das unbestimmte Bewusstsein der „Voll daneben“-Macher vorhanden ist, dass sie hier eigentlich ständig irgendwo zwischen bieder und reaktionär agieren. Was dann in der Selbstironie zwar nicht aufgehoben, aber immerhin mit einem Gegengewicht versehen wird. (War eine ähnliche dialektische Ambivalenz nicht auch der Anfang von Krebs’ TV-Karriere als Ekel-Alfred-Schwiegersohn, der sich zwar als linker Sozi gerierte, aber eigentlich ganz ähnliche Ressentiments hegte wie Schwiegerpapa Tetzlaff, der erzreaktionäre Spießer?)

Innerhalb der simplen Sketchreihe werden die eigenen Lacher verlacht: und deshalb ist „Voll daneben“ auch heute noch genießbar, im Gegensatz zu vielen anderen Prä-Comedian-Lustigkeits-Sendungen. Weil man nun nicht mehr ein Gestrüpp alter Bärte durchqueren muss, um an den puren Witz zu gelangen, sondern weil nun der Bart selbst dem Gespött freigegeben ist.
Zeitlosigkeit – das ist ein zu großes Wort; und dabei ist es doch irgendwie bemerkenswert, wie viele der Mitwirkenden vor der „Voll daneben“-Kamera inzwischen tot sind: Neben Krebs auch Kreindl und Klaus Wennemann. Und natürlich Rex Gildo, der auch mal in einem der Sketche auftaucht.


Die DVD können Sie in unserem Amazon-Shop bestellen.

Veranstaltungshinweis: Umerziehung der Umerzogenen

Am kommenden Mittwoch, den 24.06. wird um 19.00 Uhr im Hörsaal des Medienhauses der Mainzer Uni (Wallstraße 11) Professor Lutz Dammbeck mit seinem Vortrag "Umerziehung der Umerzogenen. Kybernetische Weltmodelle zwischen Kunst, Macht und Wissenschaft." sein neuestes Projekt zwischen Installation und Film vorstellen. Zuvor schon besteht am Dienstag, den 23.06. um 18.00 Uhr im Seminarraum des Medienhauses die Gelegenheit, seinen Film "Das Netz - Unabomber, LSD und Internet" (D 2003) zu sehen.

Zum Vortrag:
Für Lutz Dammbeck ist die Moderne ein Trümmerfeld. Wir bewegen uns durch sie hindurch, ohne den Bauplan zu erinnern. Ehemalige Avantgardekünstler werden in der heutigen Zeit zitiert, ohne ihren Veränderungswillen ernst zu nehmen. Gereinigt von allen Intentionen, bleiben so nur entkernte und auf Ästhetik reduzierte Gehäuse. „Umerziehung der Umerzogenen“, Dammbecks neuestes Projekt, ist „return to the past” und aktuelle Bestandsaufnahme zugleich.

Zum Film:
DAS NETZ – UNABOMBER, LSD UND INTERNET (D 2003, R/B: Lutz Dammbeck)

In seinem Dokumentarfilm über die Ursprünge des Internets folgt Lutz Dammbeck der Spur des Mathematik- Professors Ted Kaczynski, der seine glänzende akademische Karriere abrupt beendete, in die Wälder Montanas zog und zwischen 1978 und 1995 zum Bombenattentäter auf amerikanische Elite-Wissenschaftler wurde. Welche Rolle spielten hier Experimente mit der bewusstseinsverändernden Droge LSD, die damals an Hochbegabten (unter ihnen Kaczynski) ausgeführt wurden? Lutz Dammbeck traf sich mit Wissenschaftlern und Künstlern aus der Generation Kaczynskis: Pioniere der globalen Vernetzung, die von einer Utopie der Cyber-Gesellschaft träumten, in der die Grenzen zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen wirklichem und künstlichem Leben aufgehoben werden sollten.

Zur Person:
Lutz Dammbeck ist Professor und Leiter einer Projektklasse „Neue künstlerische Medien“ an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und arbeitet als Bildender Künstler und Filmemacher. Als Autor, Regisseur und Produzent realisierte er verschiedene Animations- und Experimentalfilme für die DEFA. Darüber hinaus verwirklichte er verschiedene Aktions- und intermediale Ausstellungsprojekte. So begann er bereits 1982 mit der Arbeit am "Herakles-Konzept", einem groß angelegten Projekt, das Malerei, Collagen, Installationen, Filme und Medieninszenierungen vereint und welches er bis ins Jahr 2002 verfolgte. Seit 1984 arbeitete er an Mediencollagen aus Malerei, Tanz, Film und Musik, u. a. für das Bauhaus Dessau und die Internationalen Musikfestspiele Dresden. 1997 nahm er u. a. an der Ausstellung "Deutschlandbilder" im Martin-Gropius-Bau Berlin und der Ausstellung "Das XX. Jahrhundert" teil. Lutz Dammbeck ist Mitglied der Freien Akademie der Künste in Leipzig und erhielt 2005 den Käthe-Kollwitz-Preis.

Zwischenruf: Terminator

Manchmal ist es ganz gut, wenn man eine verständige Frau hat. Ihr verdankt die Wissenschaft nämlich einen wichtigen Hinweis: dass im neuen Erlösungs-Terminator nämlich Papa Kyle Reese aussieht wie der Bubi in der Eiswerbung direkt vor Filmbeginn, ihr wisst schon: der unter der kalten Dusche steht und ein Leckerli zugeworfen bekommt. An die Arbeit, ihr Popsemiotiker!

Harald Mühlbeyer

Helge Schneider auf Screenshot Classics

"Das ganze Geld mit Quatsch verdient - Wie Helge Schneider komisch ist" ist der erste Artikel in unserer neuen Rubrik Screenshot Classics. Wöchentlich werden weitere lesenswerte Artikel von unserer alten Seite in dieser Rubrik neu aufgelegt.

Belgien, goldenes Land - "Eldorado" von Bouli Lanner

von Elisabeth Maurer

Eldorado
Belgien, Frankreich 2008. Buch, Regie: Bouli Lanner. Kamera: Jean-Paul de Zaeytijd. Musik: Renaud Myeur, An Pierle, Koen Gisen. Produktion: Jacques-Henri Bronckart.
Mit: Bouli Lanners (Yvan), Fabrice Adde (Didier), Francoise Chichery (Didiers Mutter).
Verleih : Kool Film.
Länge : 81 Minuten.
Start : 14. Mai 2008.

Auf der Suche nach dem sagenhaften Goldland Eldorado wurde Südamerika jahrhundertelang durchstreift. Der für den César als bester ausländischer Film nominierte ELDORADO von Bouli Lanners spielt allerdings in Belgien. Das Land gilt allgemein wohl eher als wenig exotisch, es ranken sich keine Legenden von verborgenen Schätzen um seine Geschichte. Als irgendwie bemerkenswert an Belgien sind fürs Ausland vermutlich hauptsächlich seine selbst vom Weltraum aus zu sehenden beleuchteten Autobahnen. Doch gerade diese meidet das Road Movie.
Yvan, Importeur von amerikanischen Autos, entdeckt in seinem Haus eines Abends einen Einbrecher, den jungen Junkie Didier. Aus Mitleid fährt Yvan den seit zwei Wochen cleanen Didier zu dessen Eltern, die kurz vor der französischen Grenze leben. Auf dem Weg erleben sie einige merkwürdige Begegnungen und freunden sich langsam an. So gesteht Yvan Didier denn auch, dass sein Bruder vor einem Jahr an einer Überdosis starb und er seitdem Schuldgefühle hat. Nach dem Besuch der Eltern fahren sie zurück, doch als sie sich der Stadt näher, aus der Didier kommt, wird ihr aufkeimendes Vertrauen auf eine schwere Probe gestellt.

Lanners, der neben Drehbuch und Regie auch die Hauptrolle des Yvan übernahm, findet bei der Fahrt durch sein Heimatland unerwartet weite und leere Blicke auf die Landschaft. Vor allem Felder und Wiesen umgeben die leeren Landstraßen, die der Chevrolet befährt. Es ist offensichtlich, daß sich Lanners an amerikanischen Road Movies orientiert. Dadurch unterstreichen die Bilder die Einsamkeit und auch Traurigkeit der Figuren. Die kurzen Begegnungen, oftmals skurril bis absurd, stellen einerseits ein Spiel mit den Genrekonventionen dar, da Road Movies immer von den unerwarteten Situationen der Reise handeln, vor allem schweißen sie die beiden Hauptcharaktere aber aneinander. Die Einsamkeit und die Abwesenheit von Liebe und Beziehungen wird auch dadurch unterstrichen, daß die einzigen Frauen, die im Film zu sehen sind, eine Prostituierte und die zur Untätigkeit verdammte Mutter Didiers sind.

Ungewöhnlich für ein Road Movie ist die Tatsache, daß die Protagonisten den Weg wieder zurückfahren – beide müssen sich den Problemen ihrer Vergangenheit stellen. Der Film wurde im Sommer gedreht, oftmals entstanden die Aufnahmen zur sogenannten goldenen Stunde des Tages, wenn die Sonne kurz vorm Untergang ist und das Land in ein schmeichelndes, gelbes Licht taucht. Dadurch sieht Belgien zeitweise selbst aus wie ein verwunschenes Goldland. Innerlich sind beide Männer auf einer Suche, ihr Eldorado wäre die Erlösung von ihrer Vergangenheit. Didier muß endgültig von den Drogen loskommen und sich mit seinen Eltern aussöhnen. Yvan könnte durch die Hilfe, die er Didier zukommen läßt, seine Schuldgefühle seinem toten Bruder gegenüber verlieren. Die gemeinsame Fahrt könnte beiden ihren Wunsch in Erfüllung bringen.
Doch gibt es in der schönen Landschaft mehrfach Vorausdeutungen auf einen schlechten Ausgang. Die Abendstimmung verweist auf ein nahes Ende. Am Wegesrand wachsen viele Mohnblumen, ein klassisches Todessymbol. Mehrfach schlägt das Wetter um und es kommt zu starken Regenfällen. Im Gegensatz zu vielen Road Movies sind die Aufnahmen meist statisch, dies steht für Stillstand trotz ihrer Bewegung durch das Land. Sie müssen die farbenprächtige, leuchtende Landschaft verlassen und in die als Ort des Bösen inszenierte Stadt zurückfahren. Dort ist ein sterbender Hund mit gebundenen Pfoten das Symbol für die Unvermeidlichkeit des weiteren Geschehens, für die Unmöglichkeit ihrer Erlösung.

Hitchcock-Ausstellung in Berlin

Wenn Perfektionisten zu Perfektionisten arbeiten -
„Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“ in der Deutschen Kinemathek Berlin (29.01.-14.06.2009)

Mit „Casting a Shadow. Alfred Hitchcock und seine Werkstatt“ zeigt die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen 110 Jahre nach der Geburt des Briten den Master of Suspense und sein Werk aus erfrischend ungewohnten Blickwinkel. Hier geht es nicht um die Stars, wie man sie von der Leinwand oder von Filmplakaten kennt. Die Ausstellung wagt den ehrlich neugierigen Blick behind the scenes, zeigt statt Glamour Kreativität und Kritzeleien. Der Zuschauer hat auf seinen Weg durch die acht Ausstellungsbereiche die Aufgabe, Bekanntes zu erkennen und Vertrautes neu wahrzunehmen. So werden zum Beispiel abstrakte Skizzen der Crop Duster Szene aus North by Northwest direkt neben den entsprechenden Filmausschnitten ausgestellt. Diese extreme Verdeutlichung des Schaffensprozesses lässt den Betrachter begreifen.

Die acht Bereiche der Ausstellung durchlaufen die einzelnen Phasen des Filmemachens: Drehbuch, Production Design, Kostümbild, Studio Produktion, Kamera, Sound Design und Vermarktung.



Am Ende werden unter der Überschrift „Hitchcock und Berlin“ Fotografien einer Promotiontour zu Torn Curtain durch die Hauptstadt präsentiert. Sie zeigen Hitchcock fünf Jahre nach dem Bau der Mauer an Orten, an denen der Betrachter mit großer Wahrscheinlichkeit vor kurzem selbst gestanden hat, schlagen ein Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart, zwischen dem Künstler und seinem Zuschauer.



Thematisch zu jedem Bereich passend sind Ausschnitte aus Michael Strauvens ARD Dokumentation, die im Frühsommer ausgestrahlt werden soll, zu sehen. Hier sprechen u. a. Bruce Dern (Marnie, Family Plot) und Tippi Hedren (The Birds, Marnie) über ihre Erfahrungen mit dem Regisseur Hitchcock und unterlaufen zum Glück zuweilen die Äußerung des Meisters: Never give away your secret of how the film is made.

Wie perfektionistisch Hitchcock in den Vorbereitungen des Kostüme und der Ausstattung war, beschreibt er in seinem Interview mit François Truffaut: „Für The Birds haben wir jeden Bewohner in Bodega Bay, Männer und Frauen, Greise und Kinder, für die Kostümabteilung fotografieren lassen. Das Restaurant ist die genaue Kopie des Restaurants, das es da wirklich gibt. [...] Das Haus des Farmers, dem die Vögel die Augen aushacken, ist die getreue Kopie eines Hauses, das es wirklich gibt – der gleiche Eingang, der gleiche Flur, das gleiche Zimmer, die gleiche Küche, und hinter dem Flurfenster der Ausblick auf den Berg stimmt auch genau.“ Im Berliner Filmmuseum werden diese Worte zu Bildern: 36 Fotografien der Bodega Bay Bewohner sind ausgestellt.



Am beeindruckendsten sind auf visueller Ebene die Zeichnungen, die Hitchcock selbst zu seinen Filmen angefertigt hat. Die überraschende Schlichtheit der Skizzen erwischt den kalt, der mystische Schätze zu entdecken hoffte. Hitchcocks Zeichnungen erscheinen in der ihm gewidmeten Ausstellung neben den Entwürfen von Zeichnern wie John De Cuir, Harold Michelson oder Thomas Wright ob ihrer Schlichtheit fehl am Platz. Hitchcock konnte zeichnen, konnte grafisch Denken, wenn es gefordert war. Schließlich begann er seine Karriere beim Film mit dem Gestalten von Zwischentiteln. Sein Talent, das Wesentliche auf ein Minimum zu reduzieren, bewies er jedoch bereits 1927 mit seinem berühmten Selbstporträt. Unverkennbar stellen die 9 Striche den kreativen Kopf Hitchcocks dar. Und ebenso reichen ihm fünfzehn Jahre später wenige Striche, um die finale Szene aus Saboteur auf der Freiheitsstatue darzustellen.



Alfred Hitchcock erklärte Truffaut, dass ein Film für ihn bereits vor Beginn der Dreharbeiten fertig sei. Die ausgestellten Storyboardzeichnungen von Shadow of a Doubt und The Birds bestätigen diese Aussage. Fast eins zu eins kann man sie in den gezeigten Filmausschnitten wiederentdecken. Zeichnungen, Matts, Illustrationen, Szenenbildentwürfe, Sequenzentwürfe und Storyboards – alle sind in sich eigene Kunstwerke mit Potential zum Kultobjekt. Obwohl die Szene im Kornfeld von North by Northwest ohne Storyboard gedreht wurde, fertigte Mentor Huebner nachträglich zu Werbezwecken ein Storyboard an.

Bei der Entdeckungstour durch den Museumsraum wird der Betrachter nicht nur visuell von Hitchcock begleitet. Über Lautsprecher halt durch die Gänge die Stimme des Master of Suspense, spricht Hitchcock zu allen, die sich die Zeit nehmen, ihm zuzuhören.



Auf einer großen Leinwand laufen Ausschnitte aus dem „Frankfurter Stammtisch“ von 1966. Botho Jung, Curt Riess, Richard Kirn, Hein Heckroth und Alfred Hitchcock sprechen über das Werk des britisch-amerikanischen Filmregisseurs – in Deutsch. 1924/25 hatte Hitchcock in Deutschland gearbeitet, sich von Friedrich Wilhelm Murnaus Dreharbeiten inspirieren lassen und anscheinend die Sprache gelernt. Nur selten muss er sich im Interview mit englischen Ausdrücken behelfen.



„Manche Filme sind ein Stück Leben, meine sind ein Stück Kuchen“ sagte Hitchcock zu Truffaut. Mit der Ausstellung „Casting a Shadow“ ist dem Berliner Filmmuseum eine Sahnetorte gelungen, an der man sich nicht satt sehen kann, und bei der jede neue Schicht geheimnisvolle Überraschungen birgt.

Interessieren Sie sich zufällig für Film? - Jim Jarmuschs "The Limits of Control"

von Ciprian David

The Limits of Control
USA 2009. Buch, Regie: Jim Jarmusch. Kamera: Christopher Doyle. Musik: Boris. Produktion: Stacey Smith, Gretchen McGowan.
Mit: Isaach De Bankolé (The Lone Man), Paz De La Huerta (Die Nackte), Tilda Swinton (Die Blonde), Youki Kudoh (Molekül), John Hurt (Gitarre), Gael García Bernal (Mexikaner), Bill Murray (Amerikaner).
Verleih: Tobis.
Länge: 117 Minuten.
Start: 28.05.2009

Jarmuschs Fans dürften sehr eifrig auf seinem neuen Film gewartet haben, denn jedes angebrochene thematische Kapitel seines Werkes schien abgeschlossen zu sein. Und es wird bestätigt: The Limits of Control verlässt die Welt der Charaktere und richtet seinen Blick auf die Identität des Zuschauers, wie sie sich aus dessen Beziehung zum Film herauskristallisiert.
So entfaltet sich eine Welt der förmlich akkurat angeordneten filmischen Symbole in einer Serie von Einstellungen, die die Geschicklichkeit des als Kameramann von Wong Kar Wai bekannten Christopher Doyle noch einmal bestätigen. Während die formelle Struktur des Films ein Jarmusch-Klassiker mit drei Akten zwischen Exposition und Abschluss bleibt, entsteht ein großes Fragezeichen bezüglich des Inhalts, das leider nicht eine für alle Rezipienten befriedigende Antwort findet.

Der Film folgt dem Lone Man (Isaach de Bankolé) bei einem Auftrag, über den der Zuschauer nicht aufgeklärt wird. Die Reise zur Erfüllung des Auftrags entfaltet sich zu einer ästhetischen Odyssee durch Spanien, geprägt von Begegnungen mit einer breiten Palette von bohème-glamourösen Kontaktpersonen, die den Protagonisten Schritt für Schritt zu seinem Ziel weiterführen. Die mit dem Auftrag erteilten Anweisungen werden in verschiedenen Formen und Variationen wiederholt, so dass der Zuschauer auf den ersten Blick eine rhythmische Aneinanderreihung von stilisierten Revue-Auftritten wahrnimmt, die vage an Lynch erinnern und zu einem unspektakulären und unlogischen Mord führen. Die ostentative Abwesenheit einer sinnesstiftenden Erklärung der Handlung macht deutlich, dass im Mittelpunkt dieses Filmes nicht die konventionell rezipierte Erzählungsebene steht. Vielmehr muss man hinter der metaphorischen Bedeutung des Auftrags, der Reise zu dessen Erfüllung, der verschiedenen auftauchenden Charaktere nachgehen.

Schon der Filmanfang macht deutlich, dass es sich um eine andere Art Film im Vergleich zu seinen Vorgängern handelt. Der Filmanfang führt in einen Flughafen, wo The Lone Man, der, wie der Zuschauer, über den ganzen Film die Rolle eines Betrachters einnimmt, auf seinem Auftraggeber trifft. Dieser übernimmt eine Doppelrolle (Auftraggeber und Filmvorführer) und kündigt den Inhalt des Films an, durch kryptische Empfehlungen zur Erfüllung des Auftrags: Vorstellungskraft soll angewandt werden, weil die Welt subjektiv ist; die Wirklichkeit existiert nicht (sondern Film!); man soll stets konzentriert sein, und sich von Glanz und Glamour nicht ablenken lassen. Und vor allem, im Gegensatz zum von Mainstream-Filmen erzeugtem Eindruck, stehen seine Aussagen: „Das Leben ist nichts wert“ und „Wer denkt, er sei besser als die anderen, soll sich zum Friedhof begeben […] Das Leben ist nur eine Handvoll Erde.“ Der Auftraggeber spricht eine andere Sprache, und die entstandene Situation verdeutlicht: Der Zuschauer wird hier mit der Filmsprache konfrontiert sein, nichts soll in der Übersetzung verloren gehen oder dazu gedichtet werden.

Von nun an übernimmt The Lone Man die Rolle des Trunkenen Schiffes aus dem zu Anfang des Films zitierten gleichnamigen Gedicht von Rimbaud, und er bietet eine filmische Version des Gedichts. Während es sich bei Rimbaud um die Sprache und die Wahrnehmung der Welt handelt, wird der Protagonist in The Limits of Control durch die Fluggesellschaft Air Lumière (phonetisch ähnlich zu „ère Lumière“, also „Ära Lumière“, nach den Namen der Erfinder der Kamera) in einer Auseinandersetzung mit Film, Filmsprache und Wahrnehmung von Film eingeführt. So verläuft die initiatorische Auftragsreise des Lone Man über drei Akte auf zwei Ebenen: Die der Wahrnehmung und die der Sprache, die sich einander ergänzen und erklären, immer eine Konnotation über den Film als Medium beibehaltend. Die Reise führt ihn vom urbanen Milieu bis in die unbewohnte Natur Spaniens, von der naturfremden Ära des Kinos bis zur vergessen Zeit der Huicholen, von Bildern zu Charakteren, von Symbolen und Abbildungen zu Orten und Geschehnissen, von archaischen Weisheiten zur Realität, und seine Wahrnehmung ändert sich progressiv und entfernt sich von den von der modernen Gesellschaft eingeprägten und kontrollierten Mechanismen. Die einzigen Konstanten auf der Inhaltsebene sind die Rituale, die er durchführt: Die Tai Chi-Übungen und die paarweise bestellten Espressos.

Was auf dem ersten Blick inhaltlich an dem Film nicht reizt, spielt sich auf der formellen Ebene ab. Jedes Ereignis des Films wird durch eine Zusammenstellung von Symbolen angekündigt: Die Zugfahrten trennen die Akte des Films, die Zettel mit den kodierten Informationen führen den Lone Man weiter auf seiner Reise, die Gemälde im ersten Teil kündigen als wunderschöne Metapher der Wahrnehmung (als Zugang zur Realität über ein Medium) und der Entstehung des Films (als Streben der abbildenden Künste nach Realismus) die Kontaktpersonen an, der durchsichtige Regenmantel von Paz de la Huerta kündigt den Schirm Tilda Swintons an.

Die Reise des Protagonisten wird von seinen Begegnungen mit den Kontaktpersonen bestimmt, denn sie, als Exponenten verschiedener Blickwinkel auf Kunst und den impliziten Zugang zur Wirklichkeit, legen den Rahmen des eigentlichen Inhalts fest: die Auseinandersetzung mit Wahrnehmung.
Einerseits sind sie für den Lone Man Wegweiser, wie der Mann mit der Violine, Metapher für die Tatsache, dass die Menschen kontrolliert werden: Jedes Holzinstrument hat ein Gedächtnis, jede Note, die darauf gespielt wurde, bleibt ewig gespeichert. Oder wie Molekül (Youki Kudoh), die eine weitere Stufe der Wahrnehmung ankündigt, durch die Orientierung an Materie: Von nun an sind Gegenstände (Lampe, Postkarte, Blumen, Croissants) der Zugang des Protagonisten zum Wissen. Er erkundet seine Umwelt, bevor er die nächste Kontaktperson treffen darf.
Andererseits berichten sie dem Zuschauer über die Entwicklung der Wahrnehmung des Protagonisten. Die Blonde (Tilda Swinton) ist der Höhepunkt des ersten Akts – die Begegnung mit dem Film als Ikone. Sie erzählt über ihre Vorliebe für gute Filme, für die alten Filme, in denen Menschen echt aussehen, für Filme, in denen die Protagonisten einfach sitzen, ohne zu sprechen und den Dialog somit in der Interpretation der Zuschauer erstehen lassen. Sie erklärt die Entstehung der Spannung durch Variationen der Form, wenn sie beim Vertauschen der Espressotassen Suspicion, die interaktive Showserie von Hitchcock, erwähnt. Sie kündigt ihren Tod an, zugunsten des Erfolgs des Auftrags, und zeigt in einem wunderschönen Bild am Ende ihres Auftritts, wie hilflos sie gegen die Kontrolle des Mediums ist, nur mit einem transparenten Regenschirm gegen die Sonne. Die ikonische Diva ist die erste, die dem Protagonisten etwas gibt: „Diamonds are a girl’s best friends“ sagt sie, und gibt ihm die kleinen leuchtenden Steine, die er der nackten Frau geben muss, um weiterzukommen.

The Limits of Control ist ein Film über die Liebe für qualitatives Kino, der in einer wundersam spielerisch-selbstreflexiven Weise zeigt, wie weit man sich von den Gesellschaftszwängen befreien muss, um pure Filmsprache zum Ausdruck bringen zu können. Nicht nur die leicht erkennbare Mischung von Sex und Kriminalität (Paz de la Huerta) muss in den Hintergrund treten, sondern auch die ikonischen Figuren müssen verschwinden, weil sie die Fundamente der Wahrnehmung geprägt und sich vom Natürlichem abgewendet haben, weil sie durch Etablierung und Aufbau auf einer Reihe von Klischees dazu beigetragen haben, dass die Filmindustrie eine artifizielle, von stereotypen geprägten Filmsprache und eine dementsprechende Wahrnehmung erzeugt hat. Diese personifizierte Industrie (Bill Murray), die Verachtung für jeden Kunstsprossen zeigt, muss im Finale vernichtet werden. Erst dann ist das Blatt vor dem Zuschauer leer, befreit von jeglichem Kontrollmuster, erst dann kann die Welt unmittelbar angegangen werden.

Peter Greenaway in Mainz!

Starregisseur Peter Greenaway und seine Bilderkoffer in Mainz

Er wurde international gefeiert und gehasst. Für die einen ist er ein Genie, das mit seinen Bildfantasien das Kino an die Grenzen treibt, für die anderen ein Provokateur, der die Traditionen brüskiert. Unbestritten gilt der Brite Peter Greenaway als einer der einflussreichsten Regisseure der 1980er und 90er Jahre. Seine exzentrischen Spielfilme, wie Der Kontrakt des Zeichners, Die Verschwörung der Frauen, Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber oder Die Bettlektüre haben Filmgeschichte geschrieben – als radikale Versuche, das Kino in seiner Kunst neu zu erfinden.

Am 10. Juni kommt Peter Greenaway nach Mainz und präsentiert um 19 Uhr im Capitol-Kino sein Multimedia-Projekt Tulse Lupers Bilderkoffer. Tulse Lupers Reise durch die Geschichte und Gefängnisse des 20. Jahrhunderts ist eine fiktive Biografie, die Peter Greenaway in mehreren Filmen, Ausstellungen, Webseiten und Online-Spielen entfaltet und weiterschreiben lässt: als imaginäres Gedächtnis und Gesamtkunstwerk. Interessierte sind herzlich eingeladen an dieser Veranstaltung der Vortragsreihe „Film Beyond Film“ und des Kultursommers Rheinland-Pfalz 2009 „Cool Britannia – Britisches Kino“ teilzunehmen. Beide Veranstaltungsreihen werden von der Filmwissenschaft Mainz ausgerichtet.

In der ganzjährigen Vortragsreihe „Film Beyond Film“ hat das Seminar für Filmwissenschaft der Universität Mainz neben Peter Greenaway weitere namhafte Spezialisten aus Film, Fernsehen, Theater, Politik, Therapie oder Neue Medien eingeladen. Im Zentrum der Vorträge steht die Frage, wie der Film jenseits der Leinwand die heutige Gesellschaft in allen Bereichen durchdringt. Die Veranstaltungsreihe „Cool Britannia – Britisches Kino“ der Filmwissenschaft Mainz, die im Rahmen des Kultursommers Rheinland-Pfalz 2009 stattfindet, gibt Einblick in die lebendige Vielfalt des britischen Films der Gegenwart.

Neben Peter Greenaway wird der Buntheit des britischen Filmschaffens durch die Anwesenheit bekannter Regisseure wie Loveleen Tandan (Slumdog Millionaire 2008) und Jag Mundhra (Provoked: A true Story 2006) Rechnung getragen. Eine Filmwoche zum britischen Kino in den Mainzer Programmkinos begleitet die Einzelveranstaltungen.

Der Eintritt zur Veranstaltung von Peter Greenaway ist frei!

Weitere Informationen unter: www.kultursommer.de und www.filmwissenschaft.uni-mainz.de